Ausgerechnet in Spanien, das als Musterfall für den Übergang von der Diktatur in die Demokratie gilt, wird in diesen Tagen ein fragwürdiges Exempel statuiert. In einem Anfall von nationalistischem Übermut setzten sich katalanische Separatisten über das Verbot der spanischen Verfassung hinweg und ermächtigten sich , ein Referendum über ihre eigene Autonomie durchzuführen. Seit März 2006 führt die katalanische Regierung zwar immer wieder Umfragen durch, in denen sich nie eine klare Mehrheit der Katalanen für die Abspaltung Kataloniens von Spanien ausgesprochen hatte.
Auch diesmal war es nicht anders: Die Abstimmung fand wegen der unversöhnlichen Polizeiattacken und harten Gegenmaßnahmen in der breiten Öffentlichkeit Gehör. Aber auch diesmal fand eine Abstimmung unter haarsträubenden Bedingungen statt. Dabzu gehören besonders Unregelmäßigkeiten bei der Abgabe und bei der Auszählung der Stimmen.
Wie Plebiszite missbraucht werden
Das alles konnte Regionalpräsident Puigdemont nicht davon abhalten, am Tag der Abstimmung das „ Recht Kataloniens auf Unabhängigkeit“ zu erklären. Es war dem Separatistenführer herzlich egal, wie das Ergebnis tatsächlich zustande gekommen war. Die Hauptsache war offenbar, dass man es gebrauchen konnte, um Stimmung für die eigenen Ziele zu machen. Den Spaniern, aber auch übrigen Europäern wurde damit klar gemacht, wie sehr Plebiszite missbraucht werden können, sobald sie in die Hände fragwürdiger Demagogen geraten, die nicht nur von „ Volk“, „ Heimat“ und „Selbstbestimmung“, sondern sogar von einem angeblichen Faschismus in Spanien reden. Puigdemont griff sich das Ergebnis der Volksbefragung, zog es wie ein Schwert vor die Brust und richtete es gegen Madrid, um die Zentralregierung zu erpressen.
Mit der fragwürdigen Behauptung, wonach nicht das Gesamtparlament in Madrid, sondern einzig und allein das regionale Parlament in Barcelona über die Souveränität der Katalanen entscheide, wurde dieses Referendum über die „ Unabhängigkeit Kataloniens“ verfassungsrechtlich begründet. Parlamentspräsidentin Carme Forcadell beharrt darauf, dass die Katalanen den „ letzten Schritt in die eigene Unabhängigkeit“ jetzt vollziehen sollen, der am kommenden Montag erfolgen soll. Auf die Aufforderung des spanischen Königs und Ministerpräsidenten Rajoy, „Katalonien solle auf den Boden der Verfassung“ zurückkehren, kam die unverschämt klingende Antwort: Das Verfassungsgericht sei keine unabhängige Institution, sondern längst zum verlängerten Arm der Regierung geworden und habe damit jede „ Legitimität“ zum Einspruch oder gar Verbot verloren.
Es droht eine Eskalation
Sollte es zur Verhaftung von drei prominenten katalanischen Regionalpolitikern kommen, droht eine Eskalation mit unabsehbaren Folgen. Im Südosten Europas, wo sich Spanien allmählich von einer der schwersten Wirtschaftskrise erholt, könnte ein nationaler Konflikt explodieren, dessen Tragweite kaum unterschätzt werden kann. Allein die Vorstellung, dass drei prominente Anführer Kataloniens hinter Schloss und Riegel sitzen könnten, weil sie wegen „ sugerencia“, also politischen Aufruhrs , verhaftet wurden , lässt einen schaudern . Separatistische Populisten hätten ihr Ziel erreicht: das freie und demokratische Katalonien, aber auch Spanien könnten zu einem Brandherd werden, der kaum noch dauerhaft zu löschen ist.
Von einer friedlichen Vermittlung sind beide Lager noch weit entfernt. Der Versuch des katalanischen Regionalpräsidenten Carles Puigdemont, das Ausland für seine fragwürdige Initiative zu begeistern, ist im Europäischen Parlament gescheitert. In Straßburg rührte sich für angeblich unterdrückte und finanziell ausgebeutete Katalanen keine Hand. Dafür wurde betont, dass es sich bei diesem Konflikt um eine Sache der Spanier handele, dass Gewalt keine Lösung sei und nur eine friedliche Vermittlung gesucht werden könne.
Dieser Absage folgten Alarmsignale aus der Wirtschaft, die den Katalanen besonders zu denken geben sollten: Angesehene Rating-Agenturen wie Fitch und Standing & Poors warnten bei weiterer Eskalation mit der Verschlechterung der Bonitätsnote: Die Großbanken CAIXA und SABADELL drohten an, die unsichere Region zu verlassen; auch der Champagner- Produzent FREIXENET und der Verleger PLANETA wollen bei einer Fortdauer des Konflikts möglichst bald aus Katalonien verschwinden.
Auch der Papst will vermitteln
Die Frage bleibt, ob diese Drohkulisse ausreicht, um beide Lager an den Verhandlungstisch zu bringen. Die Regierung will auch weiterhin nicht über „ Illegales verhandeln und keine Erpressung“ hinnehmen. Auch Papst Franziskus, der als Vermittler im Spiel war, pocht auf die „ Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung“. Nicht anders dürfte es sich bei anderen Persönlichkeiten verhalten, die wie die Erzbischöfe von Madrid und Barcelona und der baskische Ministerpräsident gefragt worden sind. Der spanische König, der eigentlich der ideale Schlichter wäre, scheidet nach seiner harschen Kritik gegenüber den Separatisten aus. Felipe VI hat eine historische Chance verpasst, sich in heikler Konfliktlage als kluger Vermittler hinter den Kulissen , als Mahner und Schlichter in schwierigen Zeiten und als ein „ König für alle Spanier “ zu präsentieren.
Offenbar will Spaniens Regierungschef den Artikel 155 der spanischen Verfassung reaktivieren, der eine vorzeitige Auflösung des Regionalparlamentes unter bestimmten Voraussetzungen zulässt. Dazu gehört die fristgemäße Aufforderung Rajoys an Puigdemont, sich wieder an die Gesetze zu halten- kommt der Katalane dieser Aufforderung innerhalb einer Frist von vier Tagen nicht nach, kann der Madrider Senat , wo die konservative Volkspartei PP eine Mehrheit hat, die Auflösung und eine vorgezogene Neuwahl bestimmen.
Gefahr im Verzug
Kann es soweit kommen? Wenn erfahrene Europapolitiker wie Elmar Brook und Günther Öttinger Ereignisse mit bürgerkriegsähnlichem Charakter“ beschwören, dann ist Gefahr im Verzuge: Was passiert, wenn in Katalonien die Unabhängigkeit ausgerufen wird und die Zentralregierung dies dann zum Anlass nimmt, um die politische Führung abzusetzen, festzunehmen und die Kontrolle über Katalonien zu übernehmen. Wie wird die Regionalpolizei auf eine derartige „Besatzung“ reagieren? Wie wird sich das Militär verhalten, dessen Offiziere und Soldaten seit vielen Monaten mit ansehen müssen, wie der Begriff ihrer „ Nation“ diskreditiert und der König und Oberbefehlshaber verspottet und diffamiert wird.
In Salamanca und Zaragoza nahmen mehrere Hundert Mitglieder an Solidaritätsaktionen für die spanische Polizei teil. Zahlreiche Redner dankten den Polizisten dafür, dass sie in den vergangenen Tagen in Barcelona alles getan hätten, um den demokratischen Rechtsstaat zu verteidigen. Es wird viel am politischen Fingerspitzengefühl eines als stur und technokratisch geltenden Ministerpräsidenten Rajoy liegen, um diesen gefährlichen Konflikt zu beseitigen und alle Streithähne an einen Tisch zu bringen.