Spätestens als vor 27 Jahren die Berliner Mauer fiel, war die sogenannte Nachkriegszeit zu Ende. Der Westen war übrig geblieben und einige seiner konservativen Akteure glaubten gar an das „Ende der Geschichte“ etwa in dem Sinne, dass die Welt nunmehr fertig geordnet sei. Natürlich geht die Menscheitsgeschichte erst mit den Menschen selbst zu Ende; aber auch die „Ordnung“ der Welt hat sich seit 1989 wieder erheblich verändert. Der Westen wird instabil.
Manche Entwicklung lässt befürchten, dass wir ein Vierteljahrhundert nach der Nachkriegszeit nun wieder in eine Vorkriegszeit eintreten. Das ist für den Moment wohl übertrieben – obwohl es nicht das erste Mal geschehen würde, dass ein Krieg losgetreten wird, weil man ihn mit den falschen Mitteln zu verhindern trachtete.
Rechtsradikale nicht verharmlosen!
Wir sollten und wollten aus der Geschichte lernen, andererseits ist bei historischen Analogien Vorsicht geboten: die Umstände von 2016/17 sind andere als 1913/14 oder 1933ff. Trotzdem: Da ist die Wiederkehr des Nationalismus; der Rückzug nach Innen, die Illusion, dort könne man ungestört verweilen und alles und jeden abwehren, der als störend empfunden wird;
Da ist die Wiederkehr des Rassismus, der Einteilung der Menschen in vor- und nachrangige Einzelne wie Gruppen nach ethnischen Kriterien. Wir hier und die anderen da – das Grundmuster ist insoweit dasselbe wie das des Nationalismus;
Da ist die Wiederkehr der „Systemkritik“ als fundamentale Ablehnung der Demokratie, bei der angeblich alles zu kompliziert sei, zu lange dauere, zu kompromisslerisch und lau entschieden werde, wo die Sicherheit auf der Strecke bleibe und so weiter und so fort;
Da ist die Wiederkehr des Sündenbockdenkens, das jemanden braucht, der für alles herhalten muss, was nicht sofort und nicht so leicht erklärt werden kann. Antisemitismus wird wieder lauter geäußert und die Furcht vor „dem Moslem“ ist ist schon fast mainstream. Nicht zu vergessen: auf einer anderen Ebene erfüllt die neuerlich wieder geschürte Russenangst eine ähnliche, eine Feindbildfunktion.
Schließlich gibt es wieder ein Gefühl größter sozialer und materieller Ungleichheit, ähnlich wie es unter dem Stichwort Massenabeitslosigkeit zur Erklärung der nationalsozialistischen Machtergreifung stets herangezogen wird.
Diese europäischen Krankheiten des 20. Jahrhunderts grassieren nun auch in den USA und machen den Umgang mit ihnen nicht gerade einfacher. Ein besonderes Kennzeichen des Umgangs mit dem sogenannten Rechtspopulismus ist dessen Verharmlosung. Sie erinnert an die Illusion der konservativen Ultras um von Papen 1933 in Berlin und ihren Glauben, Hitler irgendwie domptieren zu können. Die Verharmlosung beginnt heute schon mit dem Begriff Rechtspopulismus. Tatsächlich ist bei vielen, die in Europa darunter subsumiert werden, die Mischung aus Nationalismus, Rassismus mit diktatorischem Gehabe, pseudodemokratischen Legitimierungsversuchen und sozialen Verbrämungen dieselbe wie bei den deutschen Nationalsozialisten. Genauso wie jene verbeisst man sich förmlich in Feindbilder. Man darf geradezu dankbar für das zivilisatorische Merkmal sein, dass nicht – wie bei des NSDAP – zur Vernichtung ganzer Bevölkerungsgruppen und zur Unterdrückung ganzer Nachbarvölker aufgerufen wird. Dabei sind die modernen Rechtsradikalen dadurch – noch und vielleicht – bloß nicht so verbrecherisch wie die deutschen Nazis, gefährlich für Frieden und Freiheit sind sie aber in gleicher Weise. Die Beweislast für das Gegenteil liegt bei den Petrys, Wilders und Le Pens selbst. Als Demokraten überzeugen sie jedenfalls nicht.
Ein Stereotype der Verharmlosung der westlichen Rechtsdrift sind die arroganten Verweise auf angebliche Bildungslosigkeit, Proletentum, ja Dummheit der Rechten mitsamt ihrer Wählerinnen und Wähler. Übersehen wird dabei zuallererst die Machtversessenheit der Rechten und deren Vorstellung, die Macht zum „Aufräumen“ und zur eigenen Genugtuung einzusetzen und im Übrigen nie wieder aus der Hand zu geben. Womöglich gibt es nicht genug Aufklärung darüber, dass etwa die NSDAP nicht nur auf einer zeitgeistigen Welle an die Macht gekommen war und schon gar nicht wegen der Trefflichkeit ihrer Argumente, sondern zu einem erheblichen Teil durch die Anwendung von physischer Gewalt und Willkür. Es haben auch in Deutschland damals stets mehr Menschen die Nazis nicht gewählt. Das hat die NSDAP nicht daran gehindert, den Staat zu übernehmen und ihn zunächst vor allem zur Bekämpfung ihrer tatsächlichen und vermeintlichen Gegner einzusetzen. So hatten die einen sich hochintelligent der Instrumente der Macht und der Propaganda bedient, und ihre anderen Gefolgsleute hatten im Vorfeld schon die politischen Gegner verprügelt.
Dunkle Seite der Macht
Jüngste Äüßerungen des zukünftigen Chefberaters des US-Präsidenten über die „dunkle Seite der Macht“ sind wahnsinnig nahe an gewaltbereiten Machtphantasien seiner Anhänger dort und der Rechten, die sich hierzulande in den sogenannten sozialen Medien äußern. Die Androhung oder gar Anwendung von Gewalt kann sehr viel überzeugender wirken als jedes noch so intelligente Argument. . .
Schließlich, als man die Macht dazu hatte, schaltete man die Institutionen gleich. Mit anderen Worten, man entmachtete sie – wie Parlament und Medien – oder man ersetzte die zivilisatorisch geprägten Mitarbeiter durch eigene NS-Gefolgsleute und verwandelte so Polizei, Justiz und den sonstigen Regierungsapparat in willenlose Werkzeuge. Der Beamteneid auf die Verfassung wurde abgelöst durch den Eid auf Hitler.
In Deutschland hatte sich das Parlament durch die Hinnahme der Regierung mittels Notverordnungen schon vor Hindenburgs Ernennung Hitlers zum Reichskanzler mindestens teilweise selbst entmachtet. Nach der Ernennung wurden Abgeordnete sofort – bis hin zur Verfolgung und Verhaftung – massiv behindert. Beide Varianten sind heute durchaus zu beobachten.
Es gibt die Gleichschaltung und Selbstentmachtung von Parlamenten, weil deren – gewählte – Mehrheiten nicht an demokratischen Grundprinzipien orientiert sind, sondern allein an der Machtbesessenheit ihrer fundamentalistischen politischen Führer. Zugleich werden die Medien und Journalisten behindert, eingeschüchtert und sogar verfolgt, die an demokratischen Grundprinzipien wie beispielsweise dem Schutz von Minderheiten festhalten. Dieses Szenario wird besonders augenfällig in einigen Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes und in der Türkei. In Frankreich, einem europäischen Mutterland der Demokratie, steht die Rechte bereits vor den Türen der Macht. Dass es für die Versuchung zur Gleichschaltung für die USA ausgeschlossen werden kann, ist momentan noch recht unsicher.
Von der Nachkriegs- zur Vorkriegszeit?
Dieselben Vorgänge, die eine Art von innerer Selbstauflösung, ein drohendes massenweises Unverständnis des bisherigen demokratischen Selbstverständnisses bewirken, gefährden auch die äußere Sicherheit. Weil die Trump-USA den NATO-Mechanismus in Zweifel gezogen hat, verlangen einige Europäer steigende Militärausgaben und die Umsetzung vorhandener Vorstellungen von gemeinsamer, EU-weiter Sicherheit. Demnach müsste es eine massive eigene Aufrüstung geben, die EU-Mitgliedstaaten würden ihre aus der NATO bekannten gegenseitigen militärischen Beistandsversprechen bekräftigen und erneuern. Aber die politischen Pläne, die Armeen und die Armeeführung zu europäisieren und zu vereinheitlichen, halten möglicherweise weder mit der technischen Aufrüstung Schritt noch werden sie schlussendlich durchgesetzt. Sie scheitern entweder, weil es an der Bereitschaft zum nationalen Souveränitätsverzicht mangelt oder sie scheitern an der Uneinigkeit über die strategische Ausrichtung der vielen neuen Waffen.
Die Ziele einer allgemeinen Abschreckungswirkung und der Wahrnehmung sogenannter globaler Verantwortung würden unversöhnlich einer klar antirussischen Militärstrategie entgegen stehen und man würde kaum zu einer hinreichend eindeutigen Klärung kommen. Das Ergebnis wären außenpolitische Instabilitäten bis hin zu Gewaltandrohungen untereinander und derartige Missverständnisse mit Russland, dass eine begonnene Konflikteskalation, wie wir sie schon jetzt erleben, nicht mehr eingedämmt werden könnte. Ein pessimistisches Szenario, gewiss. Bedacht werden muss es aber, ehe man gemeinsames EU-Militär und erhöhte Militäraufwendungen propagiert!
Kontrolle der Konflikte erschwert
Das Scheitern würde wahrscheinlicher, wenn Frankreich unter einer rechtsradikalen Regierung die Zusammenarbeit in der EU torpedierte und ohnenhin seine Atomwaffen nicht unter europäisches Kommando geben würde. Großbritannien – oder je nachdem: England – träumt von erneuerter Sonderbeziehung mit Nordamerika und lässt sich außerdem hinsichtlich seiner Loaylität gegenüber Polen und dem Baltikum von niemandem überbieten. Die Kontrolle der Konflikte wird offensichtlich also eher erschwert als erleichtert.
Es ist ohnehin schwer vorstellbar, wie eine durch schwindendes Vertrauen der Bevölkerung geschwächte EU ausgerechnet durch erhöhte Militäraufwendungen neuen Schwung und Zusammenhalt gewinnen könnte, erst recht nicht, wenn diese „europäische Sicherheit“ statt aus Überzeugung aus lauter Panik wegen des Wegfalls des US-amerikanischen „Schutzschildes“ eingeleitet würde.
Das muss natürlich alles nicht so kommen. Den – leider nachweislich oft unzutreffenden – rheinischen Optimismus, das es schon immer „joot jejange hätt“, sollte bewahrt werden. Gut gehen wird es allerdings nicht von alleine. Dafür muss gestritten und gekämpft werden. Der Kampf könnte Erfolgsaussichten bekommen, wenn die Politik der europäischen Rechtsradikalen nicht länger abgetan, sondern zunächst einmal argumentativ widerlegt werden würde. Die Aussicht würde besser, wenn sich Demokraten nicht in großkoalitionären Wagenburgen einmauern, sondern ins Offene treten würden, um wieder darüber zu berichten, warum sie Demokraten sind, und welche Vorteile jedes Individuum dadurch hat. Überzeugungsarbeit ist zu leisten dafür, dass Kompromisse keine faulen sind, sondern der Kitt, ohne den eine offene Gesellschaft auseinander bricht.
Genauso wichtig ist, die soziale und materielle Ungleichheit als Problem anzuerkennen und über dessen Lösungen zu streiten. Inklusion ist keine milde aber anstrengende Gabe für körperlich oder geistig gehandicapte Mitmenschen, Inklusion ist die Aufgabe, die Gesellschaft zusammen zu halten, die unbestreitbare Kluft zu schließen zwischen Eliten und der Bevölkerung, die sich nicht dazu zählt. Die modische „Kultur der Achtsamkeit“ ist schön und gut, sie kann aber kein moralischer Imperativ für Menschen sein, die noch andere Sorgen und Nöte haben als saturierte Mittelständler.
Demokratische Parteien müssen eine Alternative für den Umgang mit den sozialen Globalisierungsfolgen anbieten, bei der die Würde der Menschen und die Demokratie selbst weiter unangetastet bleiben. Eine Herausforderung in Deutschland vor allem für die SPD.
Russland und Türkei bleiben unsere Nachbarn
Außen- und sicherheitspolitisch wäre die Einsicht, dass – wie derzeit – noch so berechtigte Empörung über beispielsweise russische oder türkische Innenpolitik selbst noch keine ergebnisorientierte Politik ist. An deren Anfang muss die Erkenntnis stehen, dass Russland und die Türkei unsere unmittelbaren europäischen Nachbarn bleiben werden. Niemand kann woanders hin umziehen, man muss miteinander auskommen. Der Anspruch, gegebenenfalls überall auf der Welt für die Ablösung missliebiger Regime sorgen zu wollen, dürfte sich nach Irakkrieg, Lybienbombardierung und aktueller Syrien“politik“ erledigt haben. Die Misserfolge und die damit erst geschaffenen Probleme sprechen eine eigene Sprache.
Wahrscheinlich reichen diese dürren Vorschläge noch lange nicht für eine Strategie zur Wiedergewinnung oder Stärkung demokratischer, friedlicher und europäischer Gesinnungen, aber vielleicht sind es geeignete Anfänge dazu.
PS: Aus der Geschichte lernen kann man unter anderem auch: Russland hat sich im Laufe seiner Geschichte territorial stets nach Osten orientiert. Die einzige Westausdehnung erfolgte nach dem 2. Weltkrieg, als die Westmächte Stalin seinen Anteil an der Aufteilung Europas aus dem Hitler-Stalin-Pakt gewähren mussten. (Ich lerne: Statt Angst vor Russland sind friedliche Koexistenz und Zusammenarbeit mit Russland zu beiderseitigem Nutzen auch heute noch möglich.)
PPS: Das Erstaunliche am antiken Reich der Römer ist ja viel weniger sein Untergang als die Tatsache seiner unglaublich langen Dauer. Trotzdem erscheint natürlich das Drama des Untergangs interessanter. Längst gilt aber die Schulweisheit als widerlegt, dass die Einfälle und Überfälle völkerwandernder Barbaren das Römereich allein zermürbt hätten. Diese Barbaren wären einem intakten Römerreich stets in jeder Hinsicht unterlegen gewesen. Es war aber nicht mehr intakt, viele Elemente des Zusammenhalts funktionierten nicht mehr, das Selbstverständnis hatte gelitten, Prinzipien wurden nicht mehr ernst genommen. Erst diese innere Schwäche ermöglichte die Stärke der äußeren Gegner. (Ich lerne: Erst wenn die Demokraten sich nicht mehr selbst behaupten sondern nur noch ihre Rituale ausüben, entsteht erst das Machtvakuum, in das rechte Autokraten – oder auch andere Staaten – eindringen können).
Bildquelle: Wikipedia, Migra, CC BY-SA 3.0