Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel ist ins Reich der Mitte aufgebrochen. Viele deutsche Unternehmer begleiten ihn, weil alle längst begriffen haben, welche wirtschaftliche Bedeutung der Volksrepublik China mit ihren rund 1,4 Milliarden Menschen zukommt. Das riesige Land, das noch bis vor Kurzem als ein Staat der Dritten Welt galt, ist inzwischen zur Spitzengruppe der globalen Ökonomie vorgestoßen. Auch weltpolitisch spielt China eine immer größere Rolle; nicht zuletzt deshalb orientieren sich die USA immer stärker nach Asien und damit auf die transpazifischen Beziehungen. Die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini drängt ebenfalls auf eine kohärente EU-China-Politik, denn bislang gibt es vor allem nur mehr oder weniger starke bilaterale politische und wirtschaftliche Beziehungen zwischen Mitgliedsstaaten der EU und Peking.
Chinas Investoren auf dem Vormarsch
Deutschland hat diese Beziehungen seit langem kräftig ausgebaut: Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Gerhard Schröder und nun auch Angela Merkel haben die Chancen einer engen Kooperation mit der chinesischen Führung erkannt und sie intensiv gepflegt. Das soll auch in Zukunft so bleiben, auch wenn nun der Bundeswirtschaftsminister Hürden gegen die Expansionswünsche chinesischer Firmen aufbauen möchte. Gewiss gab es immer wieder Klagen aus der deutschen Wirtschaft darüber, dass chinesische Unternehmen Stahl oder Solarzellen zu Dumpingpreisen hierzulande auf die Märkte brachten und damit den fairen Wettbewerb verzerrten. Aktuell geht es indessen um mehr: Nach dem Einstieg der chinesischen Firma Midea bei dem deutschen Roboterhersteller Kuka in Augsburg, nach anderen getätigten und beabsichtigten Direktinvestitionen aus China schrillen gar die Alarmglocken in Gabriels Ministerium. Chinesische Konzerne signalisieren nun Interesse an deutschen Firmen wie Aixtron und Osram sowie anderen hightech-Betrieben. Sigmar Gabriel will mit Hinweis auf sicherheitsrelevante Interessen etwa die Übernahme von Aixtron verhindern – wohl vor allem auch auf Druck der amerikanischen Regierung; sie hat darauf hingewiesen, dass Produkte des Chip-Herstellers Aixtron im Nuklearprogramm Chinas eingesetzt werden könnten. Die Intervention der USA ist allerdings ein nicht kleiner Störfall in den chinesisch-deutschen Beziehungen. Jedenfalls sind die in Deutschland bereits aktiven chinesischen Unternehmen sehr besorgt, dass die Regierungsbehörden in Berlin politisch Einfluss gegenüber Investoren aus China ausüben.
Vom quantitativen zum qualitativen Wachstum
Immerhin haben chinesische Firmen allein im 1. Halbjahr 2016 rund 30 deutsche Unternehmen für etwa 8 Mrd. Euro gekauft; in den Jahren zuvor lagen die chinesischen Direktinvestitionen in Deutschland insgesamt bei 2,6 Mrd. € – für Meerwind, EEW Energy from Waste, Kion, KraussMaffei, Putzmeister usw. Das Interesse der Investoren aus China richtet sich insbesondere auf den Technologie- und Softwarebereich sowie auf den Energiesektor. Das alles ist ein deutliches Signal für den Strukturwandel, den die politische Führung in Peking mit großem Engagement betreibt: Die chinesische Wirtschaft soll umgesteuert werden – vom quantitativen zum qualitativen Wachstum. Denn die Ressourcenverschwendung und die Umweltbelastung, die in einigen Städten und Regionen fast unerträglich ist, sollen massiv reduziert werden. Zudem ist China längst kein Billiglohnland mehr, das lediglich als verlängerte Werkbank für ausländische Firmen arbeiten könnte.
Mutiger Strukturwandel unter Xi Jinping
Der chinesische Parteichef Xi Jinping treibt den Strukturwandel energisch und erfolgreich voran. Was hierzulande als Industrie 4.0 verfolgt wird, das wird dort als „Made in China 2025“ praktiziert. Intelligente Produkte und Fertigungsverfahren, hightech-Erzeugnisse, modernes Internet, Digitalisierung, ökologisches Produzieren, Urbanisierung – das alles hat die höchste Priorität. Ein Beispiel dafür: China will ab Anfang des nächsten Jahrzehnts autonom fahrende Autos auf seine Straßen bringen; zwischen 2021 und 2025 soll dort eine vernetzte Autotechnologie realisiert werden. Schon jetzt ist China beim Ausbau der erneuerbaren Energien ganz vorn: Rund 40 % Anteil am künftigen Wachstum dieser Energieträger wird das Land global haben.
Xi Jinping reiht sich mit seiner Politik in die Phalanx der großen Vorgänger wie Mao und Deng Xiaoping ein. Seine mutige Antikorruptionskampagne findet in der Bevölkerung ein positives Echo: Es gibt 340.000 Verhaftungen, davon sind 150.000 Beamte. Dass das Tempo des Wachstums des chinesischen Bruttoinlandsproduktes inzwischen auf unter 7 % pro Jahr gefallen ist, wird in Europa und in den USA mit größerer Aufregung registriert als in China selbst. Dabei sollte eigentlich klar sein, dass sich der Wechsel vom quantitativen hin zum qualitativen Wachstum über den Abbau von Überkapazitäten in der Industrie vollzieht und dass Chinas Wirtschaftsleistung inzwischen eine -im Vergleich zu früheren Zeiten- Höhe erreicht hat, die prozentual nicht mehr so stark steigt, in absoluten Werten jedoch immer noch kräftig zulegt.
Das Tempo des Wandels ist wahrlich atemberaubend. Gerade wurde in Foshan in der südöstlichen Provinz Guangdong eine neue Messe mit 5 neuen Hallen eröffnet; in Kooperation mit Experten der Hannover-Messe brauchte es nicht einmal 10 Monate bis zur Fertigstellung der 5 Hallen, in denen Mitte Oktober eine eindrucksvolle Präsentation chinesischer Technologie stattfand. Zur gleichen Zeit gab es dort eine Konferenz „Made in China 2025 meets deutsche Industrie 4.0“ mit Unternehmern, Forschern und Entwicklern aus beiden Ländern.
Neue Dynamik mit chinesisch-deutscher Industriestädte-Allianz
Auch die zu Beginn dieses Jahres begründete deutsch-chinesische Industriestädte-Allianz (ISA) hat bereits Tempo aufgenommen und entwickelt sich dynamisch. Das Interesse daran ist in China außerordentlich groß. Es nimmt jedoch auch in Deutschland mehr und mehr zu. Städte wie Ingolstadt, Wuppertal, Aachen, Rüsselsheim, Kelsterbach oder Raunheim machen bei der ISA längst mit, andere wie Köln, Fulda, Bottrop oder Nürnberg wollen bald hinzukommen. Zwischen den Städten entwickeln sich gute Wirtschaftscluster und -partnerschaften, Kooperationen, joint ventures und gegenseitige Beteiligungen bei Unternehmen. Vor allem für deutsche Firmen sind das Sino-German Center und das Sino-European Center in Foshan gute Anlaufstellen, um Informationen und Kontakte sowie Partner zu finden. In Deutschland ist die Berliner Gesellschaft für Politik, Kommunikation und Strategie (PKS) Verbindungsstelle und Plattform für die Beziehungen nach Foshan.
Das wichtige Ziel: Reziprozität
Rund 5.000 deutsche Firmen sind heute in China engagiert, allein 500 in der Provinz Guangdong, in der auch Foshan liegt. Es ist durchaus möglich, ein Unternehmen mit 100 %iger deutscher Beteiligung zu gründen. Lediglich in Schlüsselbranchen muss stets ein chinesischer joint venture-Partner genommen werden, was von Firmen aus Deutschland immer wieder als Protektionismus seitens der chinesischen Politik beklagt wird. Dieses Thema wird Sigmar Gabriel bei seinen Gesprächen in Peking gewiss erneut auf die Agenda bringen und volle Reziprozität fordern, nämlich „gleiche Behandlung und Bedingungen auf beiden Seiten“. Dem Bundeswirtschaftsminister geht es um faire Regeln für den Außenhandel und für die gegenseitigen Investitionen. Gerade Deutschland ist auf einen möglichst freien Außenhandel und auf ausländische Investoren sowie auf gute Investitionsbedingungen für seine Unternehmen im Ausland angewiesen.
Auch seitens der EU wird die Reziprozität gefordert, damit in allen Bereichen der Zusammenarbeit mit China sichergestellt wird, dass beide Seiten wechselseitig die gleichen Rechte haben. Das ist zweifellos richtig, zumal China Ende 2016 als Marktwirtschaft anerkannt werden will, was mit der Welthandelsorganisation (WTO) bereits vor langer Zeit vereinbart worden ist. Allerdings gilt es, alles zu tun, damit die chinesische Führung nicht ihr Gesicht verliert, wenn Gabriel allzu heftig mit seinen Attacken operieren sollte. Einige deutsche Firmen fürchten gar schon, dass ein Streit mit China ihnen schaden könnte. Der CDU-Wirtschaftspolitiker Michael Fuchs warnte deshalb den Minister vor seiner China-Reise vor „Hauruck-Aktionen“. Ein Ausverkauf in Germany, von dem einst mit Blick auf die Expansion von US-Investoren geredet wurde, ist ohnehin nicht zu erwarten – auch nicht von China. Vor allem aus der deutschen Wirtschaft gibt es Gegenwind für Gabriels Bremsversuche gegen chinesische Investoren. Klartext ist dabei von Hubert Lienhard vom Asien-Pazifik-Ausschuss (APA) zu vernehmen: „Ich bin dafür, dass wir in Deutschland keine schärferen Regeln für Übernahmen aus China einziehen. … Wir sollten offen bleiben.“
Bildquelle: Wikipedia, Wing, Die Neun-Drachen-Mauer in der Verbotenen Stadt in Peking, China, CC BY-SA 3.0