Wer kennt es nicht – das Märchen vom verführerischen „süßen Brei“?
Die Dynamik dort ist eine überbordende – des Guten zu viel, nicht mehr zu stoppen, man erstickt in einer Entgrenzung ursprünglich nährender Güter.
So sehe ich die verheerende Eigendynamik des globalen Kapitalismus: ausufernd, es wird alles zu Waren und zu Geld gemacht, was technisch möglich ist, möglichst große Mengen, möglichst überall hin transportiert. Es ist uns Allen bekannt, aber: die Welt hängt offensichtlich fest in diesem fatalen Zwang. Die Poren der Wahrnehmung werden mit süßem Gift verstopft.
Und keiner soll je genug davon bekommen, die Nachfrage wird durch „Angebotsdrogen“ im weitesten Sinn ständig reproduziert, die cleveren Werbestrategen sorgen dafür, unendliche „Gebrauchswertversprechen“ für Leib und Seele, schon in der Siebzigern warnten kritische Stimmen vor Konsumterror. Wer wollte sowas hören?!
Die „Stückzahl“ ist das verheißungsvolle Stichwort der globalen Industrie, immer und überall, wo es um Absatz-Interessen geht!
ICH KAUFE, ALSO BIN ICH. Dass dafür Mutter Erde schamlos ausgebeutet wird, Rohstoffe per Krieg an Land gezogen werden, Menschen getötet, verwundet, traumatisiert, vertrieben werden, egal, es gibt keinerlei vernünftige Begrenzungen des Wachstums mehr, denn durch die irrsinnige globale Beschleunigung gerät auch eine persönliche Verantwortung sowohl der Mächtigen als auch der so genannten „Endverbraucher“ unter die rasanten Räder des Wachstumswahns.
Was bedeuten da noch Meldungen über die Klimakrise, die Globalisierung? Lauter Alarm, der ins Leere läuft, denn, wer soll denn das alles schuld sein? Verantworten – darin steckt das Antworten, aber wohin gibt man den persönlichen „Response“, um somit „responsibility“ zu tragen? „Die Normativität des Faktischen“ hat uns mit der totalen Beschleunigung alle eingeholt. Das Wahrnehmen von Chronologie und Zusammenhang einzelner Nachrichten fällt zunehmend schwerer. „Das hältste ja im Kopf nicht aus.“ Dass der Mensch an Leib und Seele nur begrenzt traktierbar ist, wissen wir doch, … im Grunde. Die ethischen Konturen verschwimmen, die seelische Überforderung durch einen quasi totalitären Tempowahn lässt die meisten von uns abstumpfen, die meisten ebenso geschäftstüchtigen Medien tun mit ihrem elend oberflächlichen und brutalen Programm ein Übriges, um kritischen Widerstand zu verhindern, die Einschaltquote diktiert die vermeintliche Qualität. Besonders jene abfällig so genannten „bildungsfernen Schichten“ geraten in gefährliche Gesundheitsrisiken durch billige, körperlich und seelisch bleiern und unbeweglich machende Konsumüberangebote, jede Menge junkfood und flatrate, gleichzeitig geraten die biegsamen Kunden auch mental durch Appelle an niederste Instinkte und andere massenwirksame Kalmierungs-Strategien zunehmend in die Gefahr, sich durch mechanische Feindbilder in blindwütigen Ressentiments per Tunnelblick einzurichten. Die rassistischen Ideologen und andere Scharfmacher haben leichtes Spiel. Der Alkohol, die Psychopharmaka, all das zuckrige Süßzeug, ein Riesenumsatz – Tag für Tag machen solche legalen Alltagsdrogen das wahre Spüren, das wache Denken auf die Dauer unmöglich. Stattdessen: Abrichtung, Zurichtung, brav angetrunkene, umgängliche adipöse Doof-Konsumierer, mit dem Image des permanenten Gutdraufseins, neuerdings aufgemischt durch laut grölende „Endverbraucher“ in Stammtisch-Manier, durchs Internet ekelhaft kollektiv befeuert. Von wegen – verantwortlich handeln, von wegen konstruktiv kritisch sich engagieren! Jede Menge krankmachende Betäubung, jede Menge kränkende Beschwichtigung, jedoch: kein Trost, nirgends.
Was tun, wenn Verantwortung in unserem ach so fortgeschrittenen Dasein dergestalt kaputt geht? Wie können wir solch eine schleichende eigendynamische Zerstörung von Leib, Geist und Seele aufhalten? Wer überhaupt ist daran wirk-lich interessiert?
Wie könnte wessen Aufklärung und eine wahrhaftige Läuterung die allzu willigen BürgerInnen zu einem vernünftigen Innehalten bewegen, wenn dermaßen machtvoll ihnen durch knallbunte scheinheilige Hochglanz-Botschaften der Verstand vernebelt wird? Etliche Leute sehen sich selbst nur noch als Opfer eines Mainstreams, aber: sie bedienen sich der marktschreierischen Bequemlichkeiten, fixiert auf die bloß eigenen Vorteile, ihre Selbst-Verantwortung jedoch scheint untergegangen in einer verheerend zunehmenden mentalen Gelähmtheit, in der so etwas wie „das eigene Gewissen“ als uncooler altmodischer Begriff nur noch kalt grinsend abgetan wird. Auf den Ebenen der Macht und auf den Ebenen der relativen Ohnmacht: Es verkommt, das menschliche Mitgefühl. Was also könnten wir tun, damit es uns besser ergeht, persönlich und gesellschaftlich? Eine sinnvolle Alternative zum weltweiten zerstörerischen Turbo-Kapitalismus kann keineswegs ein zentralistisch gelenkter Staatskommunismus sein, wie viele Leute sofort unterstellen, wenn von Kapitalismuskritik die Rede ist. NEIN, ganz im Gegenteil: es geht GLOBAL um eine neue Gestaltung von demokratischen Strukturen durch uns, die Basis, nämlich die Frauen und Männer einer jeweiligen Region, orientiert an den universellen Menschenrechten.
Wie wäre es mit diesem Motto als gemeinsamer Humanistischer Nenner:
DEMOKRATIE – die bunte Freiheit, mit gleichen, klar formulierten Spiel-Regeln für ALLE!
Der Beitrag ist ein abstract zu dem Essay von Marianne Bäumler :
„Wie schwindet das Verantwortlichsein im süßen Brei des elektronischen Fortschritts.“
in der WDR3-Sendung „Gedanken zur Zeit“, aus dem Sommer 1999!
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