Die SPD steckt in einer Krise, wie sie sie wohl noch nie nach dem Krieg erlebt hat. Der Absturz der Partei auf 20,5 Prozent, auf den niedrigsten Wert seit den ersten Bundestagswahlen 1949, ist mehr als ein Alarmzeichen. Es stellt sich die Existenzfrage der ältesten deutschen Partei, die im Grunde auch keine richtige Volkspartei mehr sein kann.
Es passt in dieses traurige Bild, dass neben dem Kurs auch der Kopf der Partei nicht überzeugend wirkt. Martin Schulz, einst voreilig fast als Heilsbringer gepriesen, sieht heute eher wie einer aus, der nicht mehr ein noch aus weiß. Er will Parteichef bleiben, schließlich hatten ihn alle Delegierten- 100 Prozent- gewählt. Es stimmt wohl, dass ihm zur Zeit niemand ans Leder will, wie das ein führender Sozialdemokrat ausdrückt, aber das gilt natürlich nur für den Moment und möglicherweise auch für den nächsten Parteitag, auf dem er wiedergewählt werden will. Aber ob er das packt, ob er wirklich die SPD nach vorn bringen kann, er, der aus Brüssel einflog, der aber dann eine Notlandung nach der anderen erlebte, das scheint mehr als fraglich zu sein.
Es fehlt an Souveränität und Professionalität
Martin Schulz wollte Bundeskanzler werden, das hat er bis zuletzt betont. Es wirkte fast ein wenig trotzig, wie er das tat, man hätte- je nach Standpunkt- darüber lachen oder weinen können. Denn er war ja in allen Umfragen meilenweit von einer Regierungsmehrheit entfernt. Und seit Sonntagabend hat die SPD mit Schulz es schriftlich: Die Wahlergebnisse sind so dürftig, dass man daraus keinen Regierungsanspruch ableiten kann. Deshalb geht die SPD ja in die Opposition, eine Rolle, die man kennt, schließlich hat man in den Jahren des Kanzlers Adenauer wie des Kanzlers Kohl Jahre auf den harten Oppositionsbänken gesessen. Aber die Verhältnisse sind heute anders, die SPD wirkt mehr als angeschlagen, sie liegt auf der Intensivstation.
Dass Andrea Nahles Fraktionschefin geworden ist, das haben Parteikreise mit Schulz besprochen, hat man ihm abgerungen, damit er sich nicht gleich verhebt. Eines macht diese Personalie schon deutlich. Schulz kennt die SPD im Grunde nur von außen, die innere Befindlichkeit, die Strippen und die Strippenzieher sind für ihn eine fremde Welt. So wird erzählt, wie der Parteichef, der ja für alle Mitglieder stehen muss, sich im Parteivorstand als „Seeheimer“ vorgestellt habe und Andrea Nahles als Linke der SPD. Das löste ein wenig Kopfschütteln aus. Überhaupt haben manche Genossen die fehlende Professionalität und Souveränität von Schulz verwundert registriert. Sein Auftreten in der Elefantenrunde am Wahlsonntag wurde selbst von Freunden als ziemlich merkwürdig empfunden, ja sogar als glatt daneben. Dass Schulz mit seinem Vorschlag, Hubertus Heil zum parlamentarischen Geschäftsführer zu machen, ausgerechnet an den „Seeheimern“ gescheitert sei, habe er selber verschuldet. Sein Vorgehen sei planlos gewesen, überstürzt.
Es sind schon andere Personen gescheitert
Und doch weiter mit Martin Schulz? Niemand wolle ihn jetzt loswerden, Martin müsse selbst zeigen, dass er als Parteichef stabil sei, aber dazu bedürfe es eben mehr Sicherheit im Umgang mit der nicht einfachen SPD, in der schon andere, hochmögendere Persönlichkeiten als Vorsitzende gescheitert waren. Auf Andrea Nahles könne er sich verlassen, was aber nicht bedeute, dass die 47jährige Sozialdemokratin nicht eigene Ambitionen habe, was sicher auch für Olaf Scholz, den Hamburger Bürgermeister, gelte. Aber jetzt müsse Martin Schulz Format entwickeln und beweisen, dass er die Partei aus der Krise führen kann.
Die unklare Lage in Deutschland nach der Wahl will man von SPD-Seite nicht für Personalspekulationen nutzen, schließlich wisse niemand, ob Angela Merkel erfolgreich eine Jamaika-Koalition zustande bringe. Und wenn sie das nicht schaffe, müsse man sich im Willy-Brandt-Haus und auf allen Ebenen der Partei in Stadt und Land auf die dann folgende Diskussion einstellen. Man werde erleben, wie dann die Bildzeitung, wie Gewerkschaften und Industrieverbände, wie die Union mit Merkel sich an die SPD wenden würden mit dem Appell, ihre Oppositionshaltung aufzugeben und um der Staatsräson willen einer erneuten großen Koalition zuzustimmen. Das wolle zwar zur Zeit kaum einer in der SPD, aber die Stimmungs-Lage könne sich dramatisch verändern. Und für diesen Fall müsse man gewappnet sein. Was nicht bedeuten müsse, dem Drängen nachzugeben.
Vorpolitischen Raum besetzen
Den Weg in die Opposition geht die SPD bewusst, das Desaster vom Sonntag vor Augen. Zudem will man den Rechtspopulisten der AfD nicht die Führungsrolle in der Opposition überlassen. Man stelle sich vor, die Kanzlerin gebe eine Regierungserklärung ab und auf Oppositionsseite hätte als erster Herr Gauland von der AfD das Wort. Schrecklich. Aber auch programmatisch will sich die Partei mehr Zeit nehmen, um sich neu aufzustellen oder alte Positionen, die weiter wichtig sind, die man aber nicht mehr besetzt hatte, wieder einzunehmen. Da ist zum Beispiel die Erkenntnis, die schon einer der Vordenker der SPD in den 70er Jahren, Peter Glotz, der Partei ans Herz gelegt hatte: Man müsse den vorpolitischen Raum besetzen, heißt, in den Verbänden präsent sein, Flagge zeigen, Mitglied in Vereinen werden, bei den Kirchen mitarbeiten, bei den Gewerkschaften, den Wohlfahrtsverbänden. Was leichter gesagt ist als getan, weil es mit viel unbezahlter Arbeit zu tun hat.
Fehler sind überall gemacht worden. So klagt der frühere OB von München, Christian Ude,(nachzulesen in der Süddeutschen Zeitung) dass die SPD zu viele Themen anderen Parteien überlassen habe. Er habe früher in jedem Wahljahr bei mindestens 30 großen Betriebsversammlungen gesprochen, heute sei das Thema Arbeit und Wirtschaft in den Händen der CSU, er habe unentwegt Mieterversammlungen in Spekulationsgebieten besucht, das überlasse man längst dem Mieterverein oder anderen Initiativen, die SPD sei früher aktiv in jüdischen Gemeinden gewesen, in der griechischen Community, bei den Münchnern in der Türkei, die SPD habe sich fast vollständig aus dem Hochschulleben verabschiedet, die schwul-lesbische Szene sei in der Hand der Grünen. Und noch etwas hat Ude beobachtet: die Münchner SPD definiere sich zu 90 vh über Minderheiten-Themen, auch über Flüchtlinge, was er begrüße, dabei dürfe man aber andere Bereiche, wie die gesamte Sicherheits-, Renten- und Steuerpolitik nicht aus dem Auge verlieren. In München ist die SPD erstmals nur dritte Kraft- mit spärlichen 16,2 Prozent.
Einheimische in Diskussionen einbeziehen
Im Wahlkampf hat die SPD festgestellt, dass sie inhaltlich so nah wie selten an den Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden war, gemeinsame Veranstaltungen habe es dennoch nicht gegeben. Heute stelle man sich die Frage, warum wir nicht stärker in die Gesellschaft eingedrungen sind. An Themen sei kein Mangel, zum Beispiel beschäftige viele Bürgerinnen und Bürger die Frage der Ausbildung, die Entwicklung der Renten, der Pflege, der Armut im Alter. Nicht zu vergessen die Fragen der Migration, die Einbeziehung der Einheimischen in diese Diskussionen. „Wir bauen doch nicht nur für Flüchtlinge mehr Wohnungen, sondern wollen selbstverständlich auch den deutschen Bürgern bezahlbaren Wohnraum hinstellen“, betont ein führender Sozialdemokrat. Er räumt ein, dass da Fehler passiert seien, weil man die Einheimischen auch überfordert habe, so geschehen im Essener Norden, aber auch in Deggendorf in Niederbayern. Die Verteilung der Flüchtlinge müsse sorgsamer geplant und ausgeführt werden.
Das Gerechtigkeits-Problem dürfe man auch nicht vernachlässigen, die wachsende Ungleichverteilung von Vermögen und Chancen. Die SPD sei zudem in Europa gefordert, gerade als Gegenmacht zur Rückentwicklung auf das Nationale, wie das in Polen, Ungarn und anderswo geschehe und auch hier bei uns durch die AfD präsentiert werde. Die SPD müsse dazu beitragen, die europäische Idee weiterzuentwickeln. Hierzu passt die Aussage der neuen SPD-Fraktzionschefin Nahles, die SPD werde die Europapartei sein. Nahles will die SPD zurück zu den Wurzeln führen, hin zu den Sorgen der Arbeitnehmer, dem digitalen Kapitalismus will sie die Zähne ziehen. Die nunmehr ehemalige Arbeitsministerin hat ihre vornehme Zurückhaltung gegenüber ihren einstigen Kabinettskollegen von der Union abgelegt, ein wenig krawallig drohte die einstige Juso-Chefin: „Ab morgen kriegen sie in die Fresse.“ Sie wird- zusammen mit Schulz, die Konfrontation mit Merkel suchen. Denn das Ziel ist hochgesteckt: „Wir gehen nicht in die Opposition, um in der Opposition zu bleiben.“
Bildquelle: Wikipedia, User Mettmann, CC BY 3.0