Die Ehefrauen und Töchter vor allem der ersten türkischen Gastarbeitergeneration werden nicht mit einer ambitionierten Berufstätigkeit in Verbindung gebracht. Bekannt ist vielmehr das Bild der intellektuell einfältigen Kopftuchfrau, die bei Gemüsehändlern oder in Kebap-Buden hinter der Kasse steht. Beim jüngsten Netzwerk-Treffen von Unternehmerinnen und Akademikerinnen mit türkischen Wurzeln in Köln, das der Herausgeber der türkischsprachigen Frauenzeitschrift „Kadınca“ (weiblich) initiierte, wurde deutlich, wie sehr uns Betroffene die Hartnäckigkeit dieses Klischees innerlich weh tut. Denn immer noch wird angenommen, wir türkisch-muslimischen Frauen seien alle unselbstständig, ungebildet und von unseren Männern unterdrückt. Frauen, die im öffentlichen Leben als Politikerinnen, Journalistinnen oder Geschäftsfrauen ihren Weg gehen, werden von der Mehrheitsgesellschaft als die große Ausnahme betrachtet.
Doch diese Wahrnehmung ist nicht richtig. Der überwiegende Teil der türkischen Frauen hierzulande ist nicht zwangsverheiratet, erlebt keine Gewalt in der Familie und auch keine Unterdrückung seitens der Männer. Das will nicht heißen, dass es dies alles nicht gibt. Doch es findet ein Wandel statt, der sich nicht zuletzt auch an der Tatsache zeigt, dass türkische Mädchen mittlerweile bessere Noten schreiben und häufiger Abitur machen als türkische Jungen; auch ihre Ausbildungen schließen sie besser ab. Darüber hinaus werden viele erwachsene Frauen, die sich beruflich in vielerlei Hinsicht entwickeln, während der Kinderzeit von ihren Männern und Familien genauso gut unterstützt, wie es hierzulande üblich ist oder auch nicht. Derzeit sind nur 50 % der türkischen Frauen im Alter zwischen 18 und 29 Jahren verheiratet. Dies zeigt, dass ihr Heiratsalter hier in Deutschland stark gestiegen ist.
Lebenswirklichkeiten der türkischen Frauen
Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass das Netzwerktreffen im alten Kölner Klub des Wassersportvereins, der von einer türkischen Betreiberin als Bistro und Restaurant geführt wird, ausgesucht wurde. Das Treffen fand an einem Sonntagmorgen statt. Der Fühlinger See, das beliebte Naherholungs- und Wassersportgebiet für Familien im Kölner Norden glänzte in der Sonne. Die Mütter diskutierten drinnen und die Väter spielten am Wasser im Sand mit ihren Kindern. Fast 100 Frauen kamen und alle beteuerten, sich künftig gegenseitig noch viel stärker unterstützen zu wollen. Bei der Vorstellung verschiedener Biografien war auch ein gegenseitiger Stolz spürbar, denn keine von uns hatte es leicht – nicht die Kriminaloberkommissarin oder die Frisörmeisterin, nicht die Anwältin für internationales Vertragsrecht, Jungunternehmerinnen, die Ärztin oder Museumsdirektorin. Selbst die Frauen aus der zweiten Gastarbeitergeneration waren vielfach noch in einem bildungsfernen Milieu aufgewachsen, in dem ihnen die Eltern oft keinen besseren Weg ebnen konnten. Auch sie mussten sich mühsam durchkämpfen, oft auf dem Zweiten Bildungsweg. Junge Architektinnen, Lehrerinnen und Hochleistungssportlerinnen aus der dritten Generation erzählten bei dem Treffen ihre Lebensgeschichten. Alle waren sich einig, dass solche Begegnungen oft und auch überregional sowie mit deutschen Unternehmerinnen und Selbstständigen stattfinden müssten. Der Kontakt zu deutschen und anderen gleichgesinnten Frauen wäre leider zu gering. Irgendwie würden sie es nicht schaffen, in deren Kreise aufgenommen zu werden. Sie möchten zu den Akteuren zählen, die sich für den Industriestandort Köln und die rheinische Region engagieren.
Es war aber keine Selbstbeweihräucherung zwischen uns, sondern wir haben uns auch mit den kritischen Faktoren befasst, die die türkische Kommunity in Deutschland betreffen. Unser Selbst- und Fremdbild in Deutschland und auch in der Türkei wurde intensiv beleuchtet. Als da wäre beispielsweise die hohe Quote der Schul- und Ausbildungsabbrecher: Rund 29 Prozent der türkischstämmigen Jugendlichen verlassen das deutsche Schulsystem ohne jeglichen Abschluss. Nur elf Prozent der türkischstämmigen Jugendlichen machen das Abitur. An dieser Stelle konnten wir alle erfahren, wie groß das Engagement der Unternehmerinnen für die Jugend ist: Fast alle führen Ausbildungsbetriebe und sind über das „normale“ Maß hinaus auch bereit, den Jugendlichen wie auch deren Eltern in Konfliktsituationen zu helfen. Ehrenamtliche Integrationsarbeit ist nicht nur in der eigenen Kommunity eine Selbstverständlichkeit, sondern gilt auch der Unterstützung junger Flüchtlinge.
Existenzgründung von Migranten/innen
Zur Sprache kam auch das Thema der Existenzgründung, staatliche Unterstützung und Weiterbildung. In der öffentlichen Diskussion nehmen diese Felder einen wichtigen Stellenwert ein, weil diese generell als eine Teilstrategie angesehen werden, um Integrations- und Arbeitsmarktprobleme abzumildern und zu lösen. So haben derzeit etwa 73.000 Selbstständige in Deutschland einen türkischen Migrationshintergrund. Das sind zwar nur 1,8 Prozent aller Selbstständigen insgesamt, aber 7,4 Prozent aller türkischstämmigen Berufstätigen (zum Vergleich sind elf Prozent aller Berufstätigen in Deutschland selbstständig). Dem Zentrum für Türkeistudien zufolge werden es bis 2020 bereits 130.000 türkischstämmige Menschen sein, die sich in Deutschland selbstständig machen werden. In dieser Gruppe steigt im Schnitt auch das Bildungsniveau. Denn Gleichberechtigung sowie der freie Zugang zu Kapital und Bildung schaffen die Rahmenbedingungen für den Schritt in die Selbständigkeit. Dabei ist nicht zu unterschätzen: Nationale und internationale Vernetzung und Kooperation spielen eine ganz wichtige Rolle.
Noch vor 10 Jahren gab es nicht viele Einrichtungen, die sich mit der Existenzgründung von Menschen mit Migrationshintergrund beschäftigten. Inzwischen gibt es eine Reihe an Beratungs- und Qualifizierungs-Angeboten für diese Zielgruppe, die aber noch nicht in einem ausreichenden Maße genutzt werden. Die interkulturellen Kommunikationswege der deutschen Institutionen könnten, ja müssen noch verbessert werden. Dies und noch viel mehr wurde beim Netzwerktreffen am Fühlinger See in Köln thematisch angerissen. Es war ein guter Anfang für eine Austausch-Plattform, denn viele türkische Frauen stehen am Anfang einer Unternehmensgründung und haben viele Fragen. Sie wollen, dass ihre Existenzgründung langfristig erfolgreich ist. Sie wollen Kooperationen schließen und an regionalen Netzwerken partizipieren. Das Amt für Wirtschaftsförderung der Stadt Köln, die Industrie – und Handelskammer, Handwerkskammer und andere Verbände sollten die Frauen nicht allein lassen. Denn sie erziehen die nächsten Bundesbürgergenerationen, sind Vorbilder in der Kommunity und könnten zu wichtigen interkulturellen Brückenbauerinnen werden.
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