Sollten wir in Zeiten wie diesen nicht noch enger zusammenrücken, uns als Gemeinschaft fühlen, die diese Demokratie verteidigt? Fragen, die von besorgten Bürgerinnen und Bürgern gestellt werden, die sich diesen Hass und diese Hetze, die sich in den asozialen Netzwerken breit machen, nicht erklären können. Wir brauchen mehr Respekt, mehr Achtung statt Verachtung, mehr Nächstenliebe statt Hass. Einander achten und aufeinander achten, diesen Satz pflegte der ehemalige Bundespräsident und langjährige Ministerpräsident von NRW, Johannes Rau, gelegentlich der deutschen Gesellschaft ans Herz zu legen. Versöhnen statt spalten, das war erklärtes Motto des SPD-Politikers Johannes Rau.
In Berlin werden bei einem Anschlag mindestens 12 Menschen getötet und mindestens genauso viele teils schwer verletzt. Eigentlich ein Grund, zu schweigen und zu trauern, der Opfer und der Hinterbliebenen zu gedenken. Eigentlich kein Anlass, irgendein parteipolitisches Süppchen zu kochen, weil wir ja im nächsten Jahr wichtige Wahlen haben. Dass eine Partei wie die AfD ein solches Attentat für sich auszuschlachten versucht, ist skandalös. Es ist widerlich, wenn die AfD-Vorsitzende Petry und ihr Lover Pretzell von den Toten von Frau Merkel sprechen. Als wäre die Kanzlerin dafür verantwortlich. Wer so denkt, stellt sich selbst an den Pranger und außerhalb des politischen Konsenses. Aber dass führende CSU-Politiker wie Horst Seehofer, immerhin der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident, in diesen Momenten kurz nach dem Schock des Anschlags Terrorismus und Flüchtlingspolitik miteinander verrühren, ist genauso beschämend. Oder wie es der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, Kurt Kister, genannt hat: „Es ist schäbig und seiner nicht würdig“, gemeint Seehofer.
Es sind Terroristen, die morden
Es kann sein, dass der Täter ein Flüchtling ist, aber es steht nicht fest. Und selbst wenn, hat es mit Flüchtlingen nichts zu tun. Die Berliner Amokfahrt entspringt den Hirnen von Terroristen, von Mördern, die mit Drohungen andere einschüchtern wollen. Die mit Gewalt jeder Art ihren Hass auf andere Menschen ausdrücken. Die andere umbringen, sie erschießen, sich selber in die Luft sprengen, weil ihnen ihr eigenes Leben nichts mehr wert ist. Und weil das so ist, nehmen sie bewusst in Kauf, ja sie wollen das sogar, dass möglichst viele andere Menschen, die gerade an diesem Ort sind, dabei umkommen.
Es ist wahr, dass Millionen Deutsche gerade im abgelaufenen Jahr anderen geholfen haben. Sie haben mitgewirkt, und das unentgeltlich, dass Flüchtlinge hier erste Hilfe bekamen, etwas zu essen, zu trinken, dass sie medizinisch versorgt wurden, sie haben geholfen, dass diese armen Menschen, die vor dem Terror in ihrer Heimat geflohen waren, ein Dach über dem Kopf bekamen, notfalls in einem Zelt. Diese Flüchtlinge haben mit Terrorismus nur insofern zu tun, weil er sie selber in ihrer Heimat bedroht hat. Deshalb sind sie zu uns gekommen. Die allermeisten jedenfalls. Dass sich darunter einzelne dunkle Gestalten bewegen, lässt sich nicht verhindern, wenn Millionen auf der Flucht sind.
Sie brauchen unseren Schutz
Die Flüchtlinge brauchen unsere Hilfe, unsere Hingabe, unseren Schutz vor Terroristen. Terrorismus hat nur das Ziel, die Gesellschaft zu spalten, er will nicht zusammenführen. Ein Flüchtlingsstrom wie vor Jahresfrist kommt ihm gelegen, weil damit Unsicherheiten geschürt, Ängste und Besorgnisse gegenüber Fremden bedient werden können. AfD-Vize Gauland hatte vor Monaten in einem Interview mit dem „Spiegel“ die Maske fallen lassen, in dem er sagte: „Natürlich verdanken wir unseren Wiederaufstieg in erster Linie der Flüchtlingskrise. Man kann diese Krise ein Geschenk für uns nennen. Sie war sehr hilfreich.“ Und sie steht im Zentrum der Politik oder besser der Parolen der AfD. Damit ist sie in die Landtage eingezogen, will sie in NRW und hier vor allem im Ruhrgebiet erfolgreich sein und später in den Bundestag gelangen.
Rechtsradikales Gedankengut macht sich breiter und breiter in unserem Land. Früher geschah das oft anonym, heute treten diese Typen offen auf, mit Namen und Adressen. Ist Rechtsradikalismus wieder salonfähig geworden bei uns? Ein Jahr von Rekorden an Anschlägen gegen Asylbewerberheime liegt hinter uns, Angriff auf Menschen, weil sie aus anderen Kulturen kommen, anders aussehen, weil sie Fremde sind, wird gegen sie polemisiert und kübelweise Hass ausgeschüttet und verrührt mit den angeblichen Sorgen, diese Flüchtlinge würden uns was wegnehmen, ja uns verdrängen. Wer Artikel 1 unseres Grundgesetzes zitiert: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, muss damit rechnen belächelt zu werden. Wer anderen hilft, ohne dafür etwas zu bekommen oder zu verlangen, steht schnell in der Ecke der Gutmenschen, fast wie ein Trottel wird er verspottet. Dagegen der Lärm der Rechtsradikalen, der Neonazis, die mit ihren Drohgebärden an längst vergangene Zeiten erinnern.
Merkels Handlung human und richtig
Angela Merkel hat damals Hunderttausenden von Flüchtlingen aus ihrer Not geholfen, indem sie Türen und Tore öffnen ließ, damit sie bei uns Unterschlupf fanden. Diese Handlung der Kanzlerin war zutiefst human und richtig. Dafür wurde Deutschland weltweit gelobt. Das menschliche Deutschland rückte in den Vordergrund. Ein schönes Bild, das einen freut, der die Geschichte dieses Landes kennt und der um die dunklen Seiten Deutschlands Bescheid weiß, der Auschwitz gesehen hat, diese Mordfabrik der Nazis, auf deren Konto die Ermordung von sechs Millionen Juden geht. Lange her, wird der eine oder andere sagen. Stimmt, aber Geschichte kann sich wiederholen- wenn man nicht aufpasst.
Dass man die Flüchtlingspolitik Merkels kritisiert, gehört zum politischen Streit in dieser Republik. Merkel selber hat doch längst eingeräumt, dass dies einmalig war, knapp eine Million Menschen ins Land zu lassen. Dass viele von ihnen, zu viele, anfänglich nicht registriert wurden, sie also unkontrolliert ins Land gelangten, war ein Fehler, der aber inzwischen behoben ist. Wie hätte man ihn am Anfang vermeiden sollen- bei offenen Grenzen? Mit Gewehren, Maschinenpistolen, Nato-Draht? Die Bilder und die Reaktionen hätte ich nicht erleben mögen. Aber Flüchtlinge und Terrorismus in einen Topf zu kippen, das gehört sich nicht. Terroristen sind Kriminelle, Verbrecher, Flüchtlingen Menschen in Not, die selber vor dem Terror in ihrer Heimat geflohen sind.
Demokratie muss verteidigt werden
Wir brauchen jetzt keine Debatte über Abschiebungen. Wir müssen zuerst erreichen, dass die jeweiligen Länder ihre Leute auch zurücknehmen. Darüber muss mit den Regierungen verhandelt werden. Aber bitte keine parteipolitische Debatte, um dem politischen Gegner eins auszuwischen. Der Feind steht woanders, nämlich rechts, ganz rechts. Auf den müssen wir achten, weil er eine andere Republik will, eine anti-demokratische. Die Stärke der deutschen Demokratie ist der Rechtsstaat, die Stärke des Rechtes, die jedem zusteht, und nicht das Recht des Stärkeren. Insofern brauchen wir einen starken Staat, der aber nicht selbstverständlich ist, sondern der verteidigt werden muss gegen seine Feinde.
„Der Hass der Täter wird uns nicht zu Hass verführen“, hat Bundespräsident Joachim Gauck nach dem schlimmen Anschlag von Berlin gesagt. Hass darf nicht unser Denken und Handeln bestimmen, Hass macht blind und ist gefährlich, lebensgefährlich. Die überwiegende Zahl der Deutschen hat Vertrauen in die wehrhafte Demokratie. In Berlin gingen dafür und gegen den Hass Demonstranten auf die Straße. An dieser Stelle haben wir schon mal für den Aufstand der Anständigen geworben. Es ist Zeit, dass daraus eine Bewegung wird.