Der Fall der Grünen-Abgeordneten Elke Twesten, die nunmehr der CDU angehört, wie auch der Streit über den Umgang der Politik mit VW offenbart wieder einmal die Heuchelei in der politischen Debatte. Dass eine Abgeordnete eine Partei verlässt, ist nichts Neues und auch erlaubt. Merkwürdig nur, dass Elke Twesten von einem Entfremdungsprozess von den Grünen spricht und damit ihren Wechsel zur CDU begründet oder besser verbrämt. Unterschlägt doch die Frau, was sie an anderer Stelle auch schon mal gesagt hatte und was ehrlicher klingt: Dass sie nämlich aus Enttäuschung darüber, dass die Grünen sie nicht mehr für den nächsten Landtag nominiert hatten, ihre alte Partei verlassen und damit eine Regierungskrise in Niedersachsen ausgelöst hat, die in wenigen Wochen zu einer Neuwahl des Landtags führen wird.
Dass es bei der Neuwahl zur Abwahl des Ministerpräsidenten Stephan Weil(SPD) kommen kann, ist dabei keine Sensation. Sein Vorsprung im Landtag betrug ohnehin nur eine Stimme. Und die ist jetzt weg. Legt man Umfragen und die jetzige Stimmung im Lande zu Grunde, wird Rot-Grün von Schwarz-Gelb abgelöst. So ist halt Politik, der Wechsel gehört zur Demokratie dazu. Aber noch einmal zum Wechsel der Grünen-Politikerin zur CDU: Sie darf sicher ihre Meinung ändern, aber wäre es nicht sauberer, wenn sie das Mandat an die Grünen zurückgeben und es nicht der politischen Konkurrenz schenke würde? Sie ist über die Landesliste in den Landtag gekommen, den Platz verdankt sie den Grünen. Ich wiederhole, was ich schon mal geäußert hatte: Die Sache hat ein Geschmäckle.
Moral und Anstand,Posten und Pfründe
Ja, ich weiß, dass der Schritt von Frau Twesten legal war, also rechtens, aber ist er auch legitim, im Sinne von anständig? Die Frage ist halt, ob Moral und Anstand etwas zu suchen haben in einem Geschäft, in dem Posten und Pfründe vorherrschend sind und das Gemeinwohl in den Hintergrund tritt, um nicht zu sagen: unter die Räder kommt. Es macht es nicht besser, wenn Frau Twesten behauptet, sie habe bei ihrem Schritt kein schlechtes Gewissen gehabt. Und was die übrigen Verdächtigungen betrifft, bleibt abzuwarten, was am Ende dabei herauskommt. Noch ist nicht bewiesen, dass die CDU ihr ein Angebot gemacht hat, damit sie die Seiten wechselt. Dass die CDU das bestreitet, war klar. Nur haben wir schon einige Fälle erlebt, wo man zunächst empört auf derlei Unterstellungen reagierte, später aber die Hosen ganz runterlassen musste und dann sah die Wahrheit schon ganz anders aus.
Empörung ist das nächste Stichwort in diesem Schmuddel-Spiel. Dass der niedersächsische Ministerpräsident Weil vor Jahr und Tag seine Rede an VW geschickt hatte, damit man sie dort juristisch prüft, um Schaden vom Unternehmen Volkswagen abzuwenden, fand ich zunächst merkwürdig und wollte es nicht glauben. Wieso brauchen unsere Politiker grünes Licht von Wirtschaftsunternehmen? Weil Herr Weil im Aufsichtsrat von VW sitzt und das Land Niedersachsen 20 Prozent am Konzern hält? Diese Verquickung von Politik und Wirtschaft finde ich abstoßend und ja empörend, weil sie Vermutungen zulässt, die Wirtschaft rede der Politik auf direktem Wege drein. Aber dass sich FDP und CDU auch darüber empören, obwohl die schwarz-gelbe Vorgängerregierung sich genauso verhalten hat, das ist nichts anderes als Heuchelei. Man heuchelt Empörung, um draußen Stimmung zu machen gegen die rot-grüne Regierung, dabei hat man es selber nicht besser gemacht. Und noch eins: Die Rede Weils ist doch mit allen Anmerkungen von VW im Wirtschaftsausschuss des Landtags öffentlich gemacht worden und CDU- wie FDP-Abgeordnete hatten gegen das Verfahren nichts einzuwenden. Aber jetzt so zu tun, als trage man selber eine weiße Weste, das ist schon unverschämt.
Dieser-Fahrer ist der betrogene
Somit komme ich in diesem Schmieren-Theater zu anderen Darstellern, nämlich denen der Autoindustrie. Die Käufer von Diesel-Fahrzeugen wurden jahrelang betrogen. Der Diesel-Fahrer wusste nichts von den Schummeleien rund um das Ausmaß der Stickoxid-Verschmutzung der Umwelt durch Diesel-Fahrzeuge. Er kaufte Diesel, auch weil es hieß, durch den geringeren Verbrauch werde die CO-2-Verschmutzung der Luft verringert. Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, wo sich der Diesel-Fahrer im Grund schämen muss, mit einem solchen Auto zu fahren und damit die Gesundheit der Mitmenschen zu gefährden.
Man darf davon ausgehen, dass die Selbstanzeige von Daimler erst wegen der bevorstehenden Aufdeckung des Umwelt-Skandals erfolgte. Und natürlich hat Martin Winterkorn, der einst mächtige Vorstandschef von VW und beste Schrauber des Konzerns, damals von alledem nichts gewusst. Überhaupt läuft die Debatte so, dass man alles tun muss, damit die deutsche Autoindustrie keinen Schaden nimmt. Da stehen ja Hunderttausende von Jobs auf dem Spiel. Das Totschlagsargument darf hier nicht fehlen.
Die Rolle von Wissmann und Dobrindt
Und fehlen darf hier auch nicht ein mächtiger Lobbyist, der früher mal Bundesverkehrsminister war und heute Präsident des VDA ist. Die Rede ist von Matthias Wissmann, einst auch CDU-Bundestagsabgeordneter und einer der wenigen Zeitgenossen, die die Handy-Nummer der Kanzlerin Angela Merkel haben. Und dieser Wissmann hat natürlich vor einer Beschädigung des Made in Germany gewarnt, gerade so, als wäre der Verbraucher der Böse. Und/oder die Presse. Ein Teil des Deutschlandbildes müsse geschützt werden, hat Wissmann gefordert. Frage: Wer, Herr Wissmann, hat das Bild denn beschädigt? Von einer kulturellen Neudefinition ist die Rede, weitere Nebelkerznen werden geworfen, in dem von „mehr Selbstreflexion üben“ gefaselt wird. Und natürlich dürfe es keine Vorverurteilungen und keine Pauschalurteile geben. Noch einmal Herr Wissmann und die anderen Auto-Freunde in den Parlamenten und Parteien: Wer trägt denn die Schuld an dieser unsäglichen Debatte um den Diesel, in die viele verwickelt sind? Und man könnte hier auch nach dem amtierenden Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt(CSU) fragen. Welche Rolle spielt er eigentlich in diesem Skandal? „Hat Alexander Dobrindt nicht einmal einen Eid geschworen, Schaden vom Volk abzuwenden? Er sah seine Rolle wohl eher darin, Schaden von der Automobilindustrie abzuwenden?“ Diese Frage hat ein Leser der Süddeutschen Zeitung gestellt. Zu Recht. BMW, Audi, Porsche, VW, Daimler, das sind alles mächtige Konzerne, die in Deutschland eine wichtige Rolle spielen. Ihre vermutete Kungelei hat einen mächtigen Schaden angerichtet, den sie ausgelöst haben. Und dafür müssen sie die Verantwortung übernehmen.
Man erspare uns in dieser Debatte jede weitere Heuchelei. Mit Ehrlichkeit und Transparenz wäre mehr gewonnen.
Bildquelle: Wikipedia, nibbler, nibbler.de, CC BY-SA 2.0 de
Zum Dieselgate:
Es nützt wenig, die Firmen zu bestrafen. Solange die verantwortlichen Manager ungestraft davon kommen, werden die Betrügereien weiter gehen: die Strafe zahlt die Firma. Diese und ihre restlichen Angestellten, bei dem gehabten Umfang auch die gesammte BRD, gehören genau so zu den Geschädigten, wie die Fahrzeughalter, die Umwelt und vor allem die gesundheitlich Betroffenen. Aber die Bosse wird man nicht angreifen, bestenfalls gibt es ein paar Bauernopfer. Die wirklichen Drahtzieher wissen viel zu viel über die Schwächen der Politiker und die finanziellen Schwächen der Parteien. Und die Staatsanwälte? Die sind in Deutschland weisungsgebunden (; darüber regt sich gerade schön laut im Falle Polen auf). Ihr habt die Wahl – demnächst.