Wo sonst in Deutschland haben Schulen, Lehrer, Eltern, Schüler die gleiche Möglichkeit, um sich in der Topografie des Nazi-Terrors und seiner Folgen auskennen zu lernen wie in Berlin? Ob davon ausreichend Gebrauch gemacht wird, lässt sich schwer ermitteln. Aber hin und wieder lassen Ereignisse den Schluss zu, dass es noch immer sinnvoll ist, wenn Lernorte wie eben die Topografie des Terrors, die auf dem Grundstück des zerbombten Reichssicherheitshauptamtes errichtet wurde, mit modernster Meseumsdidaktik ausgestattet Jugendlichen die jüngere deutsche Geschichte nahe bringt.
Das könnte ein Pflichtprogramm sein, zumal immer mal wieder in der Stadt auch antisemitistische Übergriffe gemeldet werden, wie jüngst an einer Schule, als ein jüdischer Schüler von Mitschülern, offenbar mit arabischen und türkischen Wurzeln, angegriffen und beschimpft wurde. Die Eltern wechselten für ihren Jungen die Schule und machten den Vorgang öffentlich. Wie sich herausstellte, passierte die Sache an einer Schule, die als „Schule ohne Rassismus“ eingetragen ist, und zugleich um die 90 Prozent Schüler mit Migrationshintergrund hat. Es gibt an der Schule spezielle Angebote, die das Schild „Schule ohne Rassismus“ durchaus angemessen erscheinen lassen.
Aktuelle Nachrichten über den Nahostkonflikt wirken aber vermutlich intensiver auf Menschen in den Stadtteilen Berlins, in denen vorwiegend arabisch- oder türkischstämmige Familien leben. Die aktuelle Politik der rechtsgerichteten israelischen Regierungskoalition mit der Landnahme palästinensischen Bodens und der gleichzeitigen Genehmigung, darauf jüdische Siedlungen zu errichten, dürfte für sie eine andere emotionale Wirkung haben als für andere, zumal dann, wenn gleichzeitig vom israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu das Ende der Politik der Zweistaatlichkeit in Palästina verkündet wird. Eine Politik, die US-Präsident Trump unterstützt. Sie erhöht die Spannungen in der Region und lassen Schlimmes befürchten..
Es gibt allerdings zu denken, wenn sich die Kritik, die ich teile, sich nicht gegen den Verursacher, den israelischen Regierungschef richtet, sondern sich als antisemitischer Reflex bis auf den Schulhof ausweitet und sich gegen einen jüdischen Schüler entlädt. Da wird es Zeit, innenpolitisch darauf hinzuwirken, dass der Nahostkonflikt nicht auch noch dazu beiträgt, den neonazistischen und rechtspopulistischen Rand der Gesellschaft und seine antisemitischen Reflexe zu ermutigen.
Um das zu verhindern, braucht es erneut eine klare Haltung, und vor allem auch für die Kinder von Einwanderern und Flüchtlingen aus dem Nahen Osten sie mit unserer Geschichte vertraut zu machen. Es geht nicht darum, ihnen die Last des zivilisatorischen Desasters unserer jüngeren Geschichte auf die Schultern zu legen, aber sehr wohl darum, sie als einen Hinweis zu offerieren, wohin gruppenbezogene Unmenschlichkeit und nationale, gar völkische Überhebung führen kann.
Es gibt schulische Lernorte in Berlin, neben der Topografie des Terrors, auch das Angebot einer interaktiven Ausstellung von Gesicht Zeigen, die mittlerweile von 25 000 Jugendlichen besucht wurde und die international große Anerkennung findet. In dieser Ausstellung erschließt sich der Zusammenhang zwischen dem Menschheitsverbrechen des Hitlerterrors und die daraus folgende Etablierung und Anerkennung der Menschenrechte. Sie bietet eine logische Brücke zwischen dem Zivilisationsbruch und der heutigen Zivilgesellschaft. Wer sie überquert, kann unterscheiden zwischen selbstverständlicher Kritik an einer aktuellen Politik in Israel und schäbigem Antisemitismus.
Bildquelle: Wikipedia, Lordnikonm gemeinfrei