Das deutsch-türkische Verhältnis ist inzwischen auf einen historischen Tiefpunkt gesunken. Staatschef Recep Tayyip Erdogan geht voll auf Konfrontationskurs und wirft Deutschland im Streit um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker „Nazi-Praktiken“ vor. Alle Bemühungen von Bundeskanzlerin Merkel und von Außenminister Gabriel, den Konflikt zu deeskalieren, helfen offenbar wenig. Dabei macht niemand auf der deutschen Seite auf Total-konfrontation. Vielmehr wird auf die Spielregeln unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates verwiesen, die alle Deutschen sowie auch alle Menschen aus dem Ausland einzuhalten haben. Meinungs-, Demonstrations-, Presse- und Versammlungsfreiheit – das sind wertvolle Errungenschaften unseres Staates, die im Übrigen auch die rund 3 Millionen Türken, die bei uns leben, genießen.
Spielregeln der Demokratie beachten!
Doch müssen dafür die Spielregeln eingehalten und dürfen nicht missbraucht werden. Wo dies beachtet wurde, konnten bereits viele türkische Regierungsmitglieder hierzulande öffentlich auftreten und für Erdogan Werbe-Reden halten. Immerhin sind 1,4 Millionen Türken, die in Deutschland leben, wahlberechtigt.
Offener Ausgang des Referendums?
Ob sie alle jedoch bei dem am 16. April anstehenden Referendum für Erdogan stimmen und ihn damit als neuen Sultan mit nahezu unbeschränkten Herrschaftsrechten ausstatten werden, ist eher zweifelhaft. Denn viele Türken, die in der zweiten und dritten Generation in Deutschland sind und sich bestens integriert haben, wissen sehr gut zwischen der Demokratie hierzulande und der à la Erdogan zu unterscheiden.
Unsicher ist zudem, wie das Ergebnis in der Türkei selbst ausfallen wird. Nicht wenige Experten gehen derzeit davon aus, dass es „Spitz auf Knopf“ steht und Erdogan die Mehrheit auch verpassen könnte. So sind wohl auch die rüden Ausfälle und verbalen Attacken des türkischen Staatschefs und seiner Paladine, die er im In- wie Ausland für sich trommeln lässt, zu verstehen.
Absurder Nazi-Vergleich
Allerdings ist es gewiss nicht die feine politische Art, wenn türkische Politiker -allen voran Erdogan selbst- mit übertriebenen Attacken andere Länder angehen und verunglimpfen. Nazi-Vergleiche und ähnliche Tiraden sind jedenfalls nicht hinnehmbar. Das muss klipp und klar von Berlin aus nach Ankara signalisiert werden. Auch bei den Gesprächen von deutschen mit türkischen Politikern muss deutlich gemacht werden, dass die übertriebene Hetze gegen unser Land unannehmbar ist. Selbst die Drohung Erdogans, das Flüchtlingsabkommen mit der EU aufzukündigen und die rund 3 Millionen Migranten, die derzeit in der Türkei leben, über die Grenze in Richtung Westen marschieren zu lassen, darf nicht zur Leisetreterei führen.
Erdogans Willkür trifft Hunderttausende
Vielmehr muss Erdogan gegenüber deutlicher als bisher klargemacht werden, dass er immer stärker demokratische Werte verletzt. Sein Ziel ist der Wandel seines Landes zu einer Autokratie. Bereits nach dem gescheiterten Putschversuch im Juli des letzten Jahres hat er wie ein Diktator zugeschlagen, um Kritiker und Gegner aus dem Weg zu räumen. Über 6.000 Richter, Soldaten und Staatsanwälte, mehr als 120 Unternehmer und etwa 100 Journalisten ließ er festnehmen und ins Gefängnis sperren. Zugleich wurden über 100.000 Lehrer, Mitarbeiter in Ministerien und Behörden, Polizisten, Professoren, Justizangestellte, Journalisten und Beschäftigte der Geheimdienste entlassen. Niemand ist offenbar vor der staatlichen Willkür Erdogans mehr sicher im Land. Von den demokratischen Grundrechten und Werten ist Erdogans Reich inzwischen um Lichtjahre entfernt. Die Zahl der Terroranschläge ist 2016 sprunghaft gestiegen. Die Konfrontation mit den Kurden fordert immer mehr Opfer. Manches deutet darauf hin, dass die Türkei über kurz oder lang einen blutigen Bürgerkrieg erleben könnte.
Weniger Wachstum, mehr Arbeitslose
Solche politischen Rahmenbedingungen führen auch zu einem wirtschaftlichen Niedergang. Die Türkei befand sich bis zum Jahre 2010 auf einem kräftigen ökonomischen Aufwärtskurs mit Wachstumsraten von über 8 %. Die Arbeitslosigkeit nahm deutlich ab. Der Tourismus florierte und brachte Milliarden ins Land. Mehr als 0,5 € musste für die türkische Lira gezahlt werden.
Inzwischen hat sich das alles umgekehrt. Das Bruttoinlandsprodukt dürfte 2017 kaum noch um 3 % zulegen. Die Arbeitslosenquote steigt über 10 %; insbesondere wird die Jugendarbeitslosigkeit bei über 20 % liegen. Die Tourismuseinnahmen sind bereits 2016 auf nur noch 22 Mrd. US-Dollar gefallen; das sind 10 Mrd. weniger als 2015. Und die Talfahrt geht weiter, weil nur noch wenige Deutsche und andere Ausländer ihre Ferien an türkischen Küsten verbringen wollen: 2015 machten dort 36 Millionen Urlaub, 2016 waren es nur noch 25 Millionen. Im laufenden Jahr werden es wohl weniger als 20 Millionen, selbst wenn wieder mehr Russen in die Türkei reisen. Viele Hotels in den großen Städten und in den Feriengebieten stehen weitgehend leer – trotz aller Sonderpreise.
In den großen Einkaufszentren Istanbuls und anderer Städte wird mehr und mehr Trübsal geblasen. Die Einzelhandelsumsätze gehen kräftig zurück, viele Läden sind bereits geschlossen. Die Inflationsrate bewegt sich um die 10 % – mit steigender Tendenz. Ebenfalls kräftig erhöht werden die Zinsen. So werden Kredite für neue Investitionen und Bauten immer teurer, was die Konjunktur weiter ausbremst. Wen wundert es da noch, dass die großen Ratingagenturen türkische Staatsanleihen inzwischen als spekulative Anlage einstufen, bei der mit Ausfällen zu rechnen und die als Investment nicht geeignet ist. Bis zum Ramschniveau scheint es nicht mehr weit. Die Folgen der Politik Erdogans werden die Türken schon in der nächsten Zeit hart treffen. Auf besondere wirtschaftliche und finanzielle Hilfen aus dem Ausland kann die Türkei wohl nicht mehr hoffen. Erdogan und seine Gefolgsleute verspielen in diesen Tagen den letzten Kredit. Dennoch sollte von deutscher Seite alles getan werden, die einst so große Freundschaft zum türkischen Volk und die guten Verbindungen zu den in Deutschland lebenden Türken nicht erkalten zu lassen. Denn die „Erdogan-Diktatur“ könnte schneller als gedacht im Chaos enden.
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