Die Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern sorgt für Aufsehen. Auch wenn es vor der Wahl im Grunde klar war, dass die rechtspopulistische AfD aus dem Stand den Sprung in den Landtag in Schwerin schaffen würde, aber dass die Partei mit ihren dumpfen Parolen gegen Flüchtlinge und überhaupt gegen alles Fremde die mitregierende CDU auf Platz drei verdrängen würde, ist eine Sensation oder besser eine Klatsche für die Union. Und dies im Land der Kanzlerin und Parteivorsitzenden Angela Merkel. Wir schaffen das? Es wird wohl reichen für die erneute Bildung einer großen Koalition, aber ein „Weiter so“ kann es nicht geben.
Ängste der Menschen aufnehmen
Die Wahl im Nordosten der Republik hat gezeigt, dass die Mehrheit der Deutschen mit der Antwort der etablierten Parteien auf die Herausforderungen der Flüchtlingskrise, also vor allem der CDU und der SPD, aber auch der Grünen und der Linken, die ja in Ländern mitregieren, nicht einverstanden ist. Angela Merkel, Sigmar Gabriel und die anderen führenden Köpfe der anderen Parteien müssen sich überlegen, wie sie die Ängste der Menschen aufnehmen wollen. Sie sollten auch darüber nachdenken, dass eine große Koalition nur ein Ausweg aus einer schwierigen Situation sein kann, sie darf nicht zum Normalfall werden. Das schwächt beide, CDU und SPD. Wir brauchen eine starke Opposition, das Geschäft darf man nicht der AfD überlassen, da sie ohnehin nur Protest, aber kein konstruktives Programm zu bieten hat.
Die SPD in Mecklenburg-Vorpommern kann aufatmen. Trotz herber Verluste bleibt sie stärkste Partei und wird wie bisher mit Erwin Sellering den Ministerpräsidenten stellen. Aufatmen kann in diesem Sinne die CDU wohl kaum, auch wenn Sellering, der SPD-Regierungschef, mit der Union weiter regieren sollte. Lorenz Caffier muss sich fragen, ob er und seine Innenminister-Kollegen der Union nicht der AfD geholfen haben, indem sie u.a. für ein Burka-Verbot eintraten. Die Verluste der CDU sind heftig, zumal in der Heimat der Kanzlerin. Den Menschen reicht das „Wir schaffen das“ nicht, sie wollen wissen, wie es weitergeht, wie es mit ihnen weitergeht. Die Sorgen der Menschen in Mecklenburg-Vorpommern dürfen der AfD nicht weiter die Wählerinnen und Wähler zutreiben.
Bitter für viele und enttäuschend
Das Wahlergebnis war bitter für viele, enttäuschend für nicht wenige, erfreulich, dass die NPD nach zehn Jahren nicht mehr dem Landtag angehört. Ihren Platz nimmt um so stärker die AfD ein. Dass ausgerechnet im Nordosten, wo die Zahl der Flüchtlinge so gering ist, dass man sie fast persönlich kennt, dass es kaum eine Burka-Trägerin gibt, dass ausgerechnet in diesem schönen Flecken Erde mit der Angst vor Überfremdung und dem Islam Wahl-Propaganda gemacht werden und eine Partei so viele Stimmen einfangen konnte, ist erschreckend. Und das in einer Zeit, in der die Zahl der Anschläge auf Flüchtlingsheime in die Höhe schnellte, in der es mehr Angriffe auf Asylbewerber und überhaupt Ausländer gab als je zuvor.
Warum so viele Wählerinnen und Wähler für die AfD gestimmt haben? Erste Analysen weisen auf große Enttäuschungen mit den Volksparteien SPD und CDU hin. Auch wenn man darüber leicht den Kopf schütteln kann. Schließlich brummt auch in Mecklenburg-Vorpommern die Wirtschaft, ist die Arbeitslosigkeit halbiert worden. Aber es gibt einen bestimmten Grad an Unzufriedenheit, dem man nachgehen muss. Mag sein, dass sich das eine oder andere Dorf im Grenzbereich allein gelassen fühlte mit den Problemen, mag sein, dass man verärgert ist, weil es in Dörfern gewisse Service-Leistungen wie den regelmäßigen Busverkehr und Geschäfte für den täglichen Einkauf nicht mehr gibt. Mag sein, dass sich einige abgehängt fühlen. Darüber nachzudenken, wie man diesen Frust abbauen kann, dafür sind Politiker auch da.
Stimmen mit Parolen gegen Flüchtlinge
Es ist erstaunlich, ja beschämend, wie in Deutschland mit Parolen gegen Flüchtlinge Stimmen geholt werden. In einem Land, dessen Bürger in alle Welt fliegen, um Urlaub zu machen. Aber schon eine Sinus-Studie vor über 30 Jahren hatte ergeben, dass mindestens 15 Prozent der Bundesbürger für nationale bis nationalistische Strömungen anfällig sei. Ein Umstand, der offensichtlich bis heute anhält. Zufriedengeben sollten wir uns damit nicht, auch wenn in vielen Ländern der EU, zum Beispiel in Frankreich, Ungarn oder in Österreich rechtspopulistische Gruppen auf dem Vormarsch sind. In Deutschland muss man das anders gewichten, gerade vor dem Hintergrund unserer schweren Geschichte, der wir uns seit Jahren stellen, mit der wir uns auseinandersetzen.
Das Ergebnis in Schwerin hat, wie erste Reaktionen aus dem Berliner CDU-Lager ergaben, die Union getroffen. Da wird der Eindruck erweckt, als könnte sich daraus eine Personaldebatte ergeben, da werden plötzlich Fragezeichen denkbar hinter einer weiteren Kandidatur der Kanzlerin, die sich erst im nächsten Jahr erklären will, und deren Politik, gerade in der Flüchtlingsfrage, seit einiger Zeit nicht mehr unumstritten ist, nicht mal in der eigenen Partei. Horst Seehofer, der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident, wird die Wähler-Analyse sorgfältig beobachtet haben, er wird registriert haben, dass die Anhänger der Union auch außerhalb von Bayern gern mehr CSU hätten.
Ein ernsthaftes Problem
Nur 24 Prozent der AfD-Wähler haben ihr Kreuz bei dieser Partei gemacht aus Überzeugung, die Mehrheit von ihnen hat es aus Enttäuschung über die anderen Parteien getan. „Wir haben ein ernsthaftes Problem“, bekannte der Linken-Politiker Dietmar Bartsch. Wenn 75 Prozent der Wählerinnen und Wähler aus Protest einer Partei die Stimme geben, sollte das die anderen Parteien alarmieren. In 14 Tagen wird in Berlin gewählt, im nächsten Jahr im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW und etwa in einem Jahr folgt die Bundestagswahl.
Und trotzdem: Mecklenburg-Vorpommern war keine Schicksalswahl, wie der Berliner Tagesspiegel am Sonntag Angela Merkel zitierte. Mit solchen verbalen Spielen wird die AfD unnötig hochgeschrieben. Richtig ist: Mehr als 25 Jahre nach der deutschen Einheit gibt es nicht nur im Osten noch viel zu tun. Die Parteien müssen beweisen, dass sie verstanden haben, was am Sonntag in Schwerin passiert ist.
Bildquelle: Wikipedia, Martin Kraft, CC BY-SA 3.0