Das ist weiß Gott ein harter Brocken, den die Wählerinnen und Wähler den Regierungswilligen mit der Bundestagswahl vorgesetzt haben. Doch das Gerede von Neuwahlen ist völlig daneben und der Weg dahin aus gutem Grund beschwerlich. Ein Wahlergebnis leichtfertig vom Tisch zu fegen, nur weil die Regierungsbildung kompliziert erscheint, wäre eine Missachtung des Wählerwillens. Denn der hat sich für Neues entschieden, für ein Ende des herkömmlichen Lagerdenkens und einen Abschied von allzu bequemen Lösungen.
Kreativität und Phantasie sind gefragt, ein Verlassen der Trampelpfade von links und rechts und Mitte, neue Wege, neue Ziele, auch ein neuer Stil. Jamaika ist das naheliegende und am wenigsten wagemutige Modell, auf Länderebene immerhin ansatzweise erprobt. Nur: außer Angela Merkel scheint niemand daran zimmern zu wollen. Grüne und FDP warten ab, ob CDU und CSU zu einer gemeinsamen Haltung finden.
Das Tauziehen zwischen der Bundeskanzlerin und dem bayerischen Ministerpräsidenten spiegelt das übliche Geschacher um die Macht wider, ohne dass erkennbar wäre, wozu die Macht verwendet werden soll. Horst Seehofer hat nach dem historischen Tiefschlag vor allem die Landtagswahl 2018 in Bayern und seinen eigenen Stand im Sinn, auch Angela Merkel ist nach dem Debakel in der CDU nicht mehr unangefochten und muss auf Widersacher aus der eigenen Partei gefasst sein. Beide klammern sich irgendwie aneinander, konservative Geschwister, die keinen Plan für die Zukunft haben. Hauptsache nicht untergehen.
Erst wenn sich CDU und CSU in diesem Geist auf weitere vier Jahre verständigt haben, wird aus dem unionsinternen Zweikampf ein Quartettspiel. FDP und Grüne haben zwar allgemein inhaltliche Bedingungen formuliert, doch wo konkret ihre Schmerzgrenzen liegen und welche Forderungen nicht verhandelbar sind, darüber lassen sie sich nicht in die Karten schauen.
Das von den vier Parteien vertretene Spektrum der Standpunkte zu wichtigen gesellschaftlichen Fragen, zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, zur Umwelt- und Sicherheitspolitik jedenfalls könnte kaum breiter sein. Ketzerisch ließe sich sogar anführen, dass ebensogut das andere Quartett versuchen könnte, eine Koalition auf die Beine zu stellen und den SPD-Vorsitzenden Martin Schulz zum Kanzler zu wählen.
Die vielfachen inhaltlichen Spagate zwischen Linken, SPD, Grünen und FDP wären kaum größer, die Mehrheiten im Bundestag ausreichend und die Methoden zur Überbrückung vermeintlich unüberbrückbarer Gegensätze die sattsam erprobten: ein Zugeständnis hier, ein Ministeramt da, nach der Devise, gibst du mir, gebe ich dir. Und am Ende erlangen – siehe Schwarz-Gelb oder GroKo – unsinnige Dinge wie die Herdprämie und die Pkw-Maut Gesetzeskraft, stimmen weder Personal noch Inhalte, verkommt die Regierungsbildung zu einem durch und durch faulen Kompromiss, kraft- und perspektivlos.
Angesichts solcher Aussichten verliert die hierzulande ungeliebte Minderheitsregierung viel von ihrem Schrecken, ließe sich doch eine durch und durch demokratische, an Sachfragen orientierte Politik gestalten, die zu jedem Vorhaben aufs Neue Mehrheiten aus inhaltlicher Überzeugung sucht. Zugleich könnte die Gemeinsamkeit der Demokraten parlamentarische Attacken von Rechtsaußen abwehren und einen verantwortungsbewussten, am Wohl der Menschen orientierten Umgang miteinander kultivieren.
Zugegeben, es ist vorerst ein Gedankenspiel. Hannelore Kraft hat sich den Weg 2010 mit einer rot-grünen Minderheitsregierung in NRW zugetraut, auf Bundesebene wäre er völliges Neuland, und Angela Merkel ist nicht die Politikerin, die Wagnisse oder Experimente schätzt. Schon am Wahlabend hat sie die Notwendigkeit einer stabilen Regierung betont – ideal für ihre vierte Amtszeit, nicht unbedingt für die Republik.
Bildquelle: Wikipedia, gemeinfrei