Die britische Premierministerin Theresa May pokert, und sie hat für ihre Entscheidung, die Briten am 8. Juni vorzeitig an die Wahlurnen zu rufen, überaus gute Karten. Gleichwohl setzt die konservative Regierungschefin mit ihrem Überraschungscoup einiges aufs Spiel: zu allererst ihre Glaubwürdigkeit, das Image einer neuen Eisernen Lady und die Überzeugungskraft, dass der harte Brexit, der Komplettausstieg aus Europäischer Union und Binnenmarkt, wirklich zum Wohl Großbritanniens ist. Dahinter riskiert May aber auch weitere Verwerfungen von historischer Dimension bis hin zum Zerfall des Vereinigten Königreichs. Der Einsatz ist hoch.
Mays Nein zu vorgezogenen Neuwahlen hatte bisher kein Wenn und Aber gekannt. Ihr plötzlicher Sinneswandel erklärt sich vordergründig aus der günstigen Gelegenheit: die konservativen Torys haben in Umfragen einen 20-Prozent-Vorsprung und keinen ernstzunehmenden Gegner. Die zerstrittene Labourparty hat noch immer keine Haltung gefunden, nicht zum Brexit und auch sonst irgendwie nicht. Ihr Erscheinungsbild unter Jeremy Corbyn ist desolat. Von Neuwahlen kann sie sich nichts versprechen, im Unterhaus hat sie May zur nötigen Zwei-Drittel-Mehrheit verholfen, um nicht als hasenfüßig dazustehen.
Mit Lügen über den Tisch gezogen
Den per Volksabstimmung mit einer knappen Mehrheit besiegelten und von beiden Parlamentskammern bekräftigten Brexit werden Neuwahlen wohl nicht kippen. Dazu fehlt es den Europabefürwortern an einer kraftvollen Organisation. Im Unterhaus stehen allein die Liberaldemokraten ohne Wanken zur EU-Mitgliedschaft ihres Landes. Sie mögen von dem bösen Erwachen profitieren, davon, dass vielen Wählern erst nach dem Ja aufging, wie sie von nationalistischen Demagogen mit dreisten Lügen über den Tisch gezogen worden sind, aber alle Europafreunde werden sie nicht hinter sich vereinen können.
Einfluss auf den Brexit und die Verhandlungen mit der EU werden die Wahlen dennoch haben, das ist Mays erklärte Absicht; allerdings bleibt die Richtung unklar. Die Premierministerin verlangt nach einer Stärkung ihrer Stellung, sie kann sich eine Disziplinierung ihrer eigenen Partei und für die Gespräche mit Brüssel sowohl mehr Rückendeckung für die harte Linie, als auch mehr Beinfreiheit für Konzessionen erhoffen. Auf jeden Fall deutet sie mit ihrem Entschluss indirekt an, dass der Brexit den Briten nicht ohne Weiteres Gutes verheißt.
Ernüchterung über Kosten wird kommen
Der Zeitpunkt erscheint ihr ideal: Noch haben die Verhandlungen nicht begonnen, und wenn sie im März 2019 zu Ende gehen und die Ernüchterung über Kosten und Konsequenzen des EU-Austritts komplett ist, kommt der Wähler nicht bereits 2020, sondern erst zwei Jahre später zu Wort.
Auf Zeit spielt May auch gegenüber dem krisengeplagten Nordirland, in dem der Ruf nach Vereinigung mit Irland lauter wird, und gegenüber dem nach Unabhängigkeit strebenden Schottland, das sich mit seinem Wunsch nach einem neuen Referendum von London nicht noch Jahre hinhalten lassen will. Die Regierungschefin fährt in Brüssel bislang einen störrisch harten Brexitkurs und verweigert daheim, die EU-Befürworter überhaupt wahrzunehmen, geschweige denn, auf sie zuzugehen.
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