Plötzlich sind sie sich einig, die CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel und der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer. Als wäre nie etwas gewesen, tun sie so, als sei alles geklärt, als habe es nie einen Streit gegeben zwischen Seehofer und Merkel wegen der Flüchtlingspolitik. Nun loben sie sich gegenseitig über den berühmten grünen Klee, spricht Merkel den „lieben Horst Seehofer“ an, sieht man beide im Bierzelt von Trudering, einem Stadtteil von München, in trauter Zweisamkeit, redet Seehofer und wendet sich an die „liebe Angela“. Was soll das sein, Heuchelei, Opportunismus, Versöhnungsfeier? Wollen sie uns auf den Arm nehmen? Wir sind halt im Wahlkampfjahr, in vier Monaten wird gewählt und Angela Merkel tritt für die Union wieder an. Und für einen Sieg der Union im Bund braucht man eine starke CSU, die im Freistaat Richtung absolute Mehrheit schielt, damit es was wird mit einem Sieg für Merkel.
Da gibt es plötzlich kein Fragezeichen mehr. Für Merkel wird man Wahlkampf machen, der Horst Seehofer und die anderen CSU-Freundinnen und Freunde, der Streit aus der Vergangenheit ist zwar nicht geklärt, wird aber eine Zeitlang herausgenommen aus den Gesprächen mindestens bis zum 24. September. In München weiß man, dass man Wahlen nur gewinnen kann, wenn man sich einig ist und nicht dauernd offen und öffentlich streitet. Wer bayerische Bierzelt-Atmosphäre kennt, weiß, wie man Stimmung macht. Jawohl, auch mit Musik, da gehört die Maß Bier dazu, weißblaue Fähnchen oder Servietten, wer hat, kommt in der Tracht. Da ist kein Platz für Streit über eine Obergrenze von 200000 Flüchtlingen, wie sie Seehofer einst forderte, da ist nicht mehr die Rede von einer möglichen Verfassungsklage, weil der bayerische Ministerpräsident Merkels Entscheidung im September 2015, Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland kommen zu lassen, als „Fehler“ kritisiert hatte, „der uns noch lange beschäftigen wird. Ich sehe keine Möglichkeit, den Stöpsel wieder auf die Flasche zu kriegen.“
Und dann setzte er noch einen drauf Richtung Merkel: „So kann die Arbeitsteilung nicht sein, dass die einen für die Moral und die Menschlichkeit sind, und die anderen sind für die Arbeit und die Ressourcen zuständig.“ Wie gesagt, das war damals.
Liebe hochverehrte Kanzlerin, liebe Angela
Heute klingt das so: „Liebe hochverehrte Frau Bundeskanzlerin, liebe Angela“ lautet die Anrede Seehofers nun mehr als vertraut. Und dann setzt er zur Lobpreisung der Regierungschefin an, die nicht nur eine Autorität gegenüber den anderen Staats- und Regierungschefs sei, sondern sie zeige mit ihrem Auftritt im Bierzelt von Trudering „ihre Verbundenheit mit den Menschen im Lande“. Zwölf Jahre regiert Merkel nun, Grund für Seehofer, dies Merkel zuzuschreiben, dass es Deutschland „blendend“ gehe, die Republik sei eine Insel der Stabilität, die Arbeitslosigkeit habe sie halbiert. Man traut im Grunde seinen Ohren nicht. Hatte nicht Seehofer Merkel einst schriftlich zu einer Kehrtwende in der Flüchtlingspolitik aufgefordert, eine wirksame Sicherung der deutschen Grenze verlangt und eine Obergrenze von 200000 Flüchtlingen pro Jahr? Und für den Fall, dass die Bundesregierung nicht handele, hatte der gleiche Seehofer mit einer Verfassungsklage gedroht und angekündigt, sein Kabinett werde die dafür notwendigen Schritte einleiten. Wer sich daran nicht mehr erinnern sollte, dem können Zitate aus der „Passauer Neuen Presse“ helfen. In einem Interview mit dem Blatt hatte der bayerische Ministerpräsident die von Merkel verkündete Grenzöffnung für Flüchtlinge in die Nähe des Vorgehens von Unrechtsstaaten gerückt und betont: „Wir haben im Moment keinen Zustand von Recht und Ordnung.“ Und weiter: „Es ist eine Herrschaft des Unrechts.“ Er meinte die Kanzlerschaft von Merkel, der „hochverehrten und liegen Angela“.
Als Horst Seehofer Merkel abkanzelte
Wer erinnert sich noch an die Bilder, die das Fernsehen von einem CSU-Parteitag in deutsche Wohnzimmer lieferte? Da kanzelte CSU-Chef Seehofer die CDU-Vorsitzende in einer Schlussrede wegen ihrer angeblich falschen und rechtswidrigen Flüchtlingspolitik ab, ließ Merkel neben dem Rednerpult wie einen begossenen Pudel stehen. Und das minutenlang, Merkel wollte den Parteitag schon verlassen und zurück zu ihrem Dienstwagen, aber Seehofer hielt sie praktisch neben dem Pult gefangen. Merkel musste sich das alles anhören, peinlich war das und Ausdruck eines schlechten Benehmens des Gastgebers Seehofer.
Vergessen, verdrängt? Plötzlich wird die einstige Rechtsbrecherin Merkel als Heilsbringerin in den weißblauen Himmel gelobt, würdigen CSU-Bundestagsabgeordnete wie Wolfgang Stefinger die Kanzlerin für das „gute Miteinander“ in Berlin und unterschlagen dabei, dass sie selber Merkel bei der Griechenland-Politik im Jahre 2015 die Gefolgschaft verweigert hatten.(Süddeutsche Zeitung, 29. Mai. 2017) Hätte nur noch gefehlt, dass einer der Herren, am besten natürlich Horst der Große, das Bild gewählt hätte, was einst die SPD-Aufsteiger und angeblichen Parteifreunde Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine für ihr Verhältnis benutzt hatten: es passe kein Stück Papier zwischen ihnen, so eng seien sie miteinander verbunden. Der Ausgang der Geschichte ist bekannt. Schröder wurde Kanzler, Lafontaine warf ein paar Monate später die Brocken als SPD-Parteichef, Bundesfinanzminister und Bundestagsabgeordneter hin, später verließ er die SPD und trat zur Linken über. Freundschaft sieht anders aus. Es sein denn, man greift auf Konrad Adenauer zurück, von dem die Steigerung stammt: Feind, Parteifreund.
Gegen geistige Fusion mit Rot-Grün
Beim Krach zwischen CSU und CDU geht es auch um ein altes Problem, das es schon zu Zeiten von Franz Josef Strauß gab: Rechts neben der Union dürfe es „keine demokratisch legitimierte Gruppierung von politischer Relevanz geben.“ Sagte Strauß. Entsprechend wünscht man sich die CDU und kritisiert, wenn diese zu sehr die Mitte verlässt. So hat es zum Beispiel Bayerns Finanzminister Markus Söder, der Möchte-Gern-Nachfolger von Seehofer, formuliert: „Die CDU drängt so sehr nach Mitte-Links, dass den Wählern eine Abgrenzung zu SPD und Grünen allmählich schwerfällt.“ Eine „geistige Fusion“ mit Rot-Grün wolle man aber in der CSU nicht, so Söder. Viele „normale Bürger“ fühlten sich nicht mehr verstanden. Im Kopf hat Söder dabei die Rechtsaußen-Konkurrenz der AfD, die im Falle eines Einzugs auch in den bayerischen Landtag- 2018 sind Landtagswahlen im Freistaat- der CSU Stimmen abjagen und eine absolute Mehrheit der CSU verhindern könnte.
Die Abgrenzungsversuche jetzt erinnern an ähnliche Streitereien, die Strauß vor Jahrzehnten mit der CDU und namentlich mit Helmut Kohl ausgefochten hat. Damals sorgten sich die Christsozialen wegen des Auftretens der Republikaner, die erste Erfolge erzielten und die absolute Mehrheit der CSU in Bayern bedrohten. So die Sorge. Strauß ging damals mit Kohl viel schärfer ins Gericht als heute-oder war es gestern?- Seehofer mit Merkel. In seiner berühmt-berüchtigten Wienerwald-Rede(1976)verspottete er die so genannten CDU-Freunde als „politische Pygmäen“ und bezeichnete den damaligen CDU-Chef Helmut Kohl als „total unfähig“. Nicht vergessen werden darf Wildbad Kreucht, wo es im November 1976 zum Trennungsbeschluss der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU kam, der aber Wochen später von der CSU zurückgenommen wurde. Wildbad Kreucht ist legendär, der Ort, wo es früher eine Heilanstalt für Nervenkranke gab. Dort stürzten Erwin Huber und Günther Beckstein im Jahre 2007 Edmund Stoiber.
Männerfreundschaft Strauß/Kohl
Später sprachen Strauß und Kohl dann von einer so genannten Männerfreundschaft, die bei gemeinsamen Wanderungen entstanden sei. Strauß verhinderte die Kanzlerkandidatur des niedersächsischen CDU-Ministerpräsidenten Ernst Albrecht und ließ sich von Kohl, dem eigentlich verachteten, 1980 als Kanzlerkandidat der Union gegen Helmut Schmidt durchsetzen. Ein Schachzug des Pfälzers, der zu Recht davon ausging, dass Strauß es nicht schaffen werde, weil die FDP ihn nicht mitwählen würde. Kohls Strategie ging auf, im Herbst 1982 wurde er in einem konstruktiven Misstrauensvotum Bundeskanzler, gewählt auch mit den Stimmen der FDP, mit der er eine Koalition bildete, die bis 1998 regierte.
„Ach was wäre die SPD froh“, schreibt im Internet-Forum ein Leser, „wenn sie nur solchen Streit hätte wie die CDU/CSU.“ Ja, da liegt der Leser nicht falsch. Er wird Peer Steinbrück gelesen haben, wie er über Martin Schulz herzieht. Derselbe Steinbrück, der vor Jahren seinem Freund Wolfgang Clement kritisches zurief, als dieser sich in den hessischen Wahlkampf um die SPD-Kandidatin Ypsilanti einmischte und Steinbrück Clement daran erinnerte, wie er sich wohl aufgeregt hätte, wenn jemand zu seiner Zeit sich von außen in seinen Wahlkampf eingemischt hätte. Ja, hätte, hätte, das mit der Fahrradkette ist ein Bild von Steinbrück, dem Wahlverlierer von 2013 gegen Merkel. Von einem Mann, der noch nie eine Wahl gewonnen hat. Und der muss sich einiges anhören von seinen SPD-Genossen, die seine Einmischung als fies empfinden. Warum eigentlich zitiert Steinbrück Johannes Rau, der stets, wenn er um Ratschläge gebeten wurde, dankend mit den Worten ablehnte: „Ratschläge können auch Schläge sein.“ Warum das Zitat, wenn er dann zu Schlägen ausholt gegen Martin Schulz? Wie war das noch mit Adenauer? Die Steigerung von Feind ist Parteifreund.
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