Der Fall des chinesischen Nobelpreisträgers Liu Xiaobo, dem das Regime nicht einmal den letzten Wunsch vor seinem Tod erfüllte, nämlich in einem freien Land sterben zu dürfen, erinnert an die brutalen Behandlungen von Intellektuellen auch in anderen Diktaturen. Sie fürchten sich vor den Schriftstellern, Dichtern und Menschenrechtlern, deren einzige Waffe doch nur das Wort ist. Aber gerade deshalb sperren sie sie ein, misshandeln sie, schirmen sie ab und versuchen mit allen Mitteln, deren Werke nicht erscheinen zu lassen. Wie erbärmlich für eine Weltmacht wie China, die dabei ist, die Weltmärkte mit eigenen Produkten zu erobern, die sich aber ängstigt vor der geistigen Auseinandersetzung mit ihren eigenen Intellektuellen. Weil die ihnen die Stirn bieten.
Der „Unbeugsame“ überschreibt die „Süddeutsche Zeitung“ ihren Nachruf auf Liu Xiaobo. Als ihm im Dezember 2010 der Friedensnobelpreis im Rathaus von Oslo verliehen werden sollte, blieb sein Stuhl leer. Der Geehrte saß in einem chinesischen Gefängnis, verurteilt zu elf Jahren Haft. „Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt“, so sein Vergehen, ausgesprochen durch ein Gericht. Liu ließ seine Dankesrede durch die norwegische Schauspielerin Liv Ullmann verlesen. „Meine Straftaten haben unterschiedliche Namen“, so hatte der einerseits verurteilte und andererseits ausgezeichnete Autor es Ullmann aufgeschrieben. Und die SZ fasst die ganze Schuld von Liu in einem Begriff zusammen: „Sprechverbrechen“. Davor haben sie Angst, die Diktatoren in aller Welt. Deshalb sperren sie sie weg. Und im Fall von Liu wird sogar verhindert, dass chinesische Medien über seinen Tod berichten. Kein Text, keine Bilder.
Lius Vorbild war Vaclav Havel und die Charta 77
Wie billig für das Reich der Mitte, wie provinziell für eine solche Großmacht. Man lese den SZ-Text, der einfach Klasse ist und der dem Regime eine Note verpasst, die mit Mangelhaft noch unzureichend beschrieben wäre. Wie man mit Liu umgesprungen ist, mit seiner Krankheit, seinem Leberkrebs, der eingeschränkten Nierenfunktion. „Ein Kämpfer für die Demokratie in China reduziert auf schlechte Nierenwerte und Metastasen. … Erst weggesperrt, dann wegzensiert.“
Der Unbeugsame, ein sehr guter Titel für das Leben dieses Mannes, der sich nicht unterworfen, der keine Ruhe gegeben und der natürlich die Tyrannei nicht gelobt hatte. Und er hat geschrieben, was er wusste und was er gesehen und erlebt hatte. Er ließ sich nicht zum Schweigen bringen, als das Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens passierte und Tausende erschossen wurden. Kurz nach dem Blutbad wurde er das erste Mal festgenommen und ins Gefängnis gesteckt. Er schrieb ein Buch über das Massaker und forderte Reformen. Einige Jahre ließen sie ihn gewähren, dann schlug die Staatssicherheit wieder zu und sperrte ihn für vier Jahre weg. Vorbild seiner Arbeit sei die Charta 77 gewesen, damals in der Tschechoslowakei, einer der Autoren war Vaclav Havel, der später Präsident der tschechischen Republik wurde. Liu habe Havel als seinen „spirituellen Vater“ bezeichnet, so die SZ. in Anlehnung an die Charta 77 machten sie in China die Charta 08, unterschrieben von 303 Künstlern, Anwälten und Freunden. Zum 60. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte wurde die Charta 08 veröffentlicht, die Propaganda des Regimes machte aus Lius Mitwirkung die „schwarze Hand einer Subversion.“
Im Alter von 60 Jahren ist Liu Xiaobo gestorben. Ungebeugt, der Wahrheit verpflichtet, damit nicht vergessen wird, was damals geschah, 1989 auf dem Tiananmen-Platz.
Carl von Ossietzkys Bücher wurden verbrannt
Vergleiche hinken und werden den erwähnten Persönlichkeiten vielleicht nicht gerecht. Dennoch sei an den Fall Carl von Ossietzky erinnert, den Journalisten, Schriftsteller und Pazifisten und Herausgeber der „Weltbühne“, für die auch Kurt Tucholsky schrieb. Ende Februar 1933 wurde Ossietzky im Gefängnis Berlin-Spandau eingesperrt, die Nazis waren gerade an der Macht. Politische Gegner flohen ins Ausland, viele andere landeten hinter Gittern, Parteien wurden verboten und mit ihnen die Presse- und Meinungsfreiheit. So halten es Diktatoren fast immer, weil sie die freie Meinung fürchten, jagen sie ihre Vertreter, foltern sie oder schlagen sie tot. Im Mai 1933 wurden Bücher verbrannt, darunter die Werke von Ossietzky und Tucholsky. Die Hetze der Nazis lautete so: „Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften von Tucholsky und Ossietzky.“ Ossietzky wurde ins KZ Sonnenberg in der Nähe von Küsterin gebracht und dort schwer misshandelt. Dann folgte seine Verlegung ins KZ Esterwegen im Emsland.
Auch durch eine internationale Kampagne, die in Norwegen von Willy Brandt, der 1971 den Friedensnobelpreis erhielt, organisiert wurde, wurde Carl von Ossietzky 1936 der Friedensnobelpreis rückwirkend für das Jahr 1935 verliehen. Hermann Göring drängte Ossietzky, den Preis nicht anzunehmen, aber Ossietzky ließ sich von dem Nazi nicht einschüchtern. Auch dem Druck durch die Gestapo, dass er sich mit dem Preis aus der deutschen Volksgemeinschaft ausschließen werde, hielt Ossietzky stand. Er betonte, er sehe den Preis als Zeichen der Verständigung zwischen den Völkern. Ein Jahr danach verfügte Adolf Hitler, dass in Zukunft kein Reichsdeutscher mehr einen Nobelpreis annehmen dürfe. Ossietzky starb 1938,
Pasternaks Sohn nahm den Nobelpreis entgegen
Auch der Vergleich mit Boris Pasternak hinkt, gewiss, ist es aber dennoch Wert, in diesem Zusammenhang erwähnt zu werden. Der 1890 in Moskau geborene russische Dichter und Schriftsteller, Sohn jüdischer Eltern, erhielt 1958 den Nobelpreis für Literatur, den er aber aus politischen Gründen nicht annehmen konnte. Sein Hauptwerk „Doktor Schiwago“, in dem er die russische Revolutionszeit vor 1917 und danach kritisch beschrieb und sich auch über die Auseinandersetzungen zwischen den Intellektuellen und der revolutionären Obrigkeit ausließ, durfte in der UdSSR nicht erscheinen. Zuerst kam das Werk 1957 in Italien auf den Markt, dann wurde es in 18 Sprachen übersetzt. In der Sowjetunion konnte der weltberühmte Roman, der auch verfilmt wurde, erst 1987 unter Michail Gorbatschow veröffentlicht werden, nachdem Pasternak zuvor rehabilitiert worden war.
Den Nobelpreis nahm Pasternak nicht an, weil der Druck des kommunistischen Regimes zu groß gewesen war. Aus dem russischen Schriftstellerverband hatte man ihn ausgeschlossen. Die Geschichte hat aber eine kleine menschliche Pointe: Der Sohn von Pasternak nahm den Preis anstelle seines Vaters 1989 entgegen.
Heinrich Böll nahm Solschenizyn auf
Oder nehmen wir den Fall des Alexander Solschenizyn. Der erhielt für sein Werk „Archipel Gulag“ den Nobelpreis. Solschenizyn hatte in diesem Buch die stalinistischen Verbrechen an Millionen Menschen, die verbannt und in Lagern misshandelt und ermordet worden waren, geschildert. Der Schriftsteller wurde verbannt, dann durch Chruschtschow rehabilitiert, weil Chruschtschow die Verbrechen Stalins, der ein paar Jahre zuvor gestorben war, angeprangert hatte. Nach dem Tod von Chruschtschow war es vorbei mit der liberalen Linie, der KGB beschlagnahmte die Werke Solchenizyns, der Schriftstellerverband schloss ihn aus aus ihren Reihen. Den Nobelpreis erhielt er 1970, nahm ihn aber persönlich nicht entgegen, weil er fürchtete, man werden ihn nicht mehr in seine russische Heimat lassen. 1974 wurde er ausgewiesen, der deutsche Schriftsteller und Nobelpreisträger Heinrich Böll nahm ihn in seinem Haus in der Eifel auf. Später lebte Solschenizyn in den USA, erst 1990 wurde er rehabilitiert. 2008 starb er in seinem Haus in Moskau.
Quellen: Süddeutsche Zeitung, 14. Juli 2017, Feuilleton. Wikipedia.
Hallo Herr Pieper,
großartiger Artikel und ich stimme ihn zu: Widerstand und die freie Meinungsäußerung fürchten sämtliche Diktatoren, aber auch demokratiefeindliche Länder, wie China, sehr.
Viele Grüße