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Die taz hält die Gefahr privater Zensur für gering, da das geplante Gesetz eine Benachrichtigung des angeschwärzten Urhebers vorsieht und dieser gegen die Löschung klagen könne. Detlef Esslinger in der Süddeutschen Zeitung schreibt: Der Bundesjustizminister hat einen Anfang gemacht. Das ist allemal besser, als zuzusehen, wie die naiven Jungs aus Kalifornien sich am Gemeinwesen vergehen und es nicht einmal merken.
Scharfe Kritik wird jedoch in Blogs geübt, so schreibt etwa Norbert Häring: „Das ist ein totalitäres Big-Brother-Gesetz… Hier dürfen sich die Anbieter aus dem Siliziumtal im Sprechen und Anwenden deutschen Rechts üben. Sie werden zu privaten Zensurgerichten, die statt ordentlicher Gerichte abwägen, ob hier die Meinungsfreiheit oder andere Belange überwiegen….“. Das geplante Gesetz würde Facebook zum Richter über die Meinungsfreiheit machen und eine ausgefeilte Zensurinfrastruktur etablieren. (Markus Reuter)
Dem Richterbund geht das Gesetz nicht weit genug: Rechtswidrige Kommentare schnell zu löschen, könne nur eine Säule im Kampf gegen Hass und Hetze im Netz sein. Wer strafbare Inhalte online stelle, der müsse dafür auch effektiv strafrechtlich verfolgt werden können, sagte der Geschäftsführer des Richterbundes, Sven Rebehn. Zudem sollten Opfer von Hassbotschaften einen direkten Auskunftsanspruch gegen die Netzwerke erhalten. „Wer im Netz verleumdet oder beleidigt wird, der muss sich dagegen effektiv wehren können, indem er etwa auf Unterlassen oder Schadensersatz klagt“, betonte Rebehn. Die Netzwerke müssten verpflichtet werden, die Namen anonymer Verfasser von Hasskommentaren an die Betroffenen herauszugeben.
Der Rechtsanwalt und Juraprofessor Niko Härting fragt, warum die verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen (Paragraf 90 b StGB), also zum Beispiel der Regierung, nicht in den Katalog aufgenommen wurde. Auch die „Verletzung von Privatgeheimnissen“ (Paragraf 203 StGB) fehlt ihm. Er nennt die Liste im Entwurf zum NetzDG deshalb „kunterbunt und kaum nachvollziehbar“ und bezweifelt, dass die Begriffe Hasskriminalität und strafbare Falschnachrichten damit wirklich abgedeckt sind. Paragraf 3 Absatz 4 des Entwurfs sieht vor, dass die Plattformbetreiber die von ihnen gelöschten Inhalte zu Beweiszwecken im Inland aufheben müssen. Netzpolitik.org und andere weisen darauf hin, dass keine Höchstspeicherfrist angegeben ist, sie befürchten offenbar die Einführung einer kleinen Vorratsdatenspeicherung von Kommunikationsinhalten. (Siehe zur Kritik auch Facebook-Justiz statt wirksamer Strafverfolgung? (Ulf Buermeyer).
Wirtschaftsministerin Zypries warnt hingegen vor unverhältnismäßigen Belastungen der europäischen Internet-Service-Provider und vor einer zu weitreichenden Regulierung der Internetplattformen. Sie schlägt ein „einheitliches europäisches Beschwerdeverfahren“ vor.
Die Union fordert wiederum eine Verschärfung und eine Ausweitung auf Verletzungen des Urheberrechts. Die SPD-Fraktion zeigt sich mit dem Gesetzentwurf zufrieden. Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast, die unlängst selbst Opfer einer erfundenen Nachricht wurde https://www.tagesschau.de/inland/kuenast-strafanzeige-101.html, kritisiert, dass die Frage, wie im Netz mit Hass, Zersetzung oder Diskriminierung umgegangen werde, nicht angetippt sei.
Die Linke und die Piraten sehen in den Regelungen eine private Zensur bzw. eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung. Jan Korte von der Linkspartei plädiert für eine unabhängige Monitoringstelle zur Bewertung von Inhalten.
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Kubicki verlangt zur Durchsetzung des Rechts mehr und ausreichend qualifiziertes Personal bei Strafverfolgungsbehörden und der Justiz.
Inzwischen hat Maas seinen Gesetzentwurf nochmals geändert.
In der vom Bundesministerium für Justiz zur Notifikation an die EU-Kommission übersandte Version wurde die bislang von Branchenvertretern und Juristen monierte Verpflichtung von Unternehmen, „wirksame Maßnahmen gegen die erneute Speicherung des rechtswidrigen Inhalts“ zu treffen, gestrichen. Facebook ist also nicht mehr verpflichtet, Filter einzurichten, mit denen das erneute Hochladen eines beanstandeten Inhalts verhindert wird. Die Pflicht zur Speicherung der rechtswidrigen Inhalte „zu Beweiszwecken“ wurde zudem auf zehn Wochen begrenzt.
Dem gegenüber stehen aber auch einige Verschärfungen im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf. So soll etwa der Katalog der Straftatbestände, bei deren Verwirklichung eine Löschpflicht bestehen soll, um Pornografie (§§ 184b, 184d StGB) terroristische Straftaten (§§129a und b, 131 StGB) und Staatsschutztatbestände (§§ 89a, 90b, 91, 100a StGB) erweitert werden.
Ebenso soll § 14 Abs. 2 Telemediengesetz dahingehend geändert werden, dass auch Privatpersonen die Herausgabe personenbezogener Daten eines Nutzers vom Provider fordern können, um ihre Rechte durchzusetzen. Künftig soll also ein Betroffener gerichtlich vom Mediendienst Auskünfte über die Person verlangen, die ihn falsch oder beleidigend angeschwärzt hat. Soweit der Hetzer sich aber unter einem Pseudonym angemeldet hat, muss der Mediendient nur das Pseudonym herausgeben. Es gibt keinen Anspruch, die IP-Adresse zu erhalten, um damit den Internet-Anschluss des Hetzers zu identifizieren.(Christian Rath Kölner Stadtanzeiger vom 30. März S. 4, siehe auch Legal Tribune Online).
Ob das Gesetz allerdings noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann, ist eine offene Frage. Der Diskussionsbedarf ist noch groß.
Vor allem in der Bloggerszene hat sich Heiko Maas viele Feinde gemacht. So wird in der nachträglichen Änderung des Telemediengesetzes und die dort neu geregelte Auskunftsplicht als „Frontalangriff auf die Anonymität – und damit auf das Vertrauen im Internet ebenso wie auf die Meinungsfreiheit“ kritisiert
(Siehe Joerg Heidrich).
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Teil 4: Probleme rechtsstaatlicher Instrumente gegen Hasskommentare
Teil 3: Was tun?
Teil 2: Der Echo-Kammer-Effekt
Teil 1: Vertrauensverlust der etablierten Medien
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Mitteilung an und Hinweis für Wolfgang Lieb:
Vielen Dank für diese gründliche Analyse der Hass-Mail-Problematik. Diese Arbeit liefert darüber hinaus auch noch einen hervorragenden Überblick zum derzeitigen Stand der Neuformierung von Öffentlichkeit im Computer-Zeitalter. Ich werde sie meinen Studierenden, die sich dieses zentrale Thema als Forschungs-Schwerpunkt gewählt haben, weiterempfehlen.
Mit Blick auf die Hassmail-Problematik will ich auf den App „BanHate“ der Antidiskriminierungs-Stelle des Landes Steiermark hinweisen. Dieses Projekt scheint mir deshalb so viel versprechend zu sein, weil es Instrumente und Verfahren des Computer-Zeitalters (App-Technologie, Beteiligung und Aktivierung der Vielen) intelligent mit analogen Wissensbeständen und Netzwerken (Gesetze, Anwälte) verbindet. Wir müssen ja heute fast mit Lichtgeschwindigkeit neue Regeln und Mechanismen für Öffentlichkeit im Computer-Zeitalter finden, deren Ausbildung sich nach der letzten großen vergleichbaren Medien-Revolution, dem Buchdruck, über Jahrzehnte und Jahrhunderte hingezogen hat.
Interessant geschrieben!!!