„Das Ende der Ostpolitik“ titelte kürzlich das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“. Es war ein Artikel über die Außenpolitik von Frank-Walter Steinmeier, darüber, wie er sich in der Ukraine-Krise verhalte und wie sein Verhältnis zu Russland und dessen Präsidenten Putin sich verändere. „Die Alten in der SPD“, urteilte das Magazin, „sind eine schwere Bürde für Steinmeiers Krisendiplomatie. Sie gefährden im Ausland die Glaubwürdigkeit seiner Politik. In der eigenen Partei befeuern sie jene, die den harten Kurs gegenüber Russland falsch finden.“ Da reibt man sich die Augen. Die Ostpolitik von Brandt, Schmidt und Bahr, das Markenzeichen der SPD wie die Entspannungspolitik, quasi zum Altpapier gestempelt und deren einstige Macher als Belastung für den Amtsinhaber. Und das Ganze im „Spiegel“.
Nun ist das Verhältnis von Steinmeier zu Putin und Russland in den letzten Wochen einer starken Belastung ausgesetzt worden. Putin hat die Krim annektiert, er wird verantwortlich gemacht für die militanten Auseinandersetzungen in der Ost-Ukraine. Das Liebäugeln der Ukraine mit ihrer Hauptstadt Kiew mit der EU wird Putin nicht gefallen und seinen Leuten im Osten des Landes auch nicht. Am Ende könnte zumindest dieser Teil der Ukraine Teil der EU werden, wie die anderen ehemaligen Ostblock-Länder der früheren Sowjetunion, die längst im West angeheuert haben, darunter Polen, Tschechien, Ungarn, nicht zu vergessen die baltischen Staaten. Dass Putin über die Erweiterung der EU und der NATO nicht begeistert ist, liegt auf der Hand.. Er fühlt sich teils eingekreist, teils an die Wand gedrückt.
In dem Spiegel-Beitrag wird daran erinnert, dass das gute Verhältnis der SPD zu Moskau das Erbe der Ostpolitik Willy Brandts sei, „diese Phase gilt als das goldene Zeitalter der sozialdemokratischen Außenpolitik“. Was nunmehr in Zweifel gezogen werde. So zitiert das Hamburger Blatt den SPD-Verteidigungsexperten Hans-Peter Bartels, der diese Jahre als „Entspannungspolitik-Romanze“ abgetan habe.
Dass Steinmeier hier eine schwere Aufgabe zu bewältigen habe, muss man nicht betonen. Er hat die Politik der EU gegenüber Putin zu vertreten und die Interessen der einstigen Ostblock-Staaten zu berücksichtigen, die sich unter dem Schutz und Schild der NATO sehen, was ja auch stimmt. Aber muss man deshalb Flugzeuge in die Grenzgebiete schicken, Truppen-Teile verlegen wollen, im Grunde also Droh-Gebärden Richtung Moskau loslassen? Also Gegendruck erzeugen, weil Putin mit den Muskeln spielt? Dazu die Forderungen nach Sanktionen gegenüber Moskau. Dass einer wie Egon Bahr, im Grunde der Architekt der Ost- und Entspannungspolitik überhaupt, die westliche Sanktionsspirale als Rückfall in den Kalten Krieg bezeichnet, ist doch nicht weit hergeholt. Man höre doch mal dem NATO-Generalsekretär Rasmussen zu. Verbal heizt der schon auf.
Aber Steinmeier gehört sicher nicht zu den Politikern, die Öl ins Feuer kippen wollen. Dass er sich vor ein paar Wochen in Berlin bei einer Kundgebung aufgeregt hat, weil einige ihn als Kriegstreiber hingestellt hatten, geschenkt. Solche Schreihälse werden Steinmeier nicht vom Kurs abbringen lassen und der heißt: Reden mit Putin, immer wieder das Gespräch suchen.
Es fällt auf, dass Politiker im Westen kritisch mit Putin umgehen, vielleicht manchmal zu kritisch. Putin darf nicht isoliert werden, man muss ihn einbinden. Gerade mit Russland sollte die EU ein Assoziierungsabkommen anstreben. Und Putin wird aushalten, wenn Steinmeier das Vorgehen auf der Krim als „schlicht und einfach völkerrechtswidrig“ kritisiert und betont: „Die Verantwortung trägt Russland.“
Aber da gibt es noch anderes, was Putin und Russland und das Verhältnis zu Deutschland betrifft. Daran hat einer der großen alten Männer der SPD, Erhard Eppler, vor Wochen in einem Gastbeitrag für die „Süddeutsche Zeitung“ erinnert. Eppler erinnerte an die Garantie, die einst Michail Gorbatschow von Helmut Kohl gefordert hatte. Quasi als Gegenleistung für seine Zustimmung zur deutschen Einheit. Selbst auf dem Gebiet der DDR sollten keine Stützpunkte und Einrichtungen des westlichen Verteidigungspaktes entstehen. Kohl hat dies seinem sowjetischen Gesprächspartner zugesichert. Andere westliche Außenminister versprachen es auch. Später wurde die Ostgrenze Polens zur Ostgrenze der NATO. Und wenn die Ukraine Teil des westlichen Bündnisses würde, hätte Russland eine gemeinsame Grenze mit der NATO. Wäre die Nato um 1000 Kilometer nach Osten vorgerückt, geographisch.
Steinmeier kennt Putin, schon aus der Zeit, als Gerhard Schröder Kanzler war und Steinmeier der Chef des Amtes. Er hat den Präsidenten Russlands kennengelernt, weiß vielleicht aus Gesprächen mit Putin und/oder mit Schröder um dessen Probleme, das Riesen-Reich Russland zu regieren, ein Land, das auch seinen Stolz hat, auch wenn es vor Jahren erleben musste, wie das Sowjet-Reich auseinander brach. Russland ist nicht Deutschland. Darauf ist zu achten.
Deutsche und Russen verbindet eine gemeinsame Geschichte, eine schlimme dazu. Es war Hitler-Deutschland, das 1941 die Sowjetunion überfiel. Insgesamt kamen 30 Millionen Menschen in der Sowjetunion ums Leben, Soldaten und Zivilisten. Putin stammt aus Petersburg, dem einstigen Leningrad, das von der Wehrmacht 900 Tage lang eingekesselt war. Rund eine Million Menschen kamen dabei ums Leben. Viele von ihnen verhungerten. Putins Vater hat an der Front gekämpft, Putins Mutter war eine „Blokadniza“, die in Leningrad überlebte. Putin ältester Bruder Viktor starb 1942 an Diphterie, ein Opfer der Blockade. Er liegt auf dem Friedhof in St. Petersburg neben Tausenden anderen Opfern. Wladimir Putin hat seinen Bruder Viktor nie gesehen. Den Friedhof muss man gesehen, erlebt haben, wie Millionen Bürger der Stadt den Tag der Befreiung begehen, mit allen Mitgliedern der Familie, die Großväter in Uniformen, möglichst dekoriert, dabei die Kinder und Enkel. Auch heute geschieht das noch, Jahr für Jahr.
Wer Putin verstehen will, muss die Geschichte kennen, er muss mit Putin reden. Die Alten in der SPD, die am Krieg teilgenommen haben, haben diese Geschichte gekannt, sie verinnerlicht und sie bei ihren Gesprächen mit den Führern der einstigen Sowjetunion berücksichtigt. Gerhard Schröder- Jahrgang 1944, sein Vater fiel im Krieg in Rumänien, Schröder hat sein Grab erst Jahrzehnte später als Kanzler besucht- schreibt in seinem neuesten Buch „Klare Worte“, es grenze für ihn an ein Wunder, dass Deutschland nach den Geschehnissen zweiter Weltkriege zum wichtigsten Partner Russland geworden sei. Es gebe keine russische Familie, erinnert Schröder, die nicht Opfer zu beklagen habe. Gleichwohl gebe es eine ungeheure Sympathie, die der Besucher spüre, wenn er sich in Moskau und St. Petersburg aufhalte.
Diese historischen Aspekte haben die deutschen Kanzler von Konrad Adenauer über Willy Brandt, Helmut Kohl bis zu Gerhard Schröder berücksichtigt, wenn sie mit den Russen sprachen. Kohl ist es gelungen, die deutsche Einheit vor allem durch sein vertrauensvolles Verhältnis zu Michail Gorbatschow zu erreichen.
Es ist schon mehr als verwunderlich, wenn ausgerechnet im „Spiegel“ zu lesen ist, dass die Altvorderen der SPD gern verschweigen, „dass die Ostpolitik zunächst sehr erfolgreich war, in den Achtzigerjahren aber zum Teil zur Kumpanei mit kommunistischen Regimen geführt hatte. Schmidt fühlte sich Erich Honecker näher als den Bürgerrechtlern in der DDR. Die Oppositionellen in Polen und anderen Ländern galten als Störenfriede, die den Dialog mit den kommunistischen Herrschern erschwerten.“
Da fehlte nur noch die Erinnerung an Wahlkämpfe, als unter dem CDU-Generalsekretär Volker Rühe aus „Wandel durch Annäherung“ ein „Wandel durch Anbiederung“ gemacht wurde. Richtig ist, dass sich die SPD über die Jahre mit dem Thema schwer tat. Aber ihrem Denken lag nun mal die Erkenntnis zu Grunde, dass der Schlüssel für menschliche Erleichterungen und vielleicht viel später für die deutsche Einheit in Moskau liege. Wer etwas erreichen wollte im Ostblock, musste sich mit Moskau gut stellen. Und niemand dachte an ein Zusammenbrechen des Warschauer Paktes. Also mussten Vereinbarungen mit den regierenden Kommunisten getroffen werden, nicht mit den Opponenten in Ostberlin und Leipzig. Es stimmt, das hat Egon Bahr später zugegeben, die SPD habe die Opposition in Polen wie in der DDR nicht ernst genommen. Es gab Missverständnisse, als Willy Brandt Warschau besuchte und Lech Walesa, der in Danzig lebte, nicht nach Warschau einlud. Brandt hat Walesa später einen Brief geschrieben und ihm seine Argumente erläuterte. Es gab Missverständnisse, als Hans-Jochen Vogel bei einem Besuch in der polnischen Hauptstadt auf die Ermordung des polnischen Priesters und Dissidenten Popieluszo sehr ausweichend reagierte und dessen Grab erst in den frühen Morgenstunden-ohne Fernsehkameras- besuchte. Aber es stimmt auch, dass Helmut Kohls Erfolge in der Deutschlandpolitik auf der Politik von Brandt, Schmidt und Bahr aufbaute.
Einen Kalten Krieg will Steinmeier verhindern. Die Zusammenarbeit mit Moskau wird nicht leichter werden. Und dann sagt der Autor ziemlich unverblümt an die Adresse des Ministers und der SPD-Alten: „Es ist eine ziemlich große Aufgabe. Auf die Kritik alter Besserwisser kann er getrost verzichten.“ Heißt es bei Springer, pardon im Spiegel. Fragt sich am Ende des Spiegel-Artikels, ob wir von einer neuen Ostpolitik Steinmeiers reden sollten oder von einem neuen Kurs des Hamburger Magazins.
Bildquelle: Bundesarchiv B 145 Bild-F031406-0017, Erfurt, Treffen Willy Brandt mit Willi Stoph cc-BY-SA-3.0-de