Zu NRWGroße Koalitionen sind nicht Glücksfall der Demokratie, sondern Notlösung. Sie haben sich mit zunehmender Parteienvielfalt in den Parlamenten von einer Ausnahme zu einer Routine der Regierungsbildung entwickelt. Das hat seine Berechtigung dann, wenn der Wähler keine Alternativen ermöglicht hat. Bequemlichkeit aber taugt nicht als Fundament einer verantwortungsvollen Regierungsbildung. Wenn klassische Bündnisse mit einem großen und einem kleinen Partner möglich sind, sollten sie den Vorrang haben. Denn: eine starke Opposition gehört zur Grundausstattung einer parlamentarischen Demokratie.
Die SPD in Nordrhein-Westfalen hat daher gut daran getan, sich als Juniorpartner einer CDU-geführten Koalition zu verweigern, und der Vorwurf, die Partei handele beleidigt und verantwortungslos, wenn sie Armin Laschet einen Korb gebe, geht ins Leere. Die Wahlniederlage lässt sich beim besten Willen nicht zu einem Regierungsauftrag umdeuten, auch wenn in der Folge der Wahlsieger ein hartes Stück Arbeit hat, mit der FDP einen Koalitionsvertrag auszuhandeln. Demokratie ist ein mühsames Geschäft, aber die Umsetzung des Wählerauftrags ist aller Anstrengungen wert.
Das gebietet der Respekt vor dem Wähler. Den hat die SPD mit ihrem Verzicht gezollt. Alles andere wäre ihr als Machtversessenheit ausgelegt worden. Die Partei lässt sich in die Pflicht nehmen, wo es geboten scheint, und zahlt dafür ihren Preis. In der Großen Koalition auf Bundesebene hat sie einiges an sachlichen Erfolgen vorzuweisen, Anerkennung erhält sie dafür nicht. Zu groß ist der Eindruck einer profilarmen, über die Maßen kompromissbereiten Unterstützungsgemeinschaft für die Bundeskanzlerin, zu sehr verwischen Programmatik und Regierungshandeln, zu beliebig und austauschbar erscheinen die „Großen“, die sich nicht von dem Ergebnis in der Sache leiten lassen, sondern von einer Basarmentalität. Nach der Devise: Gibst du mir, gebe ich dir.
Die Opposition, die so schwach ist, dass sie grundlegende Kompetenzen nur von Gnaden der übermächtigen Regierungskoalition erhält, sieht dem Treiben ohnmächtig zu. Einen echten Wettstreit um die besseren Ideen erlebt das Parlament nicht mehr. Die Handlungsunfähigkeit der Opposition macht den Weg frei für eine Politik des Durchregierens, wobei zugleich festzustellen ist, dass die satte Drei-Viertel-Mehrheit von Schwarz-Rot nicht genutzt worden ist, um wirklich große Reformvorhaben anzupacken.
Das sorgt für Verdruss und ist Wasser auf die Mühlen der Populisten und Wutbürger. Sie wettern gegen die etablierten Parteien, machen pauschal alle Parteien und Politiker, die Parlamente und die Demokratie schlecht. Sie sammeln die Unzufriedenen und Protestwähler ebenso wie die braunen Ideologen, Nationalisten und Hassprediger, die Feinde der Demokratie und der europäischen Einigung. Eine starke Opposition ist auch deshalb unverzichtbar, und die SPD in Nordrhein-Westfalen tut gut daran, nicht der AfD die Rolle des Oppositionsführers zu überlassen. Deren Bekämpfung muss gemeinsames Ziel aller Demokraten sein.
Gewiss, für Armin Laschet wäre es hilfreich gewesen, er hätte in den Gesprächen mit den kraftmeierischen Lindner-Liberalen die Alternative einer Großen Koalition in der Hinterhand gehabt. Der kleine Partner gefällt sich in der Rolle des umworbenen Königsmachers und fordert, mehr mit Blick auf die Bundestagswahl im September als auf die Verhältnisse in NRW, ebenso maßlos wie selbstbewusst Vorzeigbares. Doch auch das hat der Wähler entschieden, der die FDP in diese Position gehoben hat, und für taktische Schützenhilfe ist die SPD nun wirklich nicht zuständig.
Eine Regierungsbildung in schwierigen Verhältnissen ist machbar, wenn die Sachfragen im Vordergrund stehen und es tatsächlich um die besten Lösungen für das Land geht. Die Minderheitsregierung von SPD und Grünen hat das gezeigt, und im Vergleich dazu ist eine Ein-Stimmen-Mehrheit im Landtag für Schwarz-Gelb doch geradezu komfortabel. Sie verlangt den Beteiligten Disziplin und Sachorientiertheit ab. Macht ist kein Selbstzweck, sondern vom Wähler verliehen. Die Wahlgewinner stehen in der Verantwortung, daraus für das Land das Beste zu machen.
Bildquelle: Nick Youngson, CC BY-SA 3.0