Seit Günter Grass wissen zumindest seine Leser, dass der Fortschritt eine Schnecke ist. Mit anderen Worten: Veränderungen stellen sich nur „slow motion“ ein. So auch der ebenfalls langsame Abschied der SPD aus der freiwilligen Gefangenschaft in der immer kleiner werdenden und doch noch immer „große“ Koalition genannten Verbindung mit den Unionsparteien. Kein Wunder, Sozialdemokraten kümmern in Umfragen bei etwas über 20 Prozent Zustimmung dahin in einer durch Wahlenthaltung verkümmerten Wählerschaft. Die absolut größte Fraktion in der politischen Arena sind dennoch die Wahlverweigerer, die teilnahmslos auf der Tribüne hocken.
Das rot-rot-grüne Pflänzchen
Anfang der Woche nun ein erster größerer Versuch auszuloten, ob im Bund ein Dreierbündnis zwischen SPD, Linken und Grünen gelingen könnte. Gut einhundert Abgeordnete aus allen drei Bundestagsfraktionen waren zusammengekommen, um zu sondieren, ob eine Mehrheit links der Mitte auch politisch durchsetzbar wäre. Dass Sigmar Gabriel der Hundertschaft seine Aufwartung machte, wurde vor allem von der CSU mit Erbitterung registriert. Ob das beiträgt, die Spaltung in der Union zu überwinden, sei dahin gestellt. Immerhin wurde deutlich, dass die SPD offenbar nach einer Machtoption sucht und die Rolle als ewiger Juniorpartner der Union nicht bis zum eigenen Untergang behalten will. Rot, Rot und Grün wird Thüringen regiert unter Führung eines Linken Ministerpräsidenten. Berlin unter Führung der SPD könnte folgen. Warum also nicht auch im Bund? Ein gutes Jahr bis zu den nächsten Wahlen bleibt Zeit zu klären, ob ein solches Bündnis tragfähig wäre.
SPD muss zu ihren Wurzeln zurück
Noch wichtiger wäre allerdings, dass die SPD zu ihren Wurzeln zurück findet und die gewachsene Distanz zu ihren einstigen Stammwählern überwindet. Trifft die Analyse eines renommierten Politikwissenschaftlers zu, der die SPD eine „sozial demolierte Partei“ nennt, ohne Seismograf und Kompass? Selbst in einer Stadt wie Berlin schafft sie gerade noch die 20-Prozent-Hürde, für eine Fortsetzung der Koalition mit der CDU hätte es nicht gereicht. Es wäre daher naheliegend, Ursachenforschung zu betreiben und mit den denkbaren Partnern auf Augenhöhe zu verhandeln. Das gilt für die Senatsbildung in Berlin, aber auch für eine eventuelle Koalition im Bund.
CETA und die Selbstfesselung
Eine Chance die Voraussetzung zu verbessern, wurde gerade vertan, als der Vorsitzende Gabriel das europäisch-kanadische Handelsabkommens CETA über den grünen Klee lobte. Ohne die Auflagen des Bundesverfassungsgerichts wäre die Zustimmung zu CETA durch die Bundesregierung zu einer Selbstfesselung der SPD geworden, die nicht nur den Weg zu einer Kanzlerschaft Gabriels, sondern auch den Weg der inneren Erneuerung erschwert hätte.
Rettung droht aus der Wallonie
Wer hätte was gegen fairen Handel einzuwenden, wenn damit gleichzeitig einer der großen Unruhestifter gebändigt und an die Leine gelegt wäre: Die Globalisierung. Was nützen Zollfreiheit und die Verbilligung des Exports, wenn afrikanische Länder in der Preisgestaltung ihrer Produkte etwa in der Landwirtchaft nicht mithalten können? CETA ist gut für Kanada und Europa und ändert nichts daran, dass die Zahl der Flüchtlinge aus den Elends- und Hungerländern der Welt weiter ansteigt. So könnte es dazu kommen, dass Rettung aus der Wallonie in Belgien droht und CETA neu verhandelt werden muss.
Fluchtgründe für 65 Millionen Menschen
Käme es dazu, hätte Deutschland ein Wort mitzureden, und die SPD und eine neue Koalittion könnte beitragen, eine weltweite Handels- und Industriepolitik zu entwickeln, die den sozialen Frieden auch global in dem Blick nimmt. Da liegen zu einem großen Teil die Fluchtgründe für weltweit 65 Millionen Flüchtlinge, von denen gern in Sonntagsreden gesprochen wird, und die es doch angeblich zu bekämpfen gilt. Dabei Handlungsfantasie zu entwickeln, würde zum Weltfrieden beizutragen und ihn sicherer zu machen. Jedenfalls wäre das ertragreicher als der Versuch, sich der AFD anzunähern, in der Hoffnung, dem „besorgten“ Bürger die Stimmabgabe für die CSU zu erleichtern, und die Chefin der Schwesterpartei CDU auszuladen, weil selbst ihre Argumente einen Parteitag der Christenmenschen überfordern würde.
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