Folgt man Umfragen, dann ist die Wahl am 24. September so gut wie entschieden. Die Union mit Kanzlerin Angela Merkel liegt seit einiger Zeit ziemlich unangefochten bei rund 40 vh der Wählerstimmen, die SPD verharrt bei einem Wert von etwa 25 vh. Der SPD-Kanzlerkandidat und Parteichef Martin Schulz ist damit an einem Punkt angekommen, der kaum besser ist als zu Zeiten eines Sigmar Gabriel. Dass Gabriel als Außenminister in der Beliebtheitsskala in die Spitzengruppe vorgerückt ist, darf nicht verwundern. Außenminister gehörten immer schon zu den beliebtesten Politikern der Republik.
Dass Merkel und die Union bei Umfragen so gut abschneiden, hängt auch mit der Stimmung der Deutschen zusammen. Den meisten geht es gut, nicht wenigen sogar sehr gut. Warum also was ändern? Diese Zufriedenheit bedeutet aber nicht, dass es nichts zu verbessern gäbe. Der Kampf um mehr soziale Gerechtigkeit, vor allem von Martin Schulz propagiert, ist berechtigt, auch wenn er nicht einfach zu führen ist, vor allem dann nicht, wenn die SPD ja selber seit Jahren mitregiert als Junior-Partner unter Angela Merkel.
Verlierer und Abgehängte
Schulz und die SPD sollten sich auf der Suche nach Wählern dort umschauen, wo es weh tut, wo es nicht so glänzt. Sie sollte mit den Arbeitslosen reden, mit denen, die sich abgehängt fühlen, die nicht mithalten können. Sie sollte sich mit den kleinen Angestellten und kleinen Arbeitern unterhalten, mit den Frauen in Pflegeberufen, den Krankenschwestern, den Millionen Alleinerziehenden. Frauen, die an den Kassen der Supermärkte sitzen, gehören nicht zu den Auserwählten dieser Gesellschaft. Das trifft auch für manche Bus- und Taxifahrer zu, für viele Teilzeitbeschäftigte. Auch Künstler, zumal wenn sie freiberuflich sind, verdienen oft so wenig, dass sie kaum über die Runden kommen. Die Wohnungen sind zu teuer, zumal in den Innenstädten kann selbst der Normalverdiener die Miete nicht bezahlen, geschweige denn die Belastungen, um eine Wohnung zu kaufen.
Ja, es ist wahr, vielen geht es gut, aber vielen geht es auch nicht gut. Und wem es nicht gut geht, der weiß auch nicht, wie er die Aus- und Weiterbildung seiner Kinder bezahlen soll. Wer nicht genügend Geld hat, kann kaum ins Kino gehen oder ins Theater, der wird kaum in der Lage sein, in den Urlaub zu fahren. Und wie soll er seinen alten Diesel ersetzen, wenn jetzt ein Fahrverbot droht? Warum eigentlich wird diese Diskussion nicht viel härter und nachdrücklicher gegen die Autobauer geführt, gegen die Manager, die mit den hohen Gehältern und zusätzlichen Boni? Der Diesel-Fahrer ist doch Opfer, Täter sind die anderen in den Chefetagen. Wofür bekommen sie eigentlich die Riesen-Gehälter und Boni, wenn sie keine Verantwortung für Fehlentwicklungen zu tragen haben, an denen sie selber maßgeblich mitgewirkt haben? Der kleine Arbeiter und der/die kleine Angestellte bei VW, Daimler, Audi sind doch die ersten, die auf der Straße landen, wenn Stellen gekürzt werden, weil man Milliarden-Dollar/Euro an Entschädigungen zu zahlen hat. Warum eigentlich hat VW nur in den USA gezahlt, was ist mit den Kunden in Deutschland? Mit welchem Recht bekommen die Männer in den feinen Beinkleidern noch obendrein eine Betriebsrente, von der ganze Straßenzüge leben könnten, so hoch sind sie? Gibt es nicht, glauben Sie nicht? Fragen Sie mal bei VW nach. Einer der Oberprofiteure heißt Winterkorn.
Spaltung der Gesellschaft
Doch, wir brauchen einen Gerechtigkeitswahlkampf, weil die Kinderarmut zunimmt. Nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auch in anderen Großstädten ist das zu besichtigen. Wenn die Eltern keinen Job haben, Hartz-IV-Bezieher sind und deren Kinder vor einer ähnlichen „Karriere“ stehen. Wer kümmert sich um die vielen kleinen und ganz jungen Verlierer? Dieses Land gilt als reich, aber wir haben viele, zu viele, die abgehängt sind von diesem Aufstieg. Die Spaltung der Gesellschaft in wenige Reiche und viele Arme ist seit längerem im Gange. Den Verteilungskampf wird es irgendwann geben, so oder so. Wer tut was dagegen?
Wer so argumentiert, muss sich gefallen lassen, dass er kritisiert wird. Und zwar von denen, die an reich gedeckten Tischen sitzen, die sich sorgen um ihre vielen Privilegien. Sie haben das Geld und damit oft genug die Macht, diese Debatte in ihrem Sinn zu führen. Dagegen zu halten ist nicht leicht, weil die da oben die Meinungsführerschaft haben. Auch in den Medien. Aufstieg durch Bildung, das war mal ein Thema der SPD, Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand, sozialer Wohnungsbau, der den Namen verdient, gerechtere Löhne und Gehälter, Gleichberechtigung für Frauen. Die SPD hat einige der Themen anderen Parteien überlassen, darunter der Linken. Die alte Arbeiterpartei muss sich wieder auf ihre Wurzeln besinnen, muss sich um die kümmern, die nicht die Gewinner, sondern die Verlierer sind und dies nicht immer aus eigenem Versagen. Sie muss ihre Identität zurückgewinnen als Partei der sozialen Demokratie, um wieder mehrheitsfähig zu werden. Es gibt eine Menge zu tun, damit es gerechter zugeht in diesem Land.
Bildquelle: Wikipedia, Karikatur aus dem «Neuen Postillon», Zürich, Schweiz 1896, gemeinfrei