Irgendwo in Ostpreußen, zwischen Pferdekoppeln, Wäldern und Seen, wird einer großen Journalistin gedacht, die im eisigen Winter 1945 ihre Heimat auf ihrem Pferd Alarich vor der heranrückenden Roten Armee verließ, die dann für kurze Zeit in Westfalen unterkam, und dann später eine Karriere als Chefredakteurin und Herausgeberin der Hamburger „Zeit“ machte: Marion Gräfin Dönhoff. Ihr zu Ehren hat die langjährige Polen-Korrespondentin der Deutschen Presse Agentur, dpa, Renate Marsch, die heute Marsch-Potocka heißt, einen „Salon Marion Dönhoff“ eingerichtet. Der Salon will kein Museum sein, sondern ein Ort, an dem nicht nur mit Fotos, Büchern von und über Marion Dönhoff, mit Tondokumenten und vielen Erinnerungsstücken an das Werk der deutschen Journalistin gedacht wird, sondern an dem Besucher in den Büchern blättern und schmökern können, wo sie Marion Dönhoff hören können, wie sie aus ihren Werken liest. Erinnert wird hier auch an die Grafen Lehndorff, aber dazu später mehr.
Bis zu ihrem Tode 2002 sah Marion Dönhoff Ostpreußen als ihre eigentliche Heimat: „Lieben, ohne zu besitzen“, das war ihr Leitmotiv. womit sie zugleich ihre eigene Geschichte anriss. Schloss Friedrichstein, wo einst die Könige Preußen abgestiegen waren, ging im Inferno des Zusammenbruchs von Nazi-Deutschland unter, sie floh mit dem Pferd vor den Russen und landete im Westen, wo alles in Trümmen lag. Sie blieb von der Armut, die Millionen andere trafen, nicht verschont. Aber sie stand es durch und stand auf. Man lese das nachhaltige Werk von Klaus Harpprecht über „die Gräfin Marion Dönhoff“. Harpprecht schildert den Weg und Aufstieg dieser großen Frau, ihre Bescheidenheit und Haltung, ihren Einsatz für Bedrängte.
Unterstützte Willy Brandts Ostpolitik
Zwar lehnte sie die Oder-Neiße-Linie 1949 als verfassungswidrig ab und ebenso eine Verzichtserklärung der Bundesregierung auf die Ostgebiete, aber sie hatte die Verständigung mit Polen immer im Sinn. Sie unterstützte 1970 Willy Brandts Ostpolitik, aber als der Kanzler sie zusammen mit Günter Grass(der aus Danzig stammte) und Siegfried Lenz(der aus dem ostpreussischen Lyck war), einlud, ihn nach Warschau zu begleiten, wo die Verträge mit Polen unterschrieben werden sollten, sagte sie einen Tage vor der Reise ab. Das konnte sie nun doch nicht ertragen, den Verzicht auf die Heimat, den sie unterstützte, auch noch mit einem Glas zu feiern. Willy Brandt antwortete der Gräfin, dass er sie gut verstehen könne und er selber machte in dem Schreiben deutlich, dass ihm dieser Schritt auch nicht leicht falle. Aber die Verständigung mit dem Nachbarn Polen und dem übrigen Ostblock war Brandt wichtiger. Man denke an den Kniefall vor dem Mahnmal im einstigen Warschauer Ghetto, wo die Nazis Tausende und Abertausende Juden umbrachten oder sie in die Vernichtungslager transportieren ließen.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass der höchste Grad der Liebe zur Heimat dadurch dokumentiert wird, dass man sich in Hass verrennt gegen diejenigen , die sie in Besitz genommen haben, und dass man jene verleumdet, die einer Versöhnung zustimmen… Vielleicht ist dies der höchste Grad der Liebe. zu lieben, ohne zu besitzen.“ Ein Satz, der vieles über sie aussagt und ihre Haltung. Übrigens erhielt Marion Dönhoff kurz nach der Unterzeichnung der Verträge mit Warschau den Friedenspreis des deutschen Buchhandels.
Man muss sich ein wenig Zeit nehmen, wenn man den Salon Marion Dönhoff besucht , und wenn man mehr mitnehmen will als nur einen Eindruck von dem Gebäude. Es lohnt sich, in eines der Bücher und Dokumente zu schauen, zu blättern, etwas zu lesen oder aus ihrem Mund zu hören. Die Flucht mit ihrem Pferd Alarich wird in einem Foto festgehalten, das die junge Gräfin hoch zu Roß zeigt. Über diesen waghalsigen Ritt hat sie später in der „Zeit“ einen ihrer ersten Artikel geschrieben. „Es war sehr kalt, minus 20 Grad. Die Straßen waren eisig, die Wagen stellten sich immer quer“, beschreibt sie den Treck der Flüchtlinge nach Westen. „Wir haben bis zum Kreis-Städtchen, das Preußisch-Holland hieß, über sieben Stunden gebraucht, wo wir sonst nur eine oder maximal eineinhalb Stunden brauchten….bin ich dann in die Nazibude gegangen und wollte hören, was nun anliege… Aber die waren alle geflüchtet. Es wehte nur nach verbranntem Papier im Wind. …Ich hatte mein Pferd und dann bin ich auf ihm losgeritten, sieben Wochen lang bis in die Gegend von Detmold. Unheimlich mühselig war es, traurig, … die Straßen waren schwarz mit Menschen und Pferden und Treckern. An den Rändern lagen Tote. Die konnte man ja nicht beerdigen, es war eisig gefroren und man musste schnell machen.“ Auszüge aus ihrem Bericht für die „Zeit“. Der Ritt von Ostpreußen bis Westfalen war 1200 Kilometer lang. Danach ist sie nie mehr auf einem Pferd geritten.
Eine Schule trägt ihren Namen
Ja, Ostpreußen hatte es ihr angetan, auch als sie längst in Hamburg ansässig geworden war. Seit 1994 kam Marion Dönhoff jedes Jahr nach Ostpreußen und nahm an der Abiturfeier der nach ihr benannten Schule im Örtchen Nikolaiken(Mikolaiki) teil. Sie hat auch dabei immer wieder Galkowo besucht und Kutschfahrten durch den Wald und an der Kruttina unternommen.
Der Salon hat seine eigene Geschichte. Der Sohn von Renate Marsch-Potacka, Alexander Potocki, hat 2005 das Gebäude, das den Grafen Lehndorff als Jagdhaus im Ost Sternort diente und das verwahrlost und sehr beschädigt war, abgetragen und 80 Kilometer südlich in Galkowo, einem Ort mit 130 Einwohnern, wieder aufgebaut, restauriert, saniert. Die Lehndorffs waren enge Freunde der Dönhoffs. Und einer der Lehndorffs gehörte mit zur Widerstandsgruppe um den Grafen Stauffenberg, deren Attentat am 20.Juli gegen Adolf Hitler leider missglückte. Lehndorff konnte zwar entkommen, versteckte sich ein paar Wochen in den Wäldern, stellte sich aber aus Rücksicht auf seine Familie einem Forstmann, der ihn an die Gestapo verriet.
Das bescheidene, einfache Haus mit dem Salon ist mit Weinlaub bewachsen, in Parterre ist eine Gaststube mit einer Terrasse, es wird regionale polnische Küche serviert, der Urlauber kann hier übernachten, er kann nebenan reiten, er kann wandern. Und sich über die deutsch-polnische Vergangenheit und über eine der großen Frauen des 20.Jahrhunderts informieren. Zum Salon hat Renate Marsch, die wir leider auf unserer Reise nicht treffen konnten, vor Jahren bemerkt. “ Wenn man so will, leben bei uns Vergangenheit und Gegenwart unter einem Dach.“ Ein Besuch lohnt sich.
Bildquelle: Schloß Friedrichstein via Wikipedia, gemeinfrei, alle andere Bilder BdR, Alfons Pieper