Das war eine recht kontroverse Diskussion, die Bundestagsabgeordnete jüngst mit dem Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, führten. Der EZB-Präsident erläuterte dabei die Strategie der Niedrigzinspolitik: Im März diesen Jahres hatte die EZB den Leitzins, zu dem sich Banken bei ihr kurzfristig Geld leihen, auf null Prozent gesenkt. Zudem kauft die EZB Anleihen von Staaten und seit Juni 2016 auch von Unternehmen in Milliardenhöhe an, pumpt also gewaltige Liquidität in den Geldkreislauf.
Medizin gegen eine Rezession
Eine solch expansive Geldpolitik hat es bislang noch nie gegeben. Doch geht es der EZB vor allem darum, eine Deflation in Europa zu vermeiden. Die Preissteigerungsrate in der Euro-Zone lag 2015 bei 0 Prozent, sie wird in diesem Jahr rund 0,2 Prozent erreichen und könnte 2017 immerhin auf 1,3 Prozent steigen. Als Inflationsziel der EZB gelten 2 Prozent. Immerhin hat der geldpolitische Draghi-Kurs dazu beigetragen, dass die Euro-Staaten nach der Finanz- und Bankenkrise nicht in eine tiefe Rezession geraten sind. Vielmehr weisen sie -bis auf Griechenland- Wachstumsraten beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf: Dabei werden 2016 Irland mit 4,5 % und Spanien mit 3 % vorne liegen, während in Deutschland (1,9 %), Frankreich (1,4 %) und in den Niederlanden (1,8 %) die BIP-Zunahme nicht gerade üppig, aber doch durchaus befriedigend ausfallen dürfte. Jedenfalls leistet die EZB einen guten Beitrag, um Europa nicht in eine Rezession gleiten zu lassen und die ohnehin in vielen Ländern zu hohe Arbeitslosigkeit noch weiter nach oben zu treiben.
Niedrigzinsen: Chancen für Strukturreformen
Allerdings haben einige Regierungen in Europa dieses geldpolitische Rettungspaket der EZB zwar gerne angenommen und ihre Haushalte wesentlich günstiger als in früheren Jahren finanzieren können, doch lassen sie es an nachhaltigen Strukturreformen für einen sich selbst tragenden Aufschwung und für eine wesentliche Verbesserung der Beschäftigung fehlen. Vor allem sind in einigen Volkswirtschaften bislang zu geringe Fortschritte auf dem Wege zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit, zur Verbesserung der ökonomischen Rahmenbedingungen und vor allem auch zur Reduzierung der Etatdefizite gemacht worden. Die Nullzinspolitik der EZB bietet gerade dafür die besten Voraussetzungen.
Staatsanleihen mit Null- und Minus-Rendite
Die expansive Politik der EZB hat inzwischen ihre Spuren auf den Geld- und Kapitalmärkten hinterlassen. Vor allem die privaten Haushalte in Deutschland, die immer noch rund 10 % ihrer verfügbaren Einkommen auf die hohe Kante legen, klagen über die niedrigen Sparzinsen: Wer sein Geld mit einer Laufzeit bis zu einem Jahr bei der Bank oder Sparkasse anlegt, erhält gerade einen Effektivzinssatz von durchschnittlich kaum noch 0,3 %; bei Anlagen über 1 bis 2 Jahre sind es gerade 0,6 %, bei über 2 Jahren 0,8 %. Die Umlaufrenditen von Anleihen der öffentlichen Hand lagen 2015 im Schnitt bei 0,5 % und sind im Verlauf dieses Jahres sogar unter 0 % gesunken.
Dennoch, so das Ergebnis einer Studie der Deutschen Bank, hielten sich „die Auswirkungen der Niedrig- und Negativzinspolitik auf die Renditen der Finanzvermögen deutscher Privathaushalte bislang in engen Grenzen“. Die nominale Gesamtrendite betrug im Durchschnitt der Jahre 1999 bis 2015 immerhin noch 3,4 %. Die realen Renditen sind seit 2011 sogar aufwärts gerichtet, denn die Inflationsrate sank von 2,1 % im Jahre 2011 auf gerade noch 0,3 % im vergangenen Jahr.
Reale Rendite bei 3 %!
Die Sparer haben dabei von den recht robusten Erträgen aus Anlagen in Investmentfonds und Versicherungen profitiert. Auch haben viele Anleger immer mehr Geld risikoreicher und damit zumeist höher rentierlich investiert – etwa in Aktien oder Aktienfonds. Diese Risikobereitschaft ist gerade in jüngster Zeit wesentlich gestiegen – als Reaktion auf die Nullrenditen bei normalen Spareinlagen. Die Bundesbank kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass die realen Renditen, die im Schnitt bei 3 % liegen, „aufgrund der niedrigen Inflation nicht ungewöhnlich niedrig sind“. Die Perspektiven für die privaten Anleger werden sich durch die Niedrigzinspolitik jedoch verschlechtern: Investmentfonds und Versicherungen werden in den nächsten Jahren wohl kaum noch so hohe Renditen wie bisher erzielen können. Auch erwarten Experten für den deutschen und europäischen Aktienmarkt schon für 2016 eher rückläufige Gewinne und nur noch mäßig positive Renditen im nächsten Jahr; das wird etwa die Dividendenrendite schwächer ausfallen lassen.
Höhere Zinsen nur mit größeren Risiken
Professionelle Anleger setzen deshalb schon stärker auf alternative Anlagen -vor allem im Ausland- wie etwa auf Staats- und Unternehmens-Anleihen mit höheren Zinsen, aber eben auch mit höherem Ausfallrisiko. Die Experten der Deutschen Bank erwarten für die realen Vermögenseinkommen im laufenden Jahr und in 2017 weiter fallende Zinsrenditen und eine wieder leicht anziehende Inflationsrate: „Die realen Einkommensrenditen sollten daher wahrscheinlich bis 2017 auf 0,8 % sinken.“ Das wäre in der Tat ein Tiefstand, mit dem die deutschen Anleger rechnen müssen, aber eben noch keine Enteignung der leidgeprüften Sparer. Weiterhin gut lachen haben dagegen alle, die günstige Kredite und Hypotheken von Banken und Sparkassen angeboten bekommen. Kluge Schuldner nehmen diese Angebote mit einer möglichst langfristigen Festschreibung der gegenwärtig niedrigen Zinsen an.
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