Die Kulisse ist bereitet. Auf dem EU-Kanada-Gipfel am 27. Oktober soll CETA feierlich besiegelt werden. Doch das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Kanada weckt keine Jubellaune. Nach jahrelangen Verhandlungen und trotz einiger Nachbesserungen sind die Bedenken und Befürchtungen nicht ausgeräumt, dass CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) durch die Hintertür mehr Schaden als Nutzen bringt.
Aus wirtschaftlichen Erwägungen liegen die Vorteile auf der Hand. Das Geschäftemachen wird leichter und profitabler. Eine zunehmend kritische Öffentlichkeit hinterfragt jedoch, was früher in den Büros der Technokraten ausgeblendet blieb: Welchen Preis zahlen wir dafür, dass die großen Konzerne entfesselt schalten und walten können? Welche Folgen hat die große Freiheit des Kapitals für Umwelt und Verbaucher, für Arbeitnehmer, Demokratie, Rechtstaatlichkeit und die globale Gerechtigkeit?
Gabriel kann sich gelassen geben
Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel kann sich im Kreis der europäischen Handelsminister gelassen geben. Der SPD-Vorsitzende hat die Rückendeckung seiner Partei für CETA eingeholt und auch vom Bundesverfassungsgericht grünes Licht bekommen. Einige seiner Amtskollegen aber sind widerspenstig. Sie haben Bauchschmerzen mit dem Kleingedruckten oder wollen für sich noch mehr herausholen.
Aber Skepsis in vielen anderen Ländern
Die Niederlande und Österreich sind skeptisch, ebenso Rumänien, Bulgarien, Slowenien und in Belgien die Wallonen. Die EU-Kommission verhandelte an den strittigsten Punkten nach, eine Zusatzerklärung zum Schutz der Daseinsvorsorge vor Privatisierung und zu den Ansprüchen von Investoren gegen den Staat soll die Bedenkenträger umstimmen. Im Fall der Wallonen wird weiße Salbe jedoch nichts bewirken. Der belgische Premierminister darf sich über das Veto der Region nicht hinwegsetzen, und tut er es doch mittels irgendeines rechtlichen Kniffs, riskiert er, die fragile Balance zwischen Flamen und Wallonen ins Wanken zu bringen.
Globalisierungsmüdigkeit
Jenseits der Regierungshaltungen zu CETA sind die Bevölkerungen in vielen EU-Ländern kritisch eingestellt. Demonstrationen zunächst gegen TTIP, das geplante und inzwischen verworfene Handelsabkommen zwischen EU und USA, riefen nicht nur in Deutschland Hunderttausende auf die Straßen. Hier reichte die Bandbreite des Protests von der politischen Linken, Jungsozialisten, mehreren SPD-Landesverbänden und Grünen über Gewerkschaften, Landwirte und Umweltschützer bis hin zu AfD und NPD.
Die skurrile Mischung erklärt sich aus der Vielfalt der möglichen Folgen. Hinzu kommt ein Trend, der sich als Globalisierungsmüdigkeit bezeichnen lässt. Die simple Gleichung der Globalisierung – grenzenloses Wirtschaften und freier Welthandel gleich Wohlstandsmehrung – erweist sich als Worthülse.
Gewinner, Verlierer, Chance und Risiko
Die Entwicklung hat durch die internationale Finanz- und Wirtschaftskrise erstmals Rückschläge erlitten, sie offenbart, dass es neben Gewinnern auch Verlierer, neben Chancen auch Risiken gibt. Kriege, Bürgerkriege, Fluchtbewegungen. Vielen genügt das Wohlstandsversprechen nicht, wenn es so teuer erkauft wird. Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer, innerhalb der Volkswirtschaften und auch weltweit. Private Vermögen erreichen schwindelerregende Größenordnungen. Die ungerechte Verteilung von Wohlstand und Chancen verschärft sich.
Errungenschaften im Sozialen in Gefahr
Das Unbehagen an Freihandelsabkommen, die vor allem einer neoliberalen Wirtschaftsweise, unkontrollierbaren Finanzströmen und unersättlichen Märkten dienen und zugleich Errungenschaften und Standards im Sozialen, im Umwelt- und Verbraucherschutz absenken, breitet sich aus. Da hilft das Argument wenig, dass CETA um vieles besser sei als TTIP, und ein weiteres Abkommen namens TISA, bei dem es um den freien Dienstleistungsverkehr geht, stößt von vornherein auf tiefes Misstrauen.
Menschen kommen nicht mehr mit
Die Rasanz der Globalisierung wirkt wie eine Überrumpelung, die Menschen kommen nicht mit, die Skepsis steigt und wächst sich zu Ängsten aus, die eine Sehnsucht nach der Überschaubarkeit der „guten alten Zeit“ in Gang setzen. Die nationalistischen Tendenzen in Europa, die Krise der Europäischen Union und der Ausstieg der Briten aus der EU sind Indizien dafür. Und richtig: eine Gemeinschaft, die sich den Märkten und nicht den Menschen verpflichtet fühlt, wird zu einem seelenlosen Gebilde, das niemanden begeistert und den Menschen gleichgültig wird.
Karlsruhe hat Notbremse verlangt
Deshalb ist die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ein Minimalerfolg für Sigmar Gabriel, und auch das nur vordergründig. Seine Beinfreiheit im EU-Ministerrat reicht nicht weit über die bloße Zustimmung hinaus. Die Absicht, das Abkommen schon vor der Ratifizierung durch alle nationalen Parlamente in Kraft treten zu lassen, ist hingegen durchkreuzt für alle Bestimmungen, die nicht in die alleinige Zuständigkeit der EU fallen, Arbeitsschutz etwa, Berufsabschlüsse, Investitionsschutz und anderes mehr. Außerdem haben die Karlsruher Richter eine verlässliche Notbremse verlangt. Auch sie trauen dem Braten nicht, und falls sich Kollisionen mit dem Grundgesetz herausstellen, muss Deutschland ein Ausstieg aus dem Abkommen möglich sein. In der Hauptsache wird das Bundesverfassungsgericht noch entscheiden.
Bildquelle: foodwatch – foodwatch, STOP TTIP CETA 10.10.2015 Berlin, CC BY-SA 2.0
Entspricht die Angst vor Ceta der Angst welche durch die sinkende Wettbewerbsfähigkeit Europas hervorgerufen wird? Ohne Freihandel dürfte Europa (EU) eher noch schneller abgehängt werden. Wo sehen wir uns da. Stünde Deutschland mit einem Gerxit wohl möglich besser da im globalen Wettbewerb?