In Berlin steigt die Spannung, nicht nur in CDU- und CSU-Kreisen. Am Sonntag werde sich Angela Merkel(62) bei der Klausurtagung der Union über ihre weitere politische Zukunft erklären, heißt es in der Hauptstadt, werde sie endlich sagen, ob sie erneut kandidiert. Natürlich rechnen alle damit, dass die Kanzlerin Ja sagt, aber keiner weiß es genau. Und Merkel lässt sich nichts anmerken.
Dass ausgerechnet Norbert Röttgen in einem Interview mit einem US-Sender vorpreschte mit der Aussage, Merkel werde erneut für den Bundestag kandidieren, hat dem CDU-Abgeordneten nicht den Beifall der Oberen seiner Partei gebracht. Regierungssprecher Steffen Seibert ging sofort dazwischen und stellte klar, es gebe nichts Neues in der Causa Kandidatur seiner Chefin, heißt auch: Röttgen wisse nichts, gar nichts, besser, er hätte geschwiegen. Der Mann gehört schon länger nicht mehr zum Kreis der Vertrauten der CDU-Vorsitzenden. Es ist nicht vergessen, wie Merkel den rheinischen Unions-Politiker nach dessen unglücklichem Wahlkampf gegen NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft(SPD) aus dem Kabinett warf. Bis dahin galt Röttgen als Mann der CDU für höhere Aufgaben in der Zukunft, das ist fürs Erste vorbei. Er sollte aufpassen, dass er nicht den Vorsitz im Auswärtigen Ausschuss verliert.
Murren in der Union über die Flüchtlingspolitik
Natürlich und eigentlich, so beginnen oft Sätze zum Thema Angela Merkel und die Frage nach der 4.Kandidatur, was aber auch heißt, keiner weiß es wirklich. Und dass es überhaupt Unklarheit gibt, ob sie antritt, ist schon eine Überraschung. Doch der Wind hat sich gedreht, Merkel hat zwar in den eigenen Reihen keinen Widersacher, der ihr gefährlich werden könnte. Aber das Murren in der Union über ihre Flüchtlingspolitik ist schon seit längerem nicht mehr zu überhören und das gilt nicht nur für Seehofers CSU.
Der Hintergrund für Merkels Zögern könnte in der Geschichte der Bundesrepublik zu finden sein. Es gab in all den Jahren von 1949 bis heute nur zwei Bundeskanzler, die es überhaupt in die vierte Legislatur geschafft haben: Der erste Regierungschef Konrad Adenauer und Helmut Kohl, beide CDU-Politiker. Aber für beide war das Ende nicht glücklich.
Adenauer dankte mitten in der 4. Legislatur ab
Adenauer konnte nur weiterregieren, weil er 1961 im Koalitionsvertrag den Fraktionschefs Heinrich Krone(CDU) und Erich Mende(FDP) zusagte, er werde vorzeitig zurücktreten. Im Oktober 1963 löste ihn Ludwig Erhard ab, den Adenauer nicht verhindern konnte. Der viel gerühmte Wirtschaftsminister hatte aber wenig Fortune als Kanzler. 1966 war es vorbei, Kurt-Georg Kiesinger, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, bildete als Kanzler zusammen mit der SPD die erste Große Koalition in Bonn. Es war die Zeit, da die Union regierungsmüde geworden war und die SPD nach vorn drängte mit Politikern wie Willy Brandt, Helmut Schmidt, Herbert Wehner, Karl Schiller, Fritz Erler, Alex Möller. 1969 musste die CDU- ungewohnt für sie- auf die harten Oppositionsbänke, die SPD regierte mit der FDP.
Kohl verlor am Ende der 4. Amtszeit gegen Schröder
Helmut Kohl gelangte am 1. Oktober 1982 mit Hilfe eines konstruktiven Misstrauensvotums an die Macht und verdrängte Helmut Schmidt aus dem Kanzleramt. Kohl wurde zu einer Art Dauerkanzler, er gewann gegen die SPD-Politiker Hans-Jochen Vogel, Johannes Rau, Oskar Lafontaine, Rudolf Scharping(Björn Engholm schaffte es gar nicht bis zu einer Wahl, er stolperte über eine Affäre, die ihn zunächst selber ins Amt des Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein gebracht hatte). Aber 1998 erlitt die konservativ-liberale Regierung Kohl eine schwere Niederlage. Es war Kohls vierte Legislaturperiode und letzte. Sein Nachfolger: Der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder(SPD), der mit den Grünen eine Koalition bildet. Kohl hatte im Verlauf der vierten Amtszeit mal überlegt, Wolfgang Schäuble als seinen Nachfolger auszurufen oder aufzubauen, wie immer man das nennen will. Der in einem Fernseh-Interview von Kohl geäußerte Vorschlag wurde von ihm selbst aber kurz danach wieder verworfen. Am Ende hatte der mit 16 Dienstjahren älteste Kanzler den Zeitpunkt eines Abgangs, den er selber bestimmt hätte, verpasst. Der damals mit 54 Jahren junge Schröder drängte nach vorn, gemessen am SPD-Politiker war Kohl mit 68 Jahren ein älterer Herr. Wer den Wahlkampf 1998 erlebt hat, konnte das bei den Auftritten des Kanzlers der Einheit beobachten. Viele Leute kamen zu den Wahlveranstaltungen mit Kohl, um den „Alten“ noch einmal zu sehen und um Abschied zu nehmen.
Die politische Lage ist mit der von 1998 nicht zu vergleichen. Sigmar Gabriels SPD liegt in Umfragen konstant bei 22 Prozent, während Merkels Union Werte um die 33/34 Prozent erreicht. Der Vorsprung ist durchaus komfortabel. Aber anders als damals gibt es Unsicherheiten, Mehrheiten für Zweier-Koalitionen mit der Ausnahme von Großen Koalitionen sind nicht in Sicht. Und vor allem das Auftreten der rechtspopulistischen AfD setzt beiden Volksparteien zu, der Union wohl noch mehr als der SPD. Dazu kommt, dass die viel kritisierte Flüchtlingspolitik nun einmal mit der Person der Kanzlerin verbunden ist. Und der überraschende Ausgang der US-Wahl mit dem Sieg von Donald Trump und der Niederlage für Hillary Clinton sorgt auch hierzulande für manche Diskussion über die Zukunft dieser Republik.
Für Merkel wäre es die 4. Legislaturperiode
Dass Angela Merkel jetzt, nach längerem Zögern und Widerstand, den Außenminister und SPD-Politiker Frank-Walter Steinmeier als gemeinsamen Kandidaten der Großen Koalition für das Amt des Bundespräsidenten ausgerufen hat, der im Februar Joachim Gauck ablösen soll im Schloss Bellevue, war eine faustdicke Überraschung. Schließlich hatten Merkel, CSU-Chef, Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, und SPD-Chef Sigmar Gabriel zunächst einen Kandidaten außerhalb des Parteienspektrums finden wollen, waren aber dabei gescheitert. Und dann gelang es den Unions-Granden auch nicht, dem von Gabriel vorgeschlagenen Frank-Walter Steinmeier einen ebenbürtigen Bewerber aus den CDU-Reihen entgegenzusetzen, was Teile der Union nicht gerade mit Beifall quittierten. Einer, der selber im Gespräch für das Präsidentenamt war, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, sprach gar von einer „Niederlage“ der Union.
Das Murren ist noch nicht beendet. Es gibt also Erklärungsbedarf seitens der Kanzlerin, die ja ihrer Partei in der Vergangenheit schon einiges an inhaltlichen Veränderungen zugemutet hatte, man denke an den Ausstieg aus der Atomkraft, die Aussetzung der Wehrpflicht, an die Kursänderung in der Schulpolitik oder den Mindestlohn. Und meistens begründete die CDU-Vorsitzende-seit April 2000 ist sie im Amt- ihre Politik mit dem Zusatz, es gebe dazu keine Alternative. Der letzte oder besser jüngste Streit geht um die Flüchtlingspolitik, wo die CSU auf einer Obergrenze von 200000 beharrt.
Ende offen.
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