Bundespräsident Joachim Gauck hat sich in seiner letzten Ansprache vor seinem Ausscheiden tief besorgt über den Zustand unseres demokratischen Rechtsstaats gezeigt. Die liberalen Demokratien sowie das politische und „ narrative Projekt des Westens „ stünden unter Beschuss, die Wahrheit spiele heute keine Rolle mehr, vor allem in den sozialen Medien werde grenzenlos gelogen und gehetzt. „ Emotionen sind für die Meinungsbildung wichtiger als Fakten. „
Gauck plädierte für eine Kommunikation, die stärker als bisher auch diejenigen mit einbeziehen müsse, die nicht regelmäßig am politische Diskurs teilnähmen“. Austausch und Diskussion sind der Sauerstoff für eine offene Gesellschaft, Streit ihr belebendes Element. „ Aber Gauck, der nach einem widerständigen Leben in der DDR weiß, wovon er spricht, zieht auch eine Grenze: Wo Normen und Gesetze überboten werden und sich Demokraten von Nicht-Demokraten unterscheiden, gebe es auch eine klare Grenze für die Debatte.
Wie sich die Ereignisse in diesen Wochen überschlagen. Das Bundesverfassungsgericht hat die rechtsradikale NPD zwar für wesensverwandt mit dem Nationalsozialismus erklärt- die Partei sei aber politisch zu unbedeutend und darum keine Gefahr für die Demokratie. Das kann man sehen, wie man will. Eine Prävention gegen den aufkommenden Rechtsradikalismus ist dieses, von Zuversicht in die Kraft unserer Zivilgesellschaft geprägte Urteil leider nicht. Was soll der normale Bürger damit anfangen, wenn einerseits der Bundespräsident zu Recht eine Grenze zwischen Demokraten und Nicht-Demokraten zieht, andererseits das Bundesverfassungsgericht der, „ mit dem Nationalsozialismus wesensverwandten NPD“, auch weiterhin das Recht zubilligt, unter dem Schutz des Parteienprivilegs zu agitieren- also Steuergelder für die destruktive Parteiarbeit zu kassieren? „ Mörderbande „, Volksverräter“ und „ Feinde des Vaterlands“ – Pamphlete wie diese, werden bis auf Weiteres aus Staatsgroschen bezahlt.
Geht der demokratische Rechtstaat vor seinen Feinden nicht doch in die Knie? Wäre das Verbot der Nazi-Partei in einem Land mit einer derart verstörenden Nazi-Geschichte nicht doch das bessere Signal nach innen und außen gewesen? In Zeiten eines auftrumpfenden Rechtspopulismus, der sich nach Trumps Steilvorlage nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa immer frivoler präsentiert, wäre ein Verbot das bessere Mittel. Die Gehässigkeiten der Neuen Rechten, die man leider immer noch beschönigend mit dem nichtssagenden Allerwelts-Titel „ Populisten“ bezeichnet, sind inzwischen fast schlimmer als alle Hassbotschaften der NPD.
Genau an jenem historischen Tag, an dem Karlsruhe sein widersprüchliches Urteil verkündete, kam die Antwort aus Dresden. In der Zentrale der ostdeutschen Rechten griff der AfD -Politiker Björn Höcke erneut zur „ Nazi-Keule“, wie man dies unter Rechtsextremisten bezeichnet. Mit Blick auf das Berliner Holocaust- Mahnmal sagte er: „ Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat. „ Abgesehen von der völlig berechtigten Empörung, die dieser Satz beim Zentralrat der Juden in Deutschland, aber auch bei allen Parteien des Deutschen Bundestages auslöste, sollte man Höckes Satz vor dem Hintergrund eines Rechtsrucks in der AfD analysieren . Mit der gezielten und strategisch vorbereiteten Debatte um das Holocaust-Mahnmal sollen Begriffe in die Öffentlichkeit lanciert werden, die zwar aus dem Wörterbuch des Unmenschen stammen, aber nur dazu dienen, das bisher Unsagbare sagbar zu machen und die Grenzen weiter nach rechts zu verschieben, wo eine für die Neue Rechte offenbar interessante Wählerklientel nur darauf wartet, mit derart kontaminierten Parolen gefüttert zu werden.
Das Wort „ Lügenpresse“, aus dem Fundus der Bismarck-Zeit neu entdeckt und von den Nazis wieder aufpoliert, gehört inzwischen zum alltäglichen Jargon. Es wurde zum Unwort des Jahres, ebenso wie Gutmensch, Döner-Mord und Volksverräter- es fragt sich, ob die Höckes, Gaulands und Petrys den moralisch abwertenden Gestus solcher Benennung überhaupt verstanden haben. Immerhin arbeiten sie mit Nachdruck daran, mit immer neuen Regelverletzungen die Öffentlichkeit zu beschäftigen, damit ihre völkischen Metaphern allmählich zum normalen Wortschatz gehören. Das nannte der, auch bei der deutschen Rechten verehrte Theoretiker Arturo Gramsci den Kampf um „ kulturelle Hegemonie“ als Voraussetzung, um die politische Macht im Lande zu erringen.
Alles wird tatsächlich anders- wie Joachim Gauck mit gelungener Wortschöpfung sagte, befinden wir uns längst in der „ republikanischen Verteidigungsgesellschaft“. Packen wir es also an und sagen, was ist.
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