Nach der Wahl ist vor der Wahl. Das gilt selbst für einen Urnengang im Saarland, eine Abstimmung, die zwar von allen politischen Protagonisten hoch stilisiert worden war, deren Bedeutung man aber auch nicht überschätzen sollte. Vergleicht man dieses Fleckchen Erde im Südwesten an der Grenze zu Frankreich mit NRW, so leben an Rhein, Ruhr und Lippe 18 Mal mehr Einwohner als in Saarbrücken und um Umgebung. In Zahlen: 13, 1 Millionen Wähler sind hier am 14. Mai, dem Muttertag, zur Stimmabgabe aufgerufen. Anders ausgedrückt: Jeder fünfte Wähler kommt aus Nordrhein-Westfalen. Die NRW-Wahl sei ein wichtiger Meilenstein, hat Ministerpräsidentin Hannelore Kraft(SPD) gesagt, so etwas wie eine kleine Bundestagswahl. Und doch heißt das noch lange nicht, dass der, der NRW gewinnt und dort regiert, auch im Bund das Sagen hat. Johannes Rau(SPD) errang 1985 die absolute Mehrheit in NRW und unterlag dem Bundeskanzler Helmut Kohl(CDU) klar. Hannelore Kraft gewann die Landtagswahl 2012 mit 39,1 Prozent der Stimmen, aber Angela Merkel behielt die Macht in Berlin und siegte eindeutig über ihren SPD-Herausforderer Peer Steinbrück.
Aber dennoch ist die Wahl in NRW ausgesprochen wichtig. Deshalb liefen sich die Politikerinnen und Politiker von CDU, FDP und der SPD an diesem Wochenende schon mal warm für das Rennen am 14. Mai. Die Kanzlerin attackierte in ungewohnter Angriffslust die in Düsseldorf regierende rot-grüne Koalition und warf ihr Fehler und Versäumnisse vor. Das kennt man, das macht man so zum Auftakt des Wahlkampfes. Und sie ermunterte ihre Partei, anzugreifen und nicht zu verzagen. Aber bei allem Wohlwollen für den munteren Einsatz von Angela Merkel in Münster, mit dem sie das Murren und Maulen der CDU- Anhänger über ihre eigenen Schwächen vor allem in der Flüchtlingspolitik übertönte, wird die Pragmatikerin Merkel nicht daran glauben, dass es in NRW zu einem Machtwechsel kommt. Da müsste schon ein Wunder geschehen.
Als Merkel Röttgen das Ministeramt entzog
So ist die Ausgangslage: bei der letzten Landtagswahl vor fünf Jahren kam die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Norbert Röttgen gerade mal auf 26,3 Prozent der Stimmen. Die Folge: Merkel löste Röttgen als Umweltminister ab, er musste auch in Düsseldorf einem anderen Christdemokraten Platz machen: Armin Laschet, der aber auch nicht so überragend ist und dessen Ausstrahlung eher begrenzt ist. In allen vorliegenden Umfragen liegt Laschet mit der CDU klar hinter Kraft und der SPD. Mal kommt die CDU in NRW auf 30 Prozent, mal nur auf einen Wert von knapp darunter. Dagegen werden der SPD mal 37, mal 38 und auch schon mal 40 Prozent vorausgesagt. Und im persönlichen Wettstreit mit der Ministerpräsidentin rangiert der Rheinländer Laschet meilenweit hinter der Amtsinhabern.
Da spielt der so genannte Schulz-Effekt wohl auch eine Rolle. Und selbstverständlich kam Martin Schulz, der Kanzlerkandidat und SPD-Parteichef,auch zum Aufgalopp der NRW-SPD zur Zeche Zollverein in Essen, um dort zusammen mit Hannelore Kraft und vielen anderen Spitzen-Sozialdemokraten das Signal für den Wahlkampf um die Vorherrschaft im bevölkerungsreichsten Bundesland zu geben. Die SPD hat mit Martin Schulz ihr Selbstbewusstsein zurückgewonnen, sie hat ihre Köpfe wieder hochgereckt und blickt mit Selbstvertrauen nach vorn. Umrahmt von der Kulisse des Weltkulturerbes Zeche Zollverein, deren Geschichte ja auch für die Geschichte der SPD steht mit allen Aufs und Abs, soll die Sieges-Botschaft an die Mitglieder und Wählerinnen und Wähler gehen.
Laschet greift Martin Schulz an
Die überraschend klare Wahl-Niederlage im Saarland hat die SPD in NRW zur Kenntnis genommen. Motto: Es ist passiert, aber das Saarland ist klein und kein Maßstab. Und in NRW verteidigt die SPD die Mehrheit im Landtag und die Staatskanzlei. Und das mit der Popularität ihrer Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Es passt ins selbstbewusste Bild der SPD an Rhein und Ruhr, dass die Lage im Land sich gebessert hat, dass die Wirtschaftsdaten nach oben zeigen, sodaß der Herausforderer Laschet seine liebe Mühe haben wird, mit dem Argument „NRW ist Schlusslicht mit und dank Rot-Grün“, Wahlkampf zu machen. Gerade hat Wirtschaftsminister Garest Duin(SPD) mitgeteilt, dass die NRW-Wirtschaft im abgelaufenen Jahr 2016 um 1,8 Prozent zugelegt habe. Damit ist man nicht mehr Schlusslicht, sondern liegt im vorderen Mittelfeld. Auch das Argument des Nullwachstums kann nur noch bedingt herhalten, weil der Wert sich auf 0,8 Prozent gesteigert hat. Wenig zwar, aber positiv. Ähnlich die Neuverschuldung. Da hat vor einiger Zeit Finanzminister Norbert Walter-Borjans(SPD) den Aufwärtstrend bekanntgegeben. Überhaupt der Finanzminister: Er hat mit seinem Kampf gegen die Steuerhinterziehung große Erfolge erzielt.
Laschet greift seit Wochen Martin Schulz Gerechtigkeits-Wahlkampf an, auch Angela Merkel hieb in Münster in diese Kerbe. Man möge doch nicht mit Gerechtigkeit kommen in einem Land, wo die Kinderarmut besonders angestiegen sei. Na ja, man wird sehen, ob das zieht. Hannelore Kraft setzt dagegen seit Jahr und Tag ihr Motto „Kein Kind zurücklassen“.
Legt man die Daten aller Umfragen zu Grunde, könnte die Bildung einer Regierung kompliziert werden. Die Grünen sind in den letzten Monaten sehr schwach geworden. Es hat sich offensichtlich nicht ausgezahlt, dass ihre Anhänger nicht mehr wissen, was die Partei-Obereren wollen. Auch das Taktieren zwischen Rot-Grün und Schwarz-Grün hat die Unsicherheit im grünen Lager eher vergrößert. In NRW müssen sie, wenn sich das Meinungsbild nicht entscheidend ändert, am Ende froh sein, wenn sie in den Landtag kommen. Dabei hatten sie bei der Wahl 2012 immerhin 11,3 Prozent der Stimmen gewonnen. In Umfragen sind sie aber auf einen Wert um die sechs Prozent abgestürzt. Für eine Koalition mit der SPD sieht es nicht gerade günstig aus. Eine Ampel-Koalition hat FDP-Chef Christian Lindner für NRW ausgeschlossen. Er will nicht in eine Regierung eintreten, die er seit Jahr und Tag heftig kritisiert. Aber Lindner kandidiert auch für den Bundestag, im Erfolgsfall kehrt er Düsseldorf den Rücken und zieht nach Berlin.
Lindner schließt Koalition mit SPD nicht aus
Allerdings hat Lindner eine Koalition mit der SPD nicht ausgeschlossen. Dafür müssten die Liberalen aber um die Zehn-Prozentpunkte bei der Landtagswahl gewinnen, was nicht so leicht sein dürfte. Bei der letzten Landtagswahl kam die FDP auf 8,6 Prozent und in den Umfragen rangiert sie mit 9 Prozent auf Platz drei hinter der SPD und der CDU. Eine sozialliberale Regierung gab es früher schon mal in NRW, und zwar erst in NRW und dann im Bund. Das waren die Zeiten von Willy Brandt, Walter Scheel, Willy Weyer, Heinz Kühn, um nur einige zu nennen. Lang ist es her.
Die Linke hofft auf den Einzug ins Landesparlament. Mit Hannelore Kraft kommen die Linken nicht ins Gespräch. Wie schon in der Vergangenheit so hat die Mülheimer Sozialdemokratin auch jetzt wieder die NRW-Linke als „nicht regierungsfähig und nicht regierungswillig“ bezeichnet. Das passt natürlich den Linken im Lande nicht, aber bisher hat sich Frau Kraft keine derartige Koalition-Diskussion aufschwatzen lassen. Warum sollte sie auch? Überhaupt meidet sie Koalitions-Debatten. Ihr Ziel ist, die SPD müsse wieder stärkste Partei werden und dann werde sie den anderen Mitbewerbern Gespräche anbieten.
Schröder gegen Rot-Rot-Grün
Über eine große Koalition muss man vor Wahlen nicht reden, weder in Düsseldorf noch in Berlin. Eine solche Konstellation wünschen sich weder Angela Merkel noch Martin Schulz. Wenn es so kommt, wird es gemacht. Punkt. Ein Wort zu Rot-Rot-Grün, eine Verbindung, die nicht mal im kleinen Saarland, der Heimat von Oskar Lafontaine, beliebt war und entsprechend keine Mehrheit bekam. Wer Frau Wagenknecht, die Frau von Lafontaine, kürzlich bei Anne Will in der Diskussion erlebte, wer ihre Art der Argumentation hörte, der konnte sich nur wundern. Sie sprach und forderte und verlangte, als hätte die Linke gerade mal mindestens 40 Prozent der Stimmen bekommen. Hat sie aber nicht. Wer allein deren Diskussions-Ansatz zur Außenpolitik verfolgte, zur EU und zum Nato-Bündnis, kann nur abwinken und die Forderung von Linken-Parteinchefin Katja Kipping nur belächeln. Sie verlangt von der SPD ein klares Bekenntnis zu einem rot-rot-grünen Bündnis im Bund. An dieser Stelle darf man den Altkanzler(Pardon!, das hört er nicht gern) Gerhard Schröder(SPD) zitieren. Er sagte im Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“: „Ich glaube nicht, das man das hinbekommt, solange die Familie Lafontaine in der Linkspartei tonangebend ist“. Ein Linksbündnis könne nur zu den Bedingungen der SPD umgesetzt werden, so Schröder und wiederholte ein altes Bild aus seiner Kanzlerzeit: „Wir erklären, wer Koch und wer Kellner ist.“