Sie rufen „Volksverräter“, „Merkel hau ab“, zeigen auf Plakaten Galgen, an denen die Köpfe der Kanzlerin und des Vizekanzlers hängen. Ein dunkelhäutiger Mann, auf dem Weg zum Gottesdienst aus Anlass der Einheitsfeierlichkeiten, wird mit Affenlauten empfangen. Andere Flegeleien und Pöbeleien kommen hinzu. Das Internet ist „partiell zu einer braunen Kloake geworden“, schrieb der SZ-Leitartikler Heribert Prantl kürzlich. Und fügte hinzu: „Wenn Volksverhetzung zum Volkssport wird, darf der Staat nicht zuschauen.“
Die Frage ist ja, warum greift die Polizei nicht ein, warum handelt die Staatsanwaltschaft nicht? Ist denn das alles erlaubt, müssen wir uns mit den täglichen Beleidigungen abfinden, muss der Politiker, müssen die Kanzlerin und ihr Vize das hinnehmen, weil Kritik nun mal zur Demokratie gehört? Kritik ist wesentlicher Bestandteil unseres Systems, aber Verleumdung und Volksverhetzung sind es eben nicht, sie sind strafbewehrt und können geahndet werden. Warum geschieht das nicht, warum lassen wir das zu, dass gewählte Volksvertreter, ja sie sind von uns gewählt, sich quasi zu den Einheitsfeierlichkeiten in Dresden schleichen müssen, um der Verächtlichmachung durch pöbelnde Demonstranten zu entgehen? Manches glich einem Spießrutenlaufen.
Eindruck eines rechtsfreien Raums
Die Zigtausenden von Beleidigungen in den sozialen Medien finden täglich statt- und nichts passiert. Der Bundesjustizminister droht. Herr Maas, das ist zu wenig. Als vor Jahr und Tag in unserem Wir-In-NRW-Blog die frühere Landtagpräsidentin van Dinter von einem User bedroht wurde, hat sie über ihren Anwalt Strafanzeige gegen mich gestellt. Zu Recht. Von unserer Seite war das keine Absicht, es war halt passiert und von uns nicht bemerkt worden. Ich musste ins Bonner Polizeipräsidium, wurde mit dem Vorfall konfrontiert, der User-Beitrag gegen van Dinter wurde sofort rausgenommen, ich habe mich schriftlich bei der CDU-Politikerin entschuldigt. Und damit war die Sache vom Tisch. Mir war das peinlich. Warum lassen wir das bei Facebook durchgehen? So entsteht der Eindruck, als sei das Internet ein rechtsfreier Raum, als dürfe dort jeder jeden beleidigen.
Was sich in der politischen Debatte draußen abspielt, am Rande von Demonstrationen, was sich Pediga-Leute leisten, wie Politiker ins Lächerliche gezogen, beleidigt und bedroht werden, das ist schon lange kein Kinderspiel mehr. Es gibt keinen Freifahrtschein für Beleidigungen. Klare Kante ist hier angesagt. Wer gegen Gesetze verstößt, muss damit rechnen, dass er angezeigt und bestraft wird. Der zunehmend aggressiver werdenden Verachtung gegenüber Politikern muss Einhalt geboten werden.
80 Prozent stimmen für die Demokratie
Der Politik-Wissenschaftler Prof. Leggewie hat sicher Recht mit seiner Feststellung, dass 80 Prozent der Deutschen für das geltende System sind, für die parlamentarische Demokratie, ihre Stimme für die so genannten etablierten Parteien abgeben, die demokratischen also, vielleicht sind es sogar 85 Prozent. Der Rest ist dann dagegen, irgendwo am rechten Rand zu finden, der Teil der Menschen, die fremdenfeindlichen Parolen von Pegida und AfD folgen, die die Flüchtlingspolitik der Regierung und namentlich die von Angela Merkel für ein großes Unheil halten. Als wenn Deutschland wegen der Flüchtlinge vor dem Untergang stünde! Deutschland den Deutschen, so und ähnlich die dumpfen völkischen Sprüche. Das Export-Land Nummer eins in Europa soll sich auf sich selbst zurückziehen. Dabei lebt das Land vom Austausch, von seinen internationalen Kontakten und Geschäften.
Der Hass einer Minderheit darf das Land nicht hässlich machen. So lautet eine Zwischenzeile des oben zitierten Leitartikels von Heribert Prantl. Nein, das darf es nicht, das Ansehen des toleranten und offenen Deutschlands würde Schaden nehmen. Gerade die heftige Kritik von AfD-Vize Gauland, einem Überläufer von der CDU, an Kanzlerin Angela Merkel, weil sie im Sommer letzten Jahres die vielen Tausenden Flüchtlinge durchwinken ließ und zwar aus humanitären Gründen, weil diese Menschen in Not unserer Hilfe bedurften und sie erhielten, haben dem Image Deutschlands gut getan. Von wegen Ellbogen-Gesellschaft, hier zeigte die Regierungschefin Menschlichkeit, Solidarität mit denen, die es dringend brauchten. Dass es nicht gelang, die anderen Länder Europas entsprechend einem Schlüssel an der Aufteilung der Flüchtlinge zu beteiligen, Polen und Ungarn machten sich hier einen zweifelhaften Namen, spricht gegen deren Regierungen. Das Abendland als Wertegemeinschaft, manchmal ist es zum Heulen, wenn es darum geht, nicht nur zu nehmen, was man aus Brüssel an Wohltaten bekommt, sondern auch zu geben und Lasten zu tragen. Dass Gauland in diesem Zusammenhang von Kanzlerinnen-Diktatur spricht, ist lächerlich.
Polizei und die Haltung zum Rassismus
Man hörte in der Fernsehsendung „Maybrit Illner“, dass einige Polizeien vor allem in Sachsen Probleme mit dem Rassismus und Rechtsextremismus hätten. Die Polizei begegne Pediga viel zu freundlich, die Zunahme von Gewalt und Beleidigungen von bis zu 44 Prozent sei alarmierend. Dass der Rechtsstaat dagegen nicht entsprechend seiner gesetzlichen Möglichkeiten und Notwendigkeiten einschreitet, dieser Eindruck darf eigentlich nicht entstehen. Der Rechtsstaat gewährt zwar auch seinen Feinden alle Rechte, das macht die Stärke des Rechtsstaats aus, aber er darf nicht dulden, wenn Gewalttägige und Kriminelle glauben, das gelte für sie nicht. Wer andere Menschen verfolgt, bedroht, schlägt, Häuser anzündet und anderes mehr, ist ein Krimineller und muss als solcher behandelt werden. Und neben dem Anstieg an Gewaltdelikten gegen Fremde gesellt sich noch eine Zunahme von 116 Prozent fremdenfeindlichen Attacken im Netz. Das ist kein Spaß, hier werden Menschen bedroht, beleidigt, unter Druck gesetzt, gedemütigt. Widerlich.
In Dresden leben rund 300000 Einwohner, bei den Einheitsfeiern demonstrierten rund 500 Menschen, Psychopathen, wie Heiner Geißler, der ehemalige CDU-Generalsekretär die Demonstranten nannte. Im Übrigen hätten die Medien diese Demo hochgeschaukelt, in dem sie die Hälfte der Sendezeit den Protesten, Angriffen und Beleidigungen gewidmet habe. Macht man die AfD und Pegida und deren Anhänger damit gesellschaftsfähig? Ja, warum wird nicht täglich über die Hilfe der Millionen Deutschen gesendet und geschrieben, die in Flüchtlingscamps den Menschen helfen, die mit dafür sorgen, dass diese Flüchtlinge ein Dach über dem Kopf, etwas zu essen und zu trinken haben, medizinisch versorgt werden? Ja, warum wird darüber so wenig geschrieben?
Lammerts Worte an die Adresse der Pöbler
Bundestagspräsident Norbert Lammert, ein CDU-Mann aus dem Ruhrgebiet, hielt den Pöblern von Dresden ein paar richtig gute Worte entgegen. Deutschland sei in einer besseren Verfassung denn je. Wer heute besonders laut seine Empörung zu Markte trage, habe offenkundig das geringste Erinnerungsvermögen an die Situation vor der deutschen Einheit verloren. Stimmt, Herr Präsident! Ich war damals oft genug jenseits der Elbe und habe die Bilder von den heruntergekommenen Häusern in weiten Gebieten der ehemaligen DDR noch in unguter Erinnerung. Und Lammert fuhr fort, die meisten Menschen in Sachsen und in den anderen Bundesländern im Osten wüssten sehr wohl, was sie seit der Wende geleistet hätten und dass viele andere ihnen geholfen hätten. Man frage zum Beispiel das Land NRW, das eine Art Patenschaft für Brandenburg übernommen hatte.
Wer das Abendland gegen tatsächliche oder vermeintliche Bedrohungen schützen wolle, so Lammert weiter in eine seiner besten Reden, müsse den Mindestansprüchen der westlichen Zivilisation genügen: Respekt und Toleranz und die Freiheit der Meinung, der Rede und der Religion wahren und den Rechtsstaat achten. Dass das den Krakeelern von Dresden nicht imponieren wird, darf man annehmen. Dennoch ein letzter Satz des Bundestagspräsidenten: Deutschland sei sicher nicht perfekt, aber in einer besseren Verfassung als je zuvor.
Demokratie ist kein Selbstläufer
Demokratie ist kein Selbstläufer, sie muss gelebt und gegen ihre Feinde verteidigt werden. Bonn, so hieß es früher schon mal in Diskussionen, sei nicht Weimar. Die Demokraten von heute respektieren und akzeptieren einander, schließen Koalitionen miteinander, diskutieren über die unterschiedlichen Wege zum Ziel. Aber sie tolerieren andere Meinungen. In Weimar war das anders, da machte sich sehr früh eine Verachtung der Demokraten breit, die sich dann gegenseitig bekämpften und als es darauf ankam, nicht mehr die Kraft hatten, Hitlers Nationalsozialismus abzuwehren. Berlin ist nicht Weimar. Das ist sicher richtig. Aber dass das so bleibt, dafür muss man kämpfen. Dass Geschichte sich nicht wiederholt, ist eine Legende, sie ist trügerisch, sie ist falsch. Der vor wenigen Tagen verstorbene Politik-Professor Karl-Dietrich Bracher hat die Zeit der Weimarer Republik und die Diktaturen sorgfältig studiert. Geschichte kann sich sehr wohl wiederholen. Prantl schließt seinen Leitartikel mit dem mahnenden Satz: „Eine Dresdner Republik muss ihr nicht folgen.“
Und bei Bert Brecht kann man die Warnung nachlesen: Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch…