Angela Merkel, heißt es, wolle unbedingt einen Konsens-Kandidaten, um eine Kampf-Abstimmung um das höchste Amt im Staate zu verhindern. Warum eigentlich? Es geht um eine Wahl, dazu sollten normalerweise mindestens zwei Kandidatinnen oder Kandidaten gehören. Und was heißt schon Kampf-Abstimmung? Es wird abgestimmt, wer Bundespräsident werden soll. Nicht mehr und nicht weniger. Der Gewählte ist der Bundespräsident aller Deutschen. Allerdings hatten die Wahlen zum Staatsoberhaupt, das politisch wenig zu sagen hat, sondern nur durch die Kraft der Rede wirkt, fast immer politische Auswirkungen.
Heuss gegen Schumacher
1949 gewann der Liberale Prof. Theodor Heuss gegen den SPD-Kandidaten Kurt Schumacher. Der Mann aus dem Südwesten wurde Bundespräsident, auch weil Konrad Adenauer eine Regierungskoalition aus CDU-CSU und der FDP im Auge hatte, was auch so kam. Schumacher, körperlich gezeichnet durch Folter der Nazis im KZ, hatte keine Chance.
1959 trat für das konservativ-liberale Lager Heinrich Lübke an, ein biederer Mann aus dem Sauerland. Sein Gegenkandidat der frankophile Intellektuelle SPD-Professor Carlo Schmid. Lübke wurde Bundespräsident. Bei der zweiten Amtszeit verzichtete dann die SPD auf einen Gegenkandidaten, weil es Herbert Wehner, der Fuchs der SPD, es so wollte. Wehner, der mit dem Godesberger Programm die SPD zuvor auf den Kurs einer Volkspartei gebracht hatte, die die West-Bindung der Bundesrepublik akzeptierte, machte die alte Kampfpartei SPD gesellschaftsfähig. Und 1966 kam es- auch dank Wehner- zur ersten Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD.
Heinemann gegen Schröder(CDU)
Als 1969 mit Gustav Heinemann erstmals nach dem Krieg ein SPD-Politiker zum Bundespräsidenten gewählt worden war, bezeichnete der Gewählte den Vorgang als einen Stück Machtwechsel. Mit nur sechs Stimmen Vorsprung wurde der Essener Politiker deutsches Staatsoberhaupt. Heinemann war zunächst Mitglied der CDU, verließ dann aus Anlass der Wiederbewaffnung der Republik durch Konrad Adenauer die Partei, gründete die Gesamtdeutsche Volkpartei-mit dabei die späteren SPD-Politiker Diether Posser und Johannes Rau- und wechselte schließlich zur SPD. Heinemanns Gegenkandidat war der CDU-Politiker Gerhard Schröder, Innen-, Außen- und Verteidigungsminister . Als sich für Schröder keine Mehrheit abzeichnete, versuchte der junge CDU-Politiker Helmut Kohl die Niederlage der Union dadurch abzuwenden, dass er den Kandidaten Richard von Weizsäcker vorschlug- vergeblich. Die Abstimmung war spannend, weil die NPD einige Stimmen in der Bundesversammlung hatte und weil die Sowjets gegen die Veranstaltung in der geteilten Stadt- Stichwort Vier-Mächte-Status- protestierten, indem sie ihre Flugzeuge über den Veranstaltungsort donnern ließen.
Heinemanns Wahl gelang mit den Stimmen der FDP, die wiederum Willy Brandt wenig später zur Kanzlerschaft verhalf. Was zunächst nicht ganz im Sinne von Herbert Wehner war, der eigentlich die Große Koalition fortsetzen wollte.
Karl Carstens gegen Annemarie Renger
1974 trat Walter Scheel(FDP) als Kandidat für das höchste Amt an. Sein Gegenkandidat: Richard von Weizsäcker, der aber noch zehn Jahre warten musste, ehe er in die Villa Hammerschmidt einzog. Scheel kandidierte 1979 nicht mehr, er hätte auch keine Mehrheit bekommen. Für die Union ging Fraktionschef Karl Carstens ins Rennen, ein Signal, das einen späteren Machtwechsel im Kanzleramt andeutete. Erstmals kandidierte mit der SPD-Politikerin Annemarie Renger eine Frau für das höchste Amt. Gegen Carstens erhoben vor allem SPD-Politiker Einwände, darunter auch Bundeskanzler Helmut Schmidt. Begründung: Carstens war NSDAP-Mitglied gewesen.
Richard von Weizsäckers Wahl 1984 wurde unterstützt von der Union wie der SPD. Die Grünen schickten die Schriftstellerin Luise Rinser ins Rennen, eine reine Zählkandidatin. Weizsäckers Wiederwahl geschah fast einhellig. Herausragend und bis heute im Gedächtnis geblieben: Weizsäckers Rede am 8. Mai 1985, 40 Jahre nach Kriegsende. Die Kapitulation 1945, so Weizsäcker, sei eine Befreiung Deutschlands gewesen durch die Alliierten, eine Befreiung vom Joch der NS-Diktatur. Der Präsident klagte zudem einen Teil seiner Mitbürger an, während der braunen Herrschaft weggeschaut zu haben, wenn Juden und Gegner der Nazis abgeholt und in die KZ verschleppt worden waren.
Roman Herzog statt Heitmann gegen Rau
Spannend verlief die Kandidatur zur Bundespräsidentenwahl 1994. Helmut Kohl versuchte zunächst den sächsischen Justizminister Heitmann für eine Kandidatur durchzusetzen, scheiterte aber am Widerstand der Landesgruppen der CDU und der CSU in Bonn. Kohl gelang dann der Überraschungs-Coup mit Roman Herzog. Und so konnte er- das war sein Ziel- die Wahl von Johannes Rau verhindern. Als weitere Kandidatin war die FDP-Politikerin Hildegard Hamm-Brücher nominiert. Herzog wurde Präsident, betonte aber sehr bald nach der Wahl, dass er nur für eine Amtszeit zur Verfügung stehe.
So konnte der Verlierer der Wahl von 1994, fünf Jahre später, ins Schloss Bellevue einziehen: Johannes Rau. Gegen Ende seiner Amtszeit war klar, dass es keine Mehrheit für eine Wiederwahl in der Bundesversammlung gab. Dass aber dann ein Kandidat namens Horst Köhler, den nur Insider und Finanz-Experten kannten- die Bildzeitung fragte: Horst Wer?- Bundespräsident wurde, war schon eine ziemliche Überraschung. Im Gespräch war damals auch eine Kandidatur von Wolfgang Schäuble. Ob Angela Mehrheit dies verhindert hat, weil die FDP signalisierte, Schäuble nicht mit zu wählen?
Wulff im dritten Wahlgang gegen Gauck
Köhler wurde nach fünf Jahren wieder gewählt, warf aber danach die Brocken hin, weil er sich offensichtlich über die zu geringe Unterstützung durch die Kanzlerin in bestimmten Fragen geärgert hatte. Sein Nachfolger: Christian Wulff, der aber erst im dritten Wahlgang mit der einfachen Mehrheit gewählt wurde. Sein Gegenkandidat: Joachim Gauck, zuvor parteilos, von der SPD wie den Grünen unterstützt.
Und nun passierte es wie im Fall Köhler, nur schon in der ersten Amtszeit: Wulff trat vorzeitig vom Amt des Präsidenten zurück. Und nun musste der Verlierer der letzten Wahl ran: Joachim Gauck, der aber zunächst nur die Sympathien von der SPD und den Grünen hatte. Kanzlerin Angela Merkel zögerte lang und sprang dann gerade noch rechtzeitig auf den Zug und machte Gauck auch zum Kandidaten der Union.
Was im Februar 2017 passiert- dann steht die nächste Wahl des Präsidenten an- ist offen. Merkel, Seehofer und Gabriel hatten zunächst verabredet, einen so genannten Konsens-Kandidaten zu finden, der die Stimmen beider Volksparteien auf sich vereinen könnte. Aber der Präsident des Verfassungsgerichts, Andreas Vosskuhle zum Beispiel, signalisierte, dass er dafür nicht zur Verfügung stehe. Ähnlich äußerte sich die evangelische Theologin Margot Käßmann. Dann schlug der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel seinen Parteifreund Frank-Walter Steinmeier, den Außenminister, vor. Weil er ihn für einen herausragenden Kandidaten für das Schloß Bellevue hält, anerkannt auch über die Parteigrenzen hinweg. Merkel und Seehofer sollen allerdings Gabriel bedeutet haben, dass die Union Steinmeier nicht mitwählen werde. Da spielen sicher zwei Faktoren die entscheidende Rolle: Im Mai finden die wichtigen Landtagswahlen in NRW und im September die Bundestagwahl statt. Ein Votum der Union für einen SPD-Politiker könnte als Signal für große Koalitionen in Düsseldorf und in Berlin ausgelegt werden, was beide, die SPD und die CDU/CSU nicht wollen.