Die britische Premierministerin Theresa May hat der EU das Austrittsgesuch Großbritanniens geschickt. Nun nimmt der Brexit seinen Lauf. Zwei Jahre sind für das Verfahren nach Artikel 50 des Lissabon-Vertrags angesetzt, das ansonsten kaum geregelt ist. Da wird Geschichte geschrieben.
Austritt war nicht vorgesehen
In den Römischen Verträgen, deren 60. Jahrestag die Europäer gerade erst feierlich begangen haben, kam das Wort Austritt überhaupt nicht vor. Auch über Jahrzehnte danach hat niemand damit gerechnet, dass es jemals einem Mitgliedsland in den Sinn kommen könnte, die Gemeinschaft zu verlassen. Und es hat bis heute etwas Unfassbares, dass die Briten den Weg gewählt haben, einen Weg, der ins vollkommen Ungewisse führt und von dem nur eines sicher ist: Das große Heilsversprechen, das die Europafeinde der Bevölkerung gemacht haben, die neue wirtschaftliche Blüte und das Wiedererstarken des Vereinigten Königreichs, werden sich mit dem Austritt aus der Europäischen Union nicht erfüllen.
Nachahmer nicht motivieren
Der Trennungsprozess wird häufig mit dem Bild einer Ehescheidung beschrieben. Die kann gütlich verlaufen oder in einen Rosenkrieg ausarten, und es kommt auf die Einstellung beider Seiten an, in welchem Geist sie die Verhandlungen führen. Von europäischer Seite wird alles vermieden, was Nachahmer motivieren oder Begehrlichkeiten unter den verbleibenden 27 Mitgliedsländern wecken könnte. Großzügigkeit ist da nicht zu erwarten und wäre auch schwer zu vermitteln. Von britischer Seite wird alles versucht werden, die wirtschaftlichen Vorteile des Binnenmarktes hinüberzuretten in die neue Freiheit.
Ein Böses Erwachen
Darüber hinaus hat die Premierministerin es mit kniffligen Problemen im eigenen Haus zu tun. Die Grenze zwischen Nordirland und Irland wird zur EU-Außengrenze; Schottland beantragt ein neues Unabhängigkeitsreferendum. Nicht auszuschließen, dass der Austritt aus der EU den Zerfall des Vereinigten Königreichs einleitet. Auch diese Gefahr gehört zu den vielen unbedachten Folgen des Brexit-Referendums, das nun auf Biegen und Brechen umgesetzt wird, und das ursprünglich nur dem damaligen Premierminister David Cameron als Mittel zum Ausbau der eigenen Macht dienen sollte. Das Ergebnis einer Kampagne, die mit populistischen Parolen und postfaktischen Behauptungen zum Erfolg gelangte, bescherte den Briten ein böses Erwachen. Die Abgeordneten, also die gewählten Repräsentanten des Volkes, beugten sich mehrheitlich dem Votum. Ein abschreckendes Beispiel für den Missbrauch und die Manipulationsmöglichkeiten direkter Demokratie.
Geist guter Nachbarschaft
Nun also geht es an die Arbeit, all die Regeln, Verbindungen, Verträge auseinanderzudividieren, die in den Jahrzehnten gewachsen und miteinander ausgehandelt worden sind. Dahinter verbergen sich nicht nur wirtschaftliche und handelspolitische Interessen, sondern auch soziale und menschliche. Das Kunststück wird sein, eine Scheidung, die keinem nützt, im Geiste guter Nachbarschaft über die Bühne zu bringen, denn natürlich bleiben die EU und die Briten auch in Zukunft auf vielfältige Weise verbunden. Noch ist kaum vorstellbar, wie das gelingen soll, aber die Geschichte beginnt ja auch gerade erst.
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