„Was darf Satire?“, lautet eine aus gegebenen Anlässen oft gestellte Frage, und die aufgeklärte Antwort darauf: „alles“. Was aber kann Satire? Diese Frage stellt der Bielefelder Medienwissenschaftler Bernd Gäbler mit seiner jüngsten Studie über Satiresendungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Es sei, findet der Autor, an der Zeit, der Frage nachzugehen, ob „heute show“, „Die Anstalt“ und „extra 3“ hauptsächlich Klamauk bieten, oder auch politisches Interesse wecken. „Quatsch oder Aufklärung?“, heißt die Titelfrage, die – allem Bemühen des ehemaligen Grimme-Instituts-Chefs zum Trotz – letztlich unbeantwortet bleibt.
Ausgangspunkt ist ein behaupteter „Satireboom“ im deutschen Fernsehen, festgemacht an dem Umstand, dass die „heute-show“ Woche für Woche mehr Zuschauer habe, als das unmittelbar davor ausgestrahlte seriöse „heute-journal“. Aus der Einschaltquote für die einmal wöchentlich ausgestrahlte Parodie wird also gefolgert, sie habe das täglich gesendete Original überflügelt. Das wiederum wird einer allgemeinen Tendenz zugeschrieben, wonach besonders jüngere Zuschauer die herkömmliche politische TV-Berichterstattung meiden. Amerikanische Verhältnisse, wonach die seriösen Nachrichten ihr Publikum an die Satire verloren haben, will die Studie gleichwohl nicht feststellen. Ihr geht es, wie gesagt, um die Frage, was Satire kann, sprich: wie Satire wirkt. Diese Frage aber lässt sich allein mit einer Analyse der Sendungen, und sei sie noch so fleißig, nicht beantworten. Ob es sich um Quatsch oder Aufklärung handelt, welche Wirkung Inhalte entfalten, entscheidet sich nun mal nicht im Kopf des Forschers, sondern in dem des Zuschauers.
Von Heinz Erhardt, über Otto Waalkes bis Rudi Carrell
Gäbler holt ganz weit aus. Humor, Witz und Satire, so schreibt er, gehörten in unterschiedlichen Ausprägungen immer schon zur gemeinschaftsstiftenden Kraft des Massenmediums Fernsehens. Er beginnt bei Heinz Erhardt, dem „Prototyp des Deutschen in der Zeit des Wirtschaftswunders“, kommt über Loriot als weiterer Vaterfigur zu Otto Waalkes als erstem „Sohn“ der Szene und Helge Schneider als „Kind des Dada“. Rudi Carrell ist für Gäbler der „Erste, der spürte, dass die Zeit reif sei“, aus der Politik und den Politikern „Witz zu schlagen“. Nach dem Hinweis auf den Comedy-Boom, der mit dem Aufkommen des Privatfernsehens in Deutschland verbunden gewesen sei, kommt Gäbler auf Sendungen in der Tradition des politischen Kabaretts zu sprechen, allen voran Dieter Hildebrandt mit seiner „Münchener Lach- und Schießgesellschaft“ und auf die deutsche Adaption der US-amerikanischen Late Night Shows mit Harald Schmidt. Wo nun in diesem Sammelsurium die „heute show“ einzuordnen ist, bleibt offen. Erkennbar wird: Gäbler mag sie.
In der Studie heißt es: Seit November 2013 liegt die Einschaltquote dauerhaft bei über 3 Millionen Zuschauern. Im Analysezeitraum dieser Studie erreichte die Sendung am 15. April 2016 mit 4,19 Millionen Zuschauern und einem Marktanteil von 17 Prozent den besten Wert. Damit erreichte sie fast den Rekord von 4,42 Millionen Zuschauern und 18 Prozent Marktanteil, der mit dem Jahresrückblick im Dezember 2015 erreicht wurde. Für das häufig als ,Kukident-Sender‘ verspottete ZDF gilt unter dem neuen Programmdirektor Norbert Himmler, dass am Rande des Programms allerlei erlaubt ist und gedeckt wird, wenn es nur einem Ziel dient: endlich jüngeres Publikum anzulocken. Tatsächlich habe die „heute show“ Zuschauer, die ansonsten das ZDF „weitgehend ignorieren“. Indiz dafür sei auch die Tatsache, dass besonders viele Fans Zuschauer seien, die nicht mehr linear fernsehen, sondern ihre Lieblingssendungen zeitversetzt in der Mediathek abrufen. Unter den regelmäßig ausgestrahlten ZDF-Sendungen erreicht die „heute show“ dort pro Ausgabe die größten Nutzungsraten.
Lammert kritisiert Vorrang der Schlagzeilen gegenüber Analysen
Der Autor zitiert die Kritiker. Bundestagspräsident Norbert Lammert, der stets allgemein den Vorrang von Schnelligkeit gegenüber Gründlichkeit, von Schlagzeilen gegenüber Analysen, von Personalisierung gegenüber Sachthemen moniere, sehe die „heute show“ als „fast ultimativen Beleg“ für „eine grausame Dominanz der Unterhaltung gegenüber der Information“. Andere sprechen von „Krafthumor, der durch Lautstärke überwältigt“. Probleme, Affären und Konflikte würden „auf Strichmännchen-Niveau abgehandelt“. Der Journalist Hugo Müller-Vogg kommt mit der Einschätzung zu Wort, Moderator Oliver Welke und den Seinen „geht es allein darum, die Politikerkaste insgesamt als eine Ansammlung von Volltrotteln darzustellen“, die Sendung bediene „bestens die gängigen Vorurteile gegen die Politik“ und fördere „Politikverdruss und Politikerverachtung“.
Die Studie beschreibt, bevor sie in Schutz nimmt: Durch den Moderator, das Design und wiederkehrende Rubriken und Ensemblemitglieder ist die „heute show“ sofort erkennbar. Der Zuschauer weiß, was ihn erwartet. Wie bei den regelmäßigen Nachrichtensendungen gibt es eine „Geborgenheit im Ritual“. Gleichzeitig ist die Sendung so temporeich und voller wechselnder Elemente, dass Moderation, Sketche, Einspieler, „Kacheln“, Rubriken und Mainzelmännchen immer wieder für Abwechslung und Überraschungen sorgen. Dennoch gibt es auch in dieser Sendung die Gefahr der Routine. Die Sendung ist durchzogen von einfachen Kalauern, Beschimpfungen und Schenkelklopfern.
Sendung „heute show“ verhöhnt die Mächtigen
In der Vereinfachung stecke „immer auch eine gehörige Portion rigoroser Moral“, argumentiert Gäbler. „Durch diese Eindeutigkeit in der Vereinfachung entweiht die „heute Show“ gleichzeitig die Politik. Zu gerne spinnt sich diese mit der Behauptung, alles sei so komplex und kompliziert, dass Laien da kaum noch mitreden könnten, in einen Kokon ein. Politiker suggerieren: Jedes einfache Urteil sei per se verwerflich. An dieser Abschottung kratzt die „heute Show“ durch einen prinzipiell antiautoritären Gestus. Die Sendung verhöhnt die Mächtigen. Sie zeigt, dass vieles, was als besonders ernst und weihevoll inszeniert wird, tatsächlich einigermaßen lächerlich ist. Darin steckt viel kindische Freude oder Pubertäres, aber auch der demokratische Impetus, die Macht kritisierbar zu machen.“
Im Vergleich mit der „heute Show“ zeigt sich, so fährt Gäbler fort, dass „Die Anstalt“ eine völlig andere Art von Fernsehen ist. Beide Sendungen gehören zum Unterhaltungsprogramm, beide Sendungen sind politische Satire. Signalisiert „die heute Show“ jedem Zuschauer: „Jetzt darf gelacht werden!“, bedeutet „Die Anstalt“ ihm, dass es jetzt ernst wird, sie wirkt ambitioniert und gelegentlich langatmig. Sie will etwas von mir – im Zweifelsfall mich überzeugen. Das mag anspruchsvoll sein, ist aber auch aufdringlich. Aufdringlich ist die „heute Show“ nie. Die „heute Show“ ist eine Nachrichtenparodie mit großer Nähe zur Comedy – „Die Anstalt“ ist zum Kleinkunst-Theater verdichtetes Kabarett. Die „heute Show“ ist schnell – „Die Anstalt“ eher bedächtig. Die „heute Show“ lacht über die Welt – „Die Anstalt“ verzweifelt an ihr. Die „heute Show“ will uns zum Lachen bringen – „Die Anstalt“ hat eine Mission. Die „heute Show“ ist heiter und zeigt uns dabei auch Abgründe auf – „Die Anstalt“ will uns belehren und benutzt dazu auch Gags. Die „heute Show“ dekonstruiert die Oberfläche von Politik und Medien – „Die Anstalt“ will Gegenöffentlichkeit herstellen. Die „heute Show“ ist für jeden da, „Die Anstalt“ schafft sich eine Fangemeinde der Eingeweihten.
Konzentriert auf das Polit-Spitzenpersonal
Die Satiresendungen konzentrieren sich „in einem ungeheuerlichen Ausmaß auf das politische Spitzenpersonal“, sagt Gäbler und argumentiert: Anderen Formaten, die etwas mit Politik zu tun haben, würde man eine derartige Einengung mit Recht vorwerfen. Es sollen dem mündigen Bürger ja schließlich nicht allein Personen und Psychologie, sondern Strukturen und Prozesse bewusst gemacht werden. Durch die extreme Personalisierung aber gewinnt die Satire an Pfeffer. Manche Kritiker halten gerade das für pubertär, räumt der Autor ein, widerspricht jedoch: Die unterschiedlichen Wertungen haben mit der Natur der Witze zu tun. Sie sind im Kern antiautoritär. Eine heitere Autoritätsverachtung ist gerade in Deutschland immer noch etwas Besonderes, wird als unpassend oder ungehörig rezipiert. Von diesem Kribbeln lebt der Witz. Im Umkehrschluss ist aber auch zutreffend, dass gerade die Tatsache, dass es notwendig ist, sich an den führenden Politikern antiautoritär abzuarbeiten, noch immer deren tatsächliche Autorität und Bedeutung bestätigt.
Was denn nun – Quatsch oder Aufklärung? „Vielleicht“, so relativiert Gäbler, bedeute es „eine Überforderung der Satire, hohe Erwartungen hinsichtlich nachhaltiger Aufklärung zu hegen“. Die Satire sei im Wesentlichen eine Zweitverwertung des Journalismus. Sie verarbeitet, was journalistisch bereits aufbereitet wurde. Dennoch sei Satire mehr als eine abhängige Variable des Journalismus. „Sie kann ihn ergänzen, aber auch herausfordern. Sie kann zuspitzen, die Perspektive wechseln, harsche moralische Urteile sprechen, über die Welt lachen oder an ihr verzweifeln. Im besten Fall also fußt Satire nicht nur auf Journalismus, sondern ist ihrerseits eine Ergänzung und eine Herausforderung für den Journalismus.“
Und sie hat großes aufklärerisches Potential
Wer jedoch Satire statt Journalismus rezipiere, habe „etwas nicht verstanden“. „Die Parodie einer Nachrichtensendung ist nicht die bessere News-Sendung. Im Idealfall ist die Satire ein mittleres Glied in einer Kette des Verstehens. Zumeist muss man schon vorab informiert sein, um richtig lachen zu können. Und meist müsste man noch mehr wissen, um nicht nur lachen zu können.“ Viele Zuschauer der „heute show“ machten ansonsten einen Bogen um politische Informationen. Für sie könne die „heute Show“ tatsächlich zur „Einstiegsdroge“ werden, mutmaßt der Medienwissenschaftler. Der Kern sei: „Satire braucht Anschlusskommunikation.“ Ihr Quatsch sei nicht per se Aufklärung, räumt er ein, beharrt aber auf der Bewertung, die „heute show“ habe großes aufklärerisches Potenzial“.
Ein gewagtes Urteil aus der Feder desjenigen, der selbst zumindest als Randbemerkung formuliert: „Ob Satire den Blick schärft, hängt auch vom Blick ab.“ Die Anschlusskommunikation, die Gäbler vorschwebt, könnte gewiss einen Beitrag zur politischen Bildung leisten. Offen bleibt jedoch die Frage, ob die „heute show“ zu solcher Vertiefung motiviert, oder aber ihr Publikum in der Abstinenz politischer Berichterstattung noch bestärkt.
Bildquelle: Screenshot „heute Show“ 30.9.3016
Vielen Dank für den schönen Artikel, den ich gern gelesen habe. Satire sollte man nie zu ernst nehmen. Sie trifft nicht immer jedermanns Geschmack. Damit muss sie leben. Satire muss überteiben und darf alles. Das ist meine Meinung.
Schöne Grüsse aus Osnabrück