Mit Martin Schulz erhebt die SPD den Anspruch aufs Kanzleramt. Noch vor Monaten wäre die Partei dafür milde belächelt worden, auch weil die Amtsinhaberin als unabwählbar galt. Doch Angela Merkel (CDU) schwächelt, und Martin Schulz beseelt die SPD mit neuer Hoffnung.
Wie begründet die Euphorie ist und wie lange sie anhält, wird sich weisen. In jedem Fall aber gewinnt die Demokratie, wenn der Anschein der Beliebigkeit von Politik verschwindet und mit ihm der Eindruck der Vergeblichkeit von Wahlen. Mit Martin Schulz, dem Buchhändler ohne Abitur, dem langjährigen Bürgermeister von Würselen und überzeugten Europapolitiker präsentiert sich ein anderer Politikertypus. Darin liegt eine Chance.
Die Begeisterung für Martin Schulz erklärt sich, solange noch gar nicht erkennbar ist, wofür er inhaltlich steht, vor allem aus seinem Stil, seiner Redegewandtheit, seinen klaren, grundsätzlichen Botschaften. Er ist, obgleich auf Parteitagen der SPD schon mehrfach umjubelter Redner, einer von außen, nicht verstrickt in die große Koalition, ohne Makel der Merkel-Dienerei und im nun beginnenden Wahlkampf ohne das Korsett der Kabinettszugehörigkeit.
Das gibt ihm Beinfreiheit, wie sie sein Vorgänger als Spitzenkandidat Peer Steinbrück von der SPD ausdrücklich einfordern musste. Der 61-jährige wird sie, wenn er die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen wird, für Klartext im Grundsätzlichen nutzen, gegen den um sich greifenden Nationalismus, gegen die Feinde der Demokratie, für soziale Gerechtigkeit, eine faire Gestaltung der Globalisierung und für Sicherheiten bei fortschreitender Digitalisierung.
Die Erwartungen an den Nachfolger von Sigmar Gabriel im Amt des Parteivorsitzenden sind gewaltig. Er soll die SPD vor dem Niedergang bewahren und zu neuer Blüte führen, die verprellte Anhängerschaft zurückholen und zusätzliche mobilisieren. Das Reservoir ist groß, allerdings sitzt auch der Verlust von Glaubwürdigkeit und Vertrauen tief. Entscheidend wird sein, ob Martin Schulz das Format hat, die sozialdemokratischen Grundwerte nicht nur überzeugend nach innen zu vertreten, sondern sie auch nach außen als Gewinn für die Gesellschaft zu verkörpern, ob es ihm gelingt, den Verdruss an der Demokratie in eine Lust am Mitmachen zu verwandeln.
Die nordrhein-westfälischen Landtagswahlen im Mai werden erste Hinweise geben. Rückenwind aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland würde einen kräftigen Schub für die Bundestagswahl bedeuten, ein enttäuschender Ausgang nicht nur einen Dämpfer, sondern das Ende der Euphorie. Die lange Liste der SPD-Vorsitzenden kennt große, bedeutende Namen, aber auch entzauberte Hoffnungsträger. Seinen Platz muss Martin Schulz erst finden.
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