Trotz solider, optisch bisher dominierender Ressortarbeit muss die SPD aufpassen, dass ihr Merkel und die Union nicht wieder die Butter vom Brot des Regierungserfolgs nehmen: Fachpolitische Kompetenz ist noch lange keine parteipolitische Erfolgsgarantie. Die Kanzlerin verabschiedet sich mit einer Zwischenbilanz in die Sommerpause. Hier die etwas andere Zwischenbilanz:
Zufriedenheit mit Regierungsarbeit
Die Große Koalition hat sich nach gut einem halben Jahr die parlamentarische Sommerpause verdient. Denn Schwarz-Rot hat mit beachtlichem Tempo die wichtigsten Themen des Koalitionsvertrags angegangen und wird nach der Sommerpause die wichtigsten Projekte entschieden bzw. in der Pipeline des parlamentarischen Prozesses haben: Rente mit 63, Mütterrente, Mindestlohn, Energiewende, Mietpreisbremse und nach der Sommerpause Frauenquote und Maut.
Dementsprechend ist die demoskopisch gemessene Zufriedenheit mit der Regierungsarbeit der GroKo relativ hoch, ja auffallend höher als bei Schwarz-Gelb. Besonders der Eindruck, dass es im Land wieder gerechter zugeht, hat sich signifikant verstärkt. Woran die Arbeit der sozialdemokratisch geführten Ressorts einen praegenden Anteil hat.
Unbestritten: Deutschland hat gegenwärtig im internationalen Vergleich eine beneidenswerte Bilanz der Wirtschaft, des Arbeitsmarkts, des Sozialsystems und der öffentlichen Finanzen vorzuweisen. Dazu kommt jetzt stimmungsmäßig noch der „vierte Stern“, ein unschätzbarer Sympathie- und Prestigegewinn.
Offensichtlich bekommt die GroKo dem Land recht gut. Doch wer wird diesen Erfolg politisch letzten Endes ernten? Fachkompetenz der Koalitionspartner ist dabei wichtig, aber noch lange keine Garantie für nachhaltigen politischen Erfolg. Fachpolitischer Fleiß in einzelnen Ressorts garantiert noch lange nicht ein erfolgreiches Parteiprofil.
Merkel führt nicht von vorne – aber demoskopisch und parteistrategisch erfolgreich
Stabil gut läuft es demoskopisch und medial weiterhin für Angela Merkel. Sie profitiert als Regierungschefin naturgemäß am meisten von populären Initiativen aller Ressorts, dem Ansehen des Landes und der relativ hohen Zufriedenheit mit der GroKo. Zudem bleibt durch ihr taktisches Geschick so gut wie kein Fehler und Flop im politischen Tagesgeschäft an ihr hängen, insbesondere durch ihre vieldeutige und unverbindliche Führung. Jakob Augstein hat die inhaltliche Beliebigkeit der Machtmaschine Angela Merkel wohl am treffendsten analysiert. Einzig beim Umgang mit Jean Claude Juncker in der Frage des EU-Kommissionspräsidenten hat sie sich durch endlose Volten zum Schluss selbst ausgetrickst. Aber ansonsten ist sie stets bei den Siegern des politischen Prozesses.
Zudem hinterlässt sie einen meisterhaft bescheidenen Eindruck in der Öffentlichkeit, so als ob sie an Medienresonanz gar nicht sonderlich interessiert sei. Dabei können sich nur wenige Beobachter vorstellen, dass Bescheidenheit und ein unprätentiöser Auftritt auch Inszenierung sein können: In Wahrheit ist Merkel die Kanzlerin, die sich auch in Form eines ganz persönlichen Netzwerks den größten und mächtigsten medialen Rückhalt in der Geschichte der Bundesrepublik geschaffen hat. Und ihre bescheidenen Termine als einfaches Maskottchen in der Kabine der Nationalelf oder als einfache Besucherin der Bayreuther Festspiele haben eine Medienresonanz, die von den früheren Regierungschefs niemals auch nur annähernd erreicht wurden.
Dies alles garantiert ihr nicht nur stabil hohe demoskopische Werte, sondern eine auch nach wie vor günstige parteistrategische Perspektive. Die Ernte des Blitzstarts der SPD innerhalb der Regierung, die den Betrieb der GroKo im ersten halben Jahr dominierte, landet immer noch primär bei der Kanzlerin und damit auch bei der Union.
Das liegt vor allem daran, dass Merkel die Sozialdemokratisierung der Union glaubwürdig verkörpert und die zentralen Themen der SPD schon längst in das programmatische Portfolio der Union integriert hat. Deshalb prallte auch die stichelnde Frage, ob die SPD in Berlin allein regiere, an Merkel selbst und der Union wirkungslos ab. Alle populären Gesetzentwürfe aus sozialdemokratisch geführten Ressorts werden bisher auch der Kanzlerin und ihrer Partei positiv zugerechnet. Dies gilt auch für den routiniert versierten Auftritt von Außenminister Frank Walter Steinmeier, der eher als kompetente Umsetzung des außenpolitischen Denkens von Merkel – ohne eigenständige sozialdemokratische Akzentuierung- wahrgenommen wird.
Die Union pendelt daher folgerichtig in allen bundespolitischen Umfragen weiterhin stabil um die 40-Prozentmarke, ist also auf dem hohen Niveau der letzten Bundestagswahl weiter in Front. Angela Merkel führt nicht offensiv von vorne, aber demoskopisch und parteistrategisch äusserst erfogreich!
Merkel ist zweifellos die taktisch geschickteste Regierungschefin in der Geschichte der Bundesrepublik.Sie führt aber leider nur von hinten. Das heißt, sie wartet meist ab, bis sich Mehrheiten herausgebildet haben und setzt sich anschließend an deren Spitze. Die aktuell beneidenswert gute Postion Deutschlands kann aber mit diesem persönlich erfolgreichen, abwartenden Führungsstil nicht nachhaltig gesichert werden.
Das strategische Dilemma der SPD
Die bisherige Bilanz der SPD in der Regierungsarbeit der GroKo ist zwar fachpolitisch erfolgreich, aber parteipolitisch immer noch unbefriedigend. Trotz eines Achtungserfolgs bei der Europawahl kommt die SPD durch ihre große Betriebsamkeit in der GroKo in den bundespolitischen Umfragen nicht spürbar voran und einfach nicht über die frustrierenden 26 Prozent der letzten Bundestagswahl hinaus. Dies ist das strategische Dilemma der SPD.
Coca Cola und Pepsi Cola?
Natürlich liegt das alles auch daran, das sich in der Wahrnehmung der Wählerschaft CDU/CSU und SPD programmatisch in zentralen Fragen soweit angenährt haben, dass ein politischer Analyst vor kurzem schon davon sprach, dass es in Deutschland zwei sozialdemokratische Parteien gäbe und der Unterschied nur noch so gross wie zwischen den Marken Coca Cola und Pepsi Cola wirke.
Der Ablauf des letzten Bundestagswahlkampfs hat diesen Eindruck massiv verstärkt: Die größten Aufreger des gesamten Wahlkampfs waren ja der inzwischen verblichene Dissens bei der Maut und der Stinkefinger von Peer Steinbrück.
Kein „Lohn der Angst“
Doch es gibt bei allem fachpolitischen Fleiß für die Sozialdemokratie keinen „Lohn der Angst“ vor einem längst in der Berliner Luft liegenden Koalitionswechsel nach der nächsten Wahl zu Schwarz-Grün: Wenn die SPD ständig mit dem Gedanken an den sprungbereiten grünen Konkurrenten als Juniorpartner so weiter macht, wird 2017 ein Déjà-vu von 2009. Nur wird dann Grün die Rolle der FDP als Juniorpartner der Union übernehmen und die SPD als fachlich hoch angesehener Ex-Partner in der Opposition landen.
Die Sozialdemokratie darf daher in der künftigen Regierungsarbeit nicht nur mit fachpolitischem Fleiß und Kompetenz den Koalitionsvertrag abarbeiten. Sie muss ohne kleinliches Koalitionsgezänk in der Regierung endlich stärker eigenständige Akzente setzen, die weit über die aktuelle Regierungsarbeit hinaus als lange Programmlinie in die nächste Legislaturperiode hinein reichen – mit einem selbstbewussten und auch selbst geglaubten politischen Führungsanspruch: Denn nur so kann man mobilisieren.
Ansonsten wird die SPD mit dickem Lob der Medien für ordentliche Dezernentenarbeit bei Frau Merkel bzw. der Union nach der Wahl 2017 wieder die Wunden lecken, unter ihrem larmoyanten Standardmotto „Undank ist der Welten Lohn“. Genau dieser Punkt wurde nach der letzten Bundestagswahl bewusst parteiintern nicht aufgearbeitet, weil man die eigene Basis doch lieber mit den Erfolgen der Koalitionsverhandlungen beschäftigen wollte und so zunächst geschickt die Enttäuschung über das Wahlergebnis kollektiv verdrängen konnte. Das war sicherlich ein taktisches Meisterstück von Sigmar Gabriel.
Es geht auch anders: Offensive Führung ist unverzichtbar
Es gibt ein überzeugendes strategisches Beispiel für die Sozialdemokratie in einer bundespolitischen Großen Koalition, das zwar schon historisch, aber als eine lehrreiche „Benchmark „ hoch aktuell ist: In der Regierung Kiesinger /Brandt wurden vor allem durch die außenpolitisch eigenständigen Akzente Willy Brandts als damaligem Außenminister und durch die wirtschaftspolitisch überragende Substanz sowie Performance Karl Schillers als Wirtschaftsminister die Ziele über den Tag hinaus markiert – mit offensivem politischem Führungsanspruch für eine mutige strukturverändernde Politik. Damit werden für die heutige SPD natürlich anspruchsvolle Maßstäbe gesetzt, die über ein ordentliches Abhaken der zentralen sozialdemokratischen Anliegen des Koalitionsvertrags und einen kompetenten außenpolitischen Auftritt nach Merkels Vorgaben hinaus reichen.
Dass eine mutige und offensive politische Führung zur Zukunftssicherung unseres Landes unverzichtbar ist, zeigt gerade die jüngere deutsche Geschichte:
Ohne Helmut Kohls beherzte Führung von vorne, insbesondere mit seinem 10 Punkte- Papier, wãre die Deutsche Einheit niemals so schnell gekommen. Ohne die genauso mutige wie umstrittene Agenda 2010 von Gerhard Schröder hätte bei allem späteren Korrekturbedarf Deutschland heute nicht die starke ökonomische Position und positive Arbeitsmarktentwicklung, von der Angela Merkels internationale Reputation entscheidend profitiert.
Deshalb muss die SPD auch in der Tagespolitik der Groko stärker eigene Akzente eines politisch offensiven Führungsstils setzen, der über die aktuelle Regierungskoalition hinaus reicht.
Neue Antworten in der Wirtschafts- und Außenpolitik
Es gibt dafür einen enorm dringlichen politischen Handlungsbedarf. Oder hat in der SPD-Führung noch niemand Thomas Pikettys dramatischen Hinweis auf die immer einseitigere Verteilung von Reichtum und damit politischer Macht in unserer Gesellschaft registriert? Der Mindestlohn kann wohl doch nicht im Ernst die einzige Antwort auf die damit verbundenen gesellschaftlichen Herausforderungen sein. Die gerade in den USA riesige Resonanz auf die Analyse unseres Wirtschaftssystems durch Piketty zeigt doch, wie groß das Interesse auf neue Antworten ist.
Und auch aussenpolitisch kann sich doch die Sozialdemokratie nicht damit abfinden, dass sich Deutschland immer weiter vom Grundprinzip Willy Brandts entfernt, dass wir Deutschen und die EU entspannungspolitische Brückenbauer zwischen den USA und Russland sein sollten und nicht nur folgsame Verbündete, die immer weiter mit in eine unglaublich fahrlässige Eskalation persönlicher Herabsetzung, konfrontativer Rhetorik, Aufrüstungsparolen und wirtschaftlicher Sanktionen hineinschliddern. Es ist doch klar, dass diese Spirale dazu führt, dass die Gebote von Humanität und Wahrheit immer stärker verletzt werden. Wohin soll eigentlich die Umkehrung des ostpolitischen Paradigmas der Entspannung noch führen?
Bildquelle:
Unterschrift des Koalitionsvertrages der 18. Wahlperiode des Bundestages CC-BY-SA 4.0 Martin Rulsch