Der evangelische Kirchentag ist eigentlich seit vielen Jahren immer auch eine politische Diskussions-Veranstaltung, er bietet ein Forum, auf dem gesellschaftliche Probleme offen und öffentlich diskutiert werden. Das war schon vor Jahrzehnten der Fall, als es um die Stationierung von Atom-Raketen ging. Und heute soll das anders sein? Dass die Kanzlerin zusammen mit dem früheren US-Präsidenten Obama vor dem Brandenburger Tor auftrat, darf also niemanden wundern. Warum auch?! Warum soll während eines Kirchentags in der deutschen Hauptstadt nicht über die Flüchtlingspolitik, auch der von Angela Merkel, gestritten werde�n? Dass Obama sich hinter Merkel stellte, ja und? Wer will denn im Ernst dem Satz des Amerikaners widersprechen, Flüchtlinge hätten allen Anspruch auf Schutz, aber es gebe begrenzte Ressourcen. Will heißen: es kann nicht jeder in Deutschland bleiben. Die Kanzlerin hat zwar der Obergrenzen-Forderung ihres neuen Freundes Horst Seehofer nicht expressis verbis zugestimmt, aber längst klar gemacht, dass sich eine Situation wie 2015, als Tausende und Abertausende über die Grenze nach Deutschland strömten, zumeist unkontrolliert und nicht registriert, nicht wiederholen werde.
Uneingeschränkte Humanität. Wer hier Schutz sucht, wird ihn finden, jeder Schutzbedürftige. Artikel 1 des Grundgesetzes garantiert es: Die Würde des Menschen ist unantastbar, heißt es da unmissverständlich, es heißt nicht, die Würde des Deutschen, sondern die des Menschen, unabhängig von seiner Religion, seiner Hautfarbe, seiner Herkunft. Ein anderer Punkt: Asylrecht kennt keine Obergrenze. Eine andere Frage ist die Integrationsbereitschaft der Deutschen. Man spreche mal mit Helfern, die sich Tag für Tag um Flüchtlinge kümmern, um junge Afghanen, um Äthiopier, Menschen aus Eritrea, die mit ihnen zu den Ämtern gehen, sich um Papiere kümmern, um eine Bleibe, später um eine Wohnung, was ein Riesenproblem für einen Jugendlichen aus Eritrea zum Beispiel ist, um Sprachkurse, darum, einen Job, ein Praktikum oder später eine Lehre zu bekommen. Das ist gelebte Menschlichkeit. Reden Sie mit solchen Helfern! Sie werden merken, mit welcher Begeisterung sie ihre Arbeit tun. Und zwar umsonst. Sie stecken sogar eigenes Geld in diese Aktionen. Da wird statt Geschenken aus Anlass eines Geburtstages um eine Spende für die Flüchtlings-Aktion gebeten.
Zurück nach Afghanistan? Ein schlechter Witz
Eine andere Frage ist, wie menschlich oder unmenschlich Abschiebung eines jungen Flüchtlings sein kann. Zurück nach Afghanistan? Das klingt wie ein schlechter Witz, der nicht besser wird, wenn der Bundesinnenminister oder andere davon reden, dass es dort sichere Ecken gebe. Und kurz danach geht in der Nähe dieser Ecke in Afghanistan eine Bombe hoch, die vielen Menschen das Leben kostet. Sicheres Herkunftsland? Wer will das von hier aus wissen? Der abgeschobene junge Afghane kommt nach Hause, wo er sich vor den Taliban fürchten muss, seine Familie ist längst nicht mehr im Land, sondern irgendwo nach Pakistan geflüchtet. Sicheres Herkunftsland?
Wie kleinkariert wirkt vor diesem Hintergrund die ablehnende Haltung der AfD gegenüber den Flüchtlingen, indem sie vor einer Destabilisierung des Landes warnt und die unkontrollierte Zuwanderung kritisiert. Es war richtig, der AfD die Chance in Berlin zu geben, sich öffentlich zu äußern. Bischof Dröge hielt der AfD-Vertreterin vor, ein großes Erbe der abendländisch-jüdischen Tradition zu ignorieren, nämlich Fremde aufzunehmen, gleich welcher Religion, über alle Unterschiede hinweg. Man ist fast geneigt, aufs Grundgesetz zu verweisen. Und die Würde des Menschen. Und der Bischof hat der AfD noch mehr zugerufen: Wie könne man als Christ in einer Partei sein, die Angst und Misstrauen schüre und Ausgrenzung propagiere?
Käßmann attackiert die AfD
Die ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Margot Käsemann, heute Reformationsbotschafterin, sagte, die AfD-Forderung nach einer höheren Geburtenrate der „einheimischen“ Bevölkerung entspreche dem „kleinen Arierparagrafen der Nationalsozialisten“. Da hat sie Recht. Zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern, „da weiß man, woher der braune Wind weht“. Äußerungen, die die frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach, die vor Monaten aus der Union ausgetreten ist und seither als Fraktionslose im Parlament sitzt, als „linksfaschistische Ergüsse im Namen der Kirche“ geißelte. Frau Steinbach, schon in der Vergangenheit als CDU-Rechtsaußen bekannt, läuft sich offensichtlich für die AfD und den Bundestagswahlkampf warm. Sie will an mindestens einer Veranstaltung mit AfD-Vorstand Gauland teilnehmen und die Rechtspopulisten unterstützen. Das mit Gauland passt. Der war einst Mitglied der hessischen CDU, arbeitete für Walter Wallmann, den damaligen CDU-Chef in Hessen. Wallmann war auch Ministerpräsident von Hessen und der erste Bundesumweltminister im Kabinett von Helmut Kohl, eingerichtet nach dem Atom-Unfall von Tschernobyl 1986. Gauland gilt als Förderer des mehr als umstrittenen AfD-Chefs von Thüringen, Höcke, der durch seine Äußerungen über das Holocaust-Mahnmal in Berlin Empörung ausgelöst hatte. Gauland hat kürzlich die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende Angela Merkel „als eigentliche Feindin“ der AfD bezeichnet. Welch eine Sprache! Als wäre er in einem Krieg. In der Bundesrepublik sprechen wir von politischen Gegnern, nicht von Feinden.
Übrigens hatte Merkel gleich zu Beginn des Kirchentags die Kirchen aufgefordert, sich immer wieder in öffentliche Debatten einzumischen, was CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, aber völlig anders sieht. Er hielt der Kirche vor, sie vernachlässige ihre Kernthemen und mische sich zu sehr in die Tagespolitik ein. Was soll falsch daran sein, Herr Spahn, wenn führende Vertreter beider Kirchen, in der Vergangenheit Kardinal Reinhard Marx und der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und jetzt Bischof Dröge und Margot Käßmann sich mit der AfD auseinandersetzen und ihr den Spiegel vorhalten, damit deren Sympathisanten und Wählerinnen und Wähler merken, wem sie da hinterherlaufen. Einer fehlt noch in diesem Konzert, der SPD-Vorsitzende Martin Schulz. Er hatte schon vor Monaten seine Meinung zur AfD klipp und klar gesagt. Sie sei keine Alternative, sondern eine Schande für Deutschland.
Trump und der Gipfel
Kein Tag ohne Trump. Jetzt hat er sich beim G-7-Gipfel im sizilianischen Taormina daneben benommen. Als der Gastgeber, Italiens Ministerpräsident Tacho Gentiloni, eine Rede hielt, um auf die Flüchtlingsprobleme seines Landes gerade mit Blick auf die Flüchtlingsströme aus Afrika hinzuweisen, verzichtete der große Mann der Weltmacht USA auf Kopfhörer und demonstrierte seine Langeweile und sein Desinteresse. Er hatte ja auch längst klar gemacht, dass ihn das Thema nicht aufregt. Auch wenn das kein gutes Bild abgibt, schließlich waren Vertreter aus dem Niger anwesend, aus Nigeria, Äthiopien, Tunesien, der Afrikanischen Union. Was interessieren ihn diese armen Schlucker! Dass Gentiloni ein wichtiges Problem ansprach, ging am Amerikaner völlig vorbei. Italien ist das Land, das die Flüchtlinge, die übers Meer kommen, zuerst betreten. Wen wundert es, dass Rom sich allein gelassen fühlt, weil von Solidarität oft genug gesprochen, sie aber nicht in konkrete Politik umgesetzt wird.
Den Afrikanern zu Hause zu helfen, die Ursachen der Flucht zu bekämpfen, damit auch Italien geholfen wird, Gentiloni hätte sich die Rede sparen können. Trump interessiert sich nur für sich, sich und noch einmal für sich und seine Milliarden. Amerika first, heißt doch in Wirklichkeit auch : Trump first. Das hatte er kurz vorher beim Nato-Gipfel deutlich gemacht, als er den Ministerpräsidenten von Montenegro, Markovic, einfach zur Seite schubste, damit er, der große Trump, Platz in der ersten Reihe bekam. Mein Gott, was für ein ärmlicher Präsident! Drängt sich immer nach vorn, hebt den Kopf und zeigt mit dem Finger auf den, der gerade ihm gegenüber steht. Er kennt nur sich, der Rest ist ihm egal. Dass ganz nebenbei das Klimaschutzabkommen blockiert wird, das eigentlich den Ausstoß von Treibhausabgasen verringern soll, sei noch am Rande erwähnt. Es war nicht anders zu erwarten. Schließlich sind mit einem solchen Abkommen nicht Milliarden zu verdienen. Da waren ihm die Waffengeschäfte, die er kurz vorher mit den Saudis abgeschlossen hatte, viel lieber. 110 Milliarden Dollar schwer ist die Absichtserklärung für amerikanische Waffenlieferungen, darunter ein Raketenabwehrsystem.
Trump, die Deutschen, die Nato, die EU
Ach ja, er hat sich auch über Deutschland beklagt. Dass die Deutschen zu viele Waren an die USA verkaufen und zu wenige Waren aus den USA kaufen. Er sprach von schlecht, sehr schlecht und meinte den deutscheren Handelsüberschuss und hat mehrfach mit Strafzöllen auf Produkte aus Deutschland und Europa gedroht. Deutschland ist dagegen ein Verfechter offener Märkte. Trump müsste eigentlich wissen, dass man mit Strafzöllen Geschäfte behindert und verhindert, der offene Markt dagegen kann für jeden ein Gewinn sein.
Mehr Geld will Trump auch von den Nato-Mitgliedern, die sich unfair verhielten gegenüber den USA, Deutschland soll mehr zahlen, auch die anderen leisteten nicht, was sie eigentlich müssten. Aber zumindest hat Trump darauf verzichtet, die Nato wie zu Beginn seiner Amtszeit noch als „obsolet“ zu bezeichnen. Immerhin.
Aber wie soll das weitergehen mit diesem Präsidenten, der unberechenbar ist wie kaum ein anderer, der mit seiner Glaubwürdigkeit im eigenen Land und bei den eigenen Anhängern zu kämpfen hat und deshalb wohl oft den starken Mann markiert, der aber bisher eine politische Linie hat vermissen lassen. Als politischer Führer des Westens dürfte er, wenn er so weitermacht, kaum Anerkennung finden. Was nicht von Vorteil für den Westen sein muss. Niemand weiß so recht, was dieser Mann, der der mächtigste Politiker der Welt ist, eigentlich will. Und wohin dieses Amerika steuert, das weiß niemand zur Zeit. Dabei hat die Amtszeit des Präsidenten gerade erst begonnen. Eines dürfte den Europäern klar geworden sein: Sie müssen sich auf ihre eigene Stärke verlassen. Und dazu gehört die Geschlossenheit der EU, von der man aber weiter entfernt ist. Wie sagte die Kanzlerin nach dem G-7-Gipfel: Die Zeiten seien vorbei, in denen man sich auf andere völlig verlassen konnte. Das habe sie in den letzten Tagen erlebt. Und: Die USA seien kein verlässlicher Partner mehr. Wörtlich fügte sie hinzu: „Wir Europäer müssen unser Schicksal in die eigene Hand nehmen.“
Bildquelle: Logo des Deutschen Evangelischen Kirchentags, gemeinfrei