Im Jahre 2000 wurden noch über 1.700.000 junge Menschen in deutschen Betrieben ausgebildet. Die Zahl der Azubis ist seither von Jahr zu Jahr zurückgegangen – auf inzwischen rund 1.300.000. Die duale Ausbildung im Unternehmen und in der Berufsschule stellt ein wichtiges Element der wirtschaftlichen Stärke unseres Landes dar. Die meisten Länder der Welt beneiden uns darum. Vor allem bietet eine solide berufliche Ausbildung im Handwerk, Handel und Gewerbe, in der Industrie und in Banken die beste Garantie gegen Arbeitslosigkeit. In kaum einem anderen Staat ist die Jugendarbeitslosigkeit so gering wie in Deutschland.
40.000 unbesetzte Lehrstellen
Während noch Anfang dieses Jahrhunderts viele Politiker Firmeninhaber in ihren Wahlkreisen dringend bitten mussten, noch den einen oder anderen Lehrling zusätzlich auszubilden, hat sich die Szene völlig verändert. Heute kann etwa jeder dritte Betrieb nicht alle Lehrstellen besetzen: In Westdeutschland klagen rund 25 %, in Ostdeutschland sogar 40 % darüber, dass sie nicht genug Lehrstellenbewerber finden. Im letzten Jahr erhielten 15.000 Betriebe keine einzige Bewerbung auf die Azubi-Positionen.
In diesem Jahr werden schätzungsweise mehr als 40.000 Lehrstellen unbesetzt bleiben. Vor allem die Firmen in den Bereichen Gastronomie, Bau, Transport und Logistik sowie Handel suchen verzweifelt nach Lehrjungen und -mädchen. Waren vor Jahren die Lehrherren noch recht wählerisch bei der Auswahl der Azubis, sind sie inzwischen oft bereit, auch Schulabgängern mit Schwächen beim Rechnen, Lesen und Schreiben einen Ausbildungsvertrag zu geben. Nicht wenige Unternehmen sind zudem bereit, mit innerbetrieblichen Maßnahmen die Schwächen mit Nachhilfen zu beheben. Allerdings beklagen viele Betriebe andere persönliche Defizite bei jungen Bewerbern, nämlich mangelnde Motivation, Disziplin, Belastbarkeit, Teamfähigkeit und Umgangsformen.
Immer mehr Studenten
Viele Jugendliche streben in Richtung Universität und Fachhochschule. In diesem Jahr wird es zum ersten Mal mehr Studienberechtigte als Hauptschüler geben. Die Zahl der Akademiker steigt weiter kräftig an. Allerdings brechen über ein Drittel der jungen Menschen ihr Studium ab. Die Wirtschaft hofft darauf, zumindest einen Teil dieser Studienabbrecher als Azubis in die Betriebe locken zu können. Wer das Abitur vorweist, der kann in kürzeren Zeiten -zumeist in 2 Jahren- einen ordentlichen Beruf erlernen und einen Abschluss erreichen.
Azubi-Reservoir: Flüchtlinge
Zunehmend interessieren sich die Betriebe für Migranten. Bereits 7 % der Firmen in Industrie, Handwerk und Handel bilden junge Flüchtlinge aus. Insgesamt sind das bereits 15.000 junge Flüchtlinge. Ihnen werden Einstiegsqualifizierungen, also eine staatlich bezuschusste, anrechenbare Schnupperlehre, oder zielorientierte Praktika geboten. Allerdings dauert es wegen der bürokratischen Überprüfungen der jungen Flüchtlinge durchweg eine lange Zeit, bis sie in den Qualifizierungsprozess gelangen: Durchschnittlich sind es 19 Monate, bis ein Migrant eine Ausbildung antreten kann. Die Unternehmen beklagen dies gewiss zu Recht und fordern, dass die Behörden flexibler und kooperativer arbeiten sollten. Inzwischen haben Arbeitgeber und Gewerkschaften die „3 plus 2-Jahre-Regelung“ durchgesetzt, die darauf abzielt, dass Flüchtlinge für die Zeit der Lehre und 2 Jahre danach nicht abgeschoben werden.
Diese Regel wird indessen häufig nicht eingehalten. Nicht wenige Firmen berichten von gut integrierten Jugendlichen -etwa aus Afghanistan oder afrikanischen Staaten-, die dennoch von der Abschiebung bedroht sind. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) pocht auf die Einhaltung der „3 plus 2-Regelung“; der Schutz müsse von der Unterzeichnung des Ausbildungsvertrages an gelten. Die Arbeitgeber fordern den Abschiebeschutz auch für Flüchtlinge während der Zeit der Einstiegsqualifizierung, die als Brücke in die Ausbildung dient. Betriebe werden abgeschreckt, wenn sie damit rechnen müssen, dass junge Menschen in dieser Qualifizierungsphase abgeschoben werden.
Jugendliche aus Warteschleifen holen!
Schließlich sollten Unternehmen sich stärker als bisher auch auf Jugendliche konzentrieren, die sich in den Warteschleifen zwischen Schule und Ausbildung befinden. Der DGB weist darauf hin, dass „insgesamt 300.000 junge Menschen in dem Maßnahmedschungel des Übergangssystems feststecken“. Fast die Hälfte von ihnen verfügt über einen Hauptschulabschluss, ein Viertel sogar über einen mittleren Schulabschluss.
Wo so verzweifelt nach Azubis gesucht wird, muss auch über die Lehrlingsvergütung nachgedacht werden. Hier gibt es je nach Bereich bereits große Unterschiede. Am Bau wird wohl am besten bezahlt, in Schneidereien oder im Friseurgewerbe dagegen fallen die Lehrlingsvergütungen eher mäßig aus. Wirtschaft und Gesellschaft sowie Politik sollten viel stärker als bisher für die praktische Ausbildung werben. Denn der Wohlstand Deutschlands wird auch in Zukunft von gut qualifizierten Maurern und Schlossern, Mechatronikern und Bäckern ebenso abhängen wie von Juristen, Archäologen, Soziologen und Historikern.
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