Man mag es einfach nicht glauben: Auch in diesem Sommer müssen viele tausend Lehrer zum Arbeitsamt. Mit Beginn der Ferien sind diejenigen, die bislang nicht verbeamtet, sondern nur angestellt wurden, wieder arbeitslos. Entweder bekommen sie Arbeitslosengeld, wenn sie bereits zuvor den Anspruch darauf erworben haben, oder sie werden Hartz IV-Empfänger.
Im vergangenen Jahr wurden rund 5.800 arbeitslose Lehrer in deutschen Landen gezählt. Fast 60 % davon waren jünger als 35 Jahre, mehr als 60 % weiblich. Landauf, landab werden Defizite im Schulunterricht beklagt, weil es an Lehrern fehlt. Die Bundeskanzlerin hat die Bildungsrepublik ausgerufen. Alle politischen Parteien setzen auf bessere Schulen, Bildung und Qualifizierung.
Ohne Lehrer werden solche Forderungen gewiss nicht zu realisieren sein. Lehrer ist ohnehin einer der wichtigsten, vielleicht sogar der wichtigste Beruf. Denn ohne Lehrer könnten wir alle weder lesen noch schreiben und rechnen. Selbst im Zeitalter der Digitalisierung wird das noch gelten. Längst ist auch bekannt, dass an vielen Schulen die Lehrer im Durchschnitt recht alt sind und eine große Zahl der Lehrkräfte schon bald in den Ruhestand gehen wird.
Vielfach wurden mit Lehrern, die nur einen Zeitvertrag erhielten, die Lücken mehr schlecht als recht geschlossen. Solche Zeitverträge liefen durchweg vor Beginn der etwa sechswöchigen Sommerferien aus und endeten für die Betroffenen bei der Arbeitsagentur, also in der Arbeitslosigkeit. In Baden-Württemberg traf das im letzten Jahr 1.800, in Hessen 860, in Rheinland-Pfalz 800 und im Freistaat Bayern 680 Lehrer, während es in Sachsen gerade einmal 20 waren. Auch in diesem Sommer wird der Befund nicht wesentlich anders aussehen. Ministerpräsidenten und andere Mitglieder der Landesregierungen, vor allem die Kultusminister, sind für diese absurde Entwicklung verantwortlich, dass etwa 8.000 Lehrer und Referendare nun zumindest für eine Zeit ihren Job und ihr Einkommen verlieren. Das mag die Kasse der Länder ein wenig entlasten und die Finanzminister erfreuen. Doch ist das das größte Armutszeugnis für die Bildungsrepublik Deutschland.
Die Kultusministerkonferenz, die sich in der Vergangenheit mit G8 oder G9, mit der Rechtschreibreform und ähnlichen verrückten Beschlüssen wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert hat, wird gewiss auch hier keine Abhilfe schaffen. Doch sollte die Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Ministerpräsidenten direkt einwirken, Seehofer, Bouffier, Kretschmann & Co. wirklich wachrütteln und auf eine Entfristung der Einstellungen von Lehrern dringen. Immerhin haben die Länder und Kommunen gerade in jüngster Zeit einige Milliarden Euro-Beträge vom Bund erhalten, damit die Infrastruktur der Schulen verbessert werden kann. Doch helfen schönere Klassenzimmer, bessere Turnhallen und saubere Toiletten wenig, wenn es an Lehrern fehlt. Bildung und Erziehung zu vermitteln – das ist durchweg ein harter Knochenjob. Dafür sind qualifizierte und vor allem motivierte Lehrkräfte erforderlich. Denn sie legen das wichtigste Fundament für die Zukunft unseres Landes, sie tragen entscheidend zur Bildung des „Humankapitals“ bei – und damit zum einzigen „Rohstoff“ und zur bedeutendsten „Ressource“, über die wir in Deutschland verfügen.
Zudem ist mit der Bildung allein die Chancen-Gerechtigkeit zu erreichen. Sie entscheidet vor allem darüber, welche Möglichkeiten und Wege sich für den Einzelnen in Wirtschaft und Gesellschaft eröffnen. Alle politisch Verantwortlichen sind deshalb gefordert, insbesondere mit dem „deutschen Lehrkörper“ an Schulen und Hochschulen pfleglich umzugehen und Lehrern die hohe gesellschaftliche Anerkennung, die sie verdienen, zuteil werden zu lassen. Die verbreitete Sommerarbeitslosigkeit sollte alle aufschrecken, denn sie stellt einen Missbrauchstatbestand des Staates dar. Da hilft es auch wenig, wenn auf die insgesamt geringe Arbeitslosenquote bei Lehrern verwiesen wird. Denn immer weniger von den Besten werden so den Lehrerberuf als besonders attraktiv und geschätzt empfinden.
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Vielen Dank für diesen Beitrag! Höchste Zeit, dass diese unsoziale und für die Bildung und Erziehung an unseren Schulen schädliche Praxis des ‚hire and fire‘ an den Pranger gestellt wird!
In der Zeit, die eigentlich zur Nach- und Vorbereitung da Unterrichts, zur Fortbildung und – natürlich – zur wohlverdienten Erholung und Regeneration dient, müssen diese Lehrerinnen und Lehrer sich um ihr finanzielles Auskommen und ihre Wiedereinstellung sorgen. Bekommen sie schließlich tatsächlich einen neuen (befristeten) Vertrag, unterrichten sie häufig in der gleichen Schule, in den gleichen Klassen und Fächern wie vor den Ferien! Sowas nennt man eigentlich Kettenvertrag. Und Kettenverträge sind im öffentlichen Dienst nicht zulässig.
Hinzu kommt, dass die Arbeit dieser Lehrerinnen und Lehrer die gleiche wie die ihrer fest angestellten Kolleginnen und Kollegen ist.
Es ist u.a. auch diese Beschäftigungspraxis, die Studierende schon jetzt zunehmend davon abhält, den Lehrerberuf zu ergreifen. Angesichts der kommenden Pensionierungswelle und gleichzeitig steigender Schülerzahlen wird man dann wohl wieder auf verkürzt ausgebildete Seiteneinsteiger und Berufswechsler setzen (müssen?), um die unterrichtliche Versorgung zu sichern. Das hatten wir in NRW vor Jahren schon …