Es ist die Journaille, die sich immer wieder das Maul darüber zerreißt, wie schlimm unsere Politiker die Parteien- und Politikverdrossenheit anheizen, welch großen Beitrag sie dazu leisten, dass ein angewidertes Volk sich den Populisten vom Schlag der AfD zuwendet. Und jetzt sind es Journalisten selbst, die von den alten Ritualen nicht lassen können, jenen Ritualen, die die Glaubwürdigkeit von Politik und Medien in weiten Teilen der Gesellschaft schon beschädigt oder gar zerstört haben.
Dass Angela Merkel und Horst Seehofer am Ende nachgegeben haben und einem Staatsoberhaupt Steinmeier ihren Segen geben wollen, ist ein grandioses Ergebnis. Kann man das nicht einfach mal positiv nehmen, kann man sich nicht einfach für unsere krisenbelastetes System freuen, dass endlich mal der denkbar Beste gleich im ersten Wahlgang der nächste Bundespräsident wird ? Kann man nicht mal dankbar zur Kenntnis nehmen, dass von den Konservativen die Parteiegoismen – aus welcher Motivation auch immer – aufgegeben wurden und uns allen drittbeste oder gar schlechteste Kandidaten erspart bleiben?
Die ganz Alten werden sich noch erinnern: Die Bundesrepublik hätte einen großartigen, höchst respektablen Sozialdemokraten namens Carlo Schmid als Präsidenten haben können und bekam stattdessen einen leicht vertrottelten Heinrich Lübke von der CDU, weil der Christdemokrat Adenauer es so wollte. Jahrzehnte später verbaute Angela Merkel ausgewiesenen und international geachteten Persönlichkeiten den Weg ins Schloss Bellevue – aus sturer Parteiräson – und mutete uns zwei denkbar ungeeignete Staatsoberhäupter zu: Erst Horst Köhler, der irgendwann keine Lust mehr hatte und hinschmiss, und dann Christian Wulff, dem fast alles für das höchste Staatsamt fehlte. Dessen Abgang ist noch in allgemeiner Erinnerung.
Diesmal haben Angela Merkel und Horst Seehofer es nicht auf die Spitze getrieben, haben ihre Suche nach einem parteipolitisch passenden Verlegenheitskandidaten relativ schnell abgebrochen, haben damit unserer Demokratie freiwillig oder unfreiwillig einen großen Dienst erwiesen; und jetzt wird von vielen Journalisten mit der denkbar kleinsten Elle gemessen und der denkbar kleinsten Unze gewogen: Schwere Niederlage für Angela Merkel, schlimme Blamage, Debakel, Desaster und was es sonst noch an Bewertungs-Chiffren gibt. Der Umkehrschluss wäre dann doch: Um sich diese Niederlage, die Blamage, das Debakel und Desaster zu ersparen hätte Angela Merkel stur bleiben und zum dritten mal nach einer oder einem ungeeigneten Kandidaten suchen sollen. Und dann hätte man trefflich schreiben können, dass mit solchem parteipolitischen Egoismus die Politikverdruss weiter angeheizt und die Populisten bestens bedient werden.