Am 20. Januar diesen Jahres ist Donald Trump als neuer Präsident der USA in das Weiße Haus eingezogen. Seine Inaugurationsrede war ein lautes Signal an die Welt, insbesondere auch an Europa: America first, America first! Ob es uns missfällt oder ob es uns gar bestürzt macht, die amerikanische Politik wird unter dem neuen Präsidenten völlig neu ausgerichtet. Die Weichen waren über viele Jahrzehnte hinweg verlässlich in Richtung transatlantische Partnerschaft gestellt. Auf der Basis gemeinsamer Werte haben Amerikaner und Europäer partnerschaftlich, ja freundschaftlich zusammengearbeitet, um Frieden und Freiheit zu sichern. Vor allem die NATO wurde diesseits und jenseits des Atlantiks als Verteidigungsbündnis und als Wertegemeinschaft definiert und praktiziert.
Drohender Handelskrieg
Noch bis vor wenigen Monaten bestand die große Chance für Europa, mit den USA ein transatlantisches Handels- und Investitionsabkommen (TTIP), eine transatlantische Freihandelszone zu realisieren. Der Widerstand in einigen europäischen Ländern gegen einen solchen Vertrag war nicht gering. Es gab laute Proteste auch in Deutschland gegen TTIP, bei denen vordergründig Ängste gegen amerikanische Chlorhähnchen geschürt wurden. Inzwischen ist wohl jedem klar, dass die Chance für den Abschluss von TTIP endgültig vorbei ist. Die neue Administration der USA wird nun einen völlig anderen Kurs verfolgen und den großen amerikanischen Markt mit mehr oder weniger scharfen protektionistischen Maßnahmen gegen die ausländische Konkurrenz abzuschirmen versuchen. Eine solche Außenhandelspolitik wird negative Folgen für China, für Mexiko und viele andere Länder, insbesondere jedoch auch für Europa haben.
Gerade für uns Europäer war es schon in der Vergangenheit nie gut, wenn die USA eine Politik der „splendid isolation“ verfolgten. Doch wenn man sich an den „Hähnchenkrieg“ oder an die Währungspolitik früherer Jahrzehnte als Beispiele erinnert, es wurden immer tragbare Kompromisse gerade zwischen Amerika und Europa gefunden. Bei aller Schärfe der Ankündigungen des neuen US-Präsidenten wäre es völlig falsch, jetzt mit einem allzu harten verbalen Echo von Europa aus über den Atlantik hinweg zu antworten. Gewiss mag ein gegenseitiger respektvoller Umgang angemahnt werden müssen, denn aus den bisherigen Partnern sind mit der Präsidentschaft von Donald Trump nicht plötzlich Gegner oder gar Feinde geworden. Nach wie vor werden die gemeinsamen Werte der Völker Europas und der USA das Miteinander bestimmen. Darauf hat gerade auch die Bundeskanzlerin Angela Merkel hingewiesen, dass es am besten für alle ist, „wenn es ein regelbasiertes, auf gemeinsamen Werten beruhendes, gemeinsames Agieren gibt“. Denn nur so können -auch mit dem neuen US-Präsidenten- Kompromisse gefunden werden.
Neue Herausforderungen in der Sicherheitspolitik
Allerdings muss sich Europa den neuen Herausforderungen offensiv stellen. Das gilt zunächst für die gemeinsame Sicherheitspolitik. Ohne Zweifel haben die USA in der NATO seit langem die höchsten Lasten geschultert. Schon vor vielen Jahren wurde von allen Partnern des Bündnisses hochheilig versprochen, dass jedes NATO-Mitglied 2 % seines Bruttoinlandsproduktes als Verteidigungsbeitrag leisten wird. Doch von dieser Marke sind viele Länder immer noch weit entfernt – auch Deutschland mit seinen 1,2 %. Die USA beteiligen sich mit 3,6 % ihres Bruttoinlandsproduktes an den Verteidigungsausgaben der NATO; einen geringeren Anteil als Deutschland leisten nur wenige andere NATO-Mitglieder wie etwa Ungarn, Slowenien, Tschechien und Spanien.
Das gilt ebenso für die zugesagte Zahl von Soldaten; in den meisten NATO-Staaten wird die Soll-Stärke mehr oder weniger stark unterschritten. So ist Präsident Trump nicht der erste, der die Europäer zu größeren Anstrengungen mahnt, ihre sicherheitspolitischen Verpflichtungen zu erfüllen und sich viel stärker etwa im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zu engagieren. Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union hatten dieses wichtige Thema bei ihrem letzten Gipfeltreffen auf der Agenda. Es wäre gewiss gut, wenn die EU möglichst bald positive Schritte in Richtung „gemeinsame Verteidigungs- und Sicherheitspolitik“ konkretisieren würde.
Renationalisierungstendenzen in Europa
Angesichts der großen Veränderungen und Herausforderungen unserer globalisierten Welt, die derzeit in mancher Hinsicht aus den Fugen geraten ist, stellt sich die Frage: „Wie soll es aussehen – unser Europa?“ Niemand kann und darf übersehen, mit welchen zentrifugalen Kräften wir es derzeit auf unserem Kontinent zu tun haben. Diese Kräfte bekommen ohne Zweifel angesichts der Brexit-Entscheidung in Großbritannien und der Ankündigungen von Präsident Trump noch mehr Auftrieb. Der Blick über unseren Tellerrand hinweg lässt gefährliche Renationalisierungstendenzen in vielen Ländern -allen voran in Frankreich, Ungarn, Polen und in den Niederlanden- erkennen. Wer genau hinhört, dem entgehen die nationalistischen und chauvinistischen Töne nicht – auch nicht die der AfD hierzulande.
Europa ist unser Erbe und unser Auftrag. Europa ist nicht das Problem, sondern die Lösung. Kein Land unseres Kontinentes wird allein politisch und wirtschaftlich in unserer globalisierten Welt in Zukunft noch eine größere Rolle spielen können. Auf unserem Erdball leben heute gut 7,5 Milliarden Menschen; mehr als die Hälfte davon in Asien. In der EU sind es gut 500 Millionen, also gerade einmal 7 % der Erdbevölkerung, in Deutschland noch gut 1 %. Heute steht die EU mit ihrer Wirtschaftskraft, ihren Außenhandelsverflechtungen, ihren durchweg gut qualifizierten Menschen, ihren hohen Sozialleistungen, ihren Innovationen und ihrer Infrastruktur im internationalen Vergleich durchaus gut da. Diese positive Bilanz ist keine Garantie für die Zukunft, doch ein solides Sprungbrett, um sich im globalen Wettbewerb behaupten zu können.
Auf EU-Stärken setzen!
Kein europäisches Land -auch nicht Deutschland- wird es allein schaffen, sondern mit einer Renationalisierung in den noch rauer werdenden internationalen Gewässern untergehen. Das politische und ökonomische Gewicht eines jeden Nationalstaates wird minimiert. Ob in der Welthandelsorganisation (WTO) oder im Internationalen Währungsfonds (IWF), ob in der Weltbank oder beim Weltklimaabkommen -um nur einige Beispiele zu nennen- werden die USA, China und Russland sowie Indien dominieren und die Spielregeln für die Welt festlegen; nur die EU wird als starkes Bündnis europäischer Staaten eine Mitbestimmungschance haben, um den Zukunftskurs auf unserem Planeten mitzuprägen. Deshalb ist es wirklich eine Frage des „to be or not to be“, dass Europa sich jetzt umgehend auf seine Stärken besinnt. Denn es gibt doch auf den wichtigsten Feldern keine Alternativen zu einer gemeinsamen Politik für die innere und äußere Sicherheit, bei der Bekämpfung des Terrorismus und der Kriminalität, beim Klimaschutz, für die Wirtschaft und den Handel und für Forschung und Entwicklung. Die Summe der gemeinsamen Kräfte ist um ein Vielfaches stärker als der Versuch, es auf all´ diesen Feldern mit nationalen Alleingängen zu versuchen.
Werte der Demokratie wahren!
Die EU hat sich als die einzigartige Friedensgemeinschaft bewährt. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat kein Land dieser Europäischen Gemeinschaft auf ein anderes europäisches Nachbarland auch nur einen Schuss abgefeuert. Aus ehemaligen Erb- und Erzfeinden sind Partner und Freunde geworden. Aus einst trennenden Grenzen sind gemeinsame Verbindungslinien geworden. Niemand –auch die jüngere Generation- sollte den hohen Wert dieser Friedensgemeinschaft in einer Welt der Kriege und Krisen geringschätzen. Denn ohne Frieden sind auch Freiheit und Sicherheit nicht mehr gegeben.
Diese Friedensgemeinschaft basiert auf den gemeinsamen europäischen Werten, ja auf den Werten unseres europäischen Abendlandes, auf den Werten unserer Demokratie, wobei die Würde des Menschen obenan steht. Gerade diese unveräußerlichen Menschenrechte sind doch auch das Band zu den USA, zur festen transatlantischen Wertegemeinschaft. Wer in den Hafen von New York einfährt, wird von der großen Freiheitsstatue „begrüßt“. Sie steht in der Tat für die Freiheit diesseits und jenseits des Atlantiks. Diese Freiheit war für viele Menschen in Mittel- und Osteuropa bis vor nicht einmal 3 Jahrzehnten einer der sehnlichsten Wünsche. Erst mit dem Fall des „Eisernen Vorhangs“, mit dem Ende des „Kalten Krieges“ Anfang der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts wurde dieser Wunsch nach Freiheit Realität. Viele mittel- und osteuropäische Völker kehrten damit nach Europa zurück und sind heute gleichberechtigte Mitglieder in unserer Europäischen Union.
Auf wirtschaftliche Stärken besinnen!
Diese Union hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einem der größten gemeinsamen Märkte der Welt entwickelt – zu einem einzigartigen Binnenmarkt. Die Freizügigkeit von Arbeit, Waren und Dienstleistungen sowie Kapital hat den Wohlstand der Menschen in allen europäischen Ländern in hohem Maße gesteigert. Nicht wenige Länder der Gemeinschaft profitieren von den gegenseitigen Investitionen in Produktionsanlagen. Neue wettbewerbsfähige Arbeitsplätze sind so geschaffen worden. Dennoch besteht in einigen Staaten die Notwendigkeit, mutige Strukturreformen durchzuführen, um so konkurrenzfähiger zu werden und die zum Teil zu hohe Arbeitslosigkeit -vor allem von Jugendlichen- nachhaltig abzubauen. Die EU bietet dafür wichtige Hilfen der Gemeinschaft an – über Struktur- und Kohäsionsfonds sowie auch über die Finanzierungsangebote der Europäischen Investitionsbank (EIB). Vor allem sollte die EU mit der besten Infrastruktur noch enger zusammenwachsen. Das betrifft die Autobahn- und Eisenbahn- ebenso wie die IT-Netze. Der Binnenmarkt kann einen guten Schub erhalten, wenn der Transport von Menschen und Gütern, wenn die Übermittlung von Daten optimiert werden.
Made in Europa als Zauberformel
Europa braucht einen neuen Aufbruch mit Blick auf die globalen Herausforderungen. Dabei muss es um große Zukunftsprojekte gehen – um Projekte, die im Wettbewerb mit den USA oder China nur mit der Bündelung der gemeinsamen Kräfte gelingen können. Die Humanressourcen der EU sind groß, aber die Kooperationen in Wissenschaft, Forschung und Entwicklung sind bislang keineswegs optimal. Hier müssen die durchaus beachtlichen Fähigkeiten gebündelt werden; die Zahl der „grauen Zellen“ ist in Europa keineswegs geringer als in Asien oder Amerika. Die Vernetzung von Universitäten, Hochschulen, Forschungs- und Entwicklungsinstituten sollte optimiert werden, um faszinierende Projekte für die Zukunft auf die Schiene zu bringen: Das könnte bei einer Vielzahl von wichtigen Feldern möglich sein – etwa in der Medizin, Pharmazie, bei Energie- und Umwelttechnologien, in der Bio- und Gentechnologie, insbesondere in der Digitalisierung, die in Kürze eine dominierende Rolle für nahezu alle Bereiche spielen wird.
Europa verfügt über nahezu alle Fähigkeiten, um die Zukunft positiv zu gestalten. Doch der Kontinent gleicht in mancher Hinsicht einem schlafenden Riesen, der erweckt und mit seinen großen Kräften eingesetzt werden muss. Wenn schon nicht ein „Europe first“ die Formel sein soll, dann mag es um das selbstbewusste „Europe yes, we can!“ gehen. Denn unser Kontinent kann viel mehr leisten, als es in der Gemeinschaft der EU-Mitgliedsländer bislang getan hat. Im Flugzeugbau hat es mit dem Airbus den besten Beweis dafür gegeben; heute ist er weltweit ein konkurrenzfähiges Transportmittel – made in Europe. Mit solchen realisierten Erfolgen wird Europa wieder stärker an Attraktivität, Zuspruch und Begeisterung gewinnen – vor allem auch bei der jungen Generation, die dann auch das europäische Erbe für die beste Möglichkeit ihrer Zukunftsgestaltung annehmen wird. Nicht Angst vor Trump, sondern mehr Mut zu Europa sollte in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft die Stimmung prägen.