Manchmal kann man es doch: rechts und links verwechseln. Gerade wird zu großen Demonstrationen gegen die Freihandelsabkommen mit Kanada und USA am 17. September (u.a. in Berlin und in Köln) aufgerufen, da meldet sich doch die AFD und will mit demonstrieren. Die sind auch dagegen, ebenso wie Ver.di, Brot für die Welt, Linkspartei, Jusos und viele andere mehr.
Und schon geht die Debatte los über Beifall von der falschen Seite, über Leute, mit denen man nicht zusammen gesehen werden will undsoweiterundsofort. Als ob dadurch rechts und links verwechselbar würde. An den großen Friedensdemonstrationen der 80er Jahre haben auch (durchaus gewaltbereite) „Antifas“ und moskautreue Kommunisten teilgenommen, mit denen die meisten Demonstranten sonst nichts zu tun haben wollten. Auch jetzt wäre es besser, die winzige punktuelle Übereinstimmung zu beschweigen, statt den Rechtspopulisten wieder noch mehr Aufmerksamkeit zukommen zu lassen.
Wenn die Rechte die Agenda der politischen Debatten mitbestimmt, so kann sie das nicht allein, alle helfen mit. Ständige Abgrenzungsbemühungen, wohlfeile Empörungsbereitschaft und andere Erscheinungsformen beeinträchtigten Selbstbewusstseins behindern demokratische Nüchternheit und spielen den „Populisten“ in die Hände. Oder umgekehrt: begründbare Meinungen werden verschwiegen, wenn auch Rechte sie teilen. Beispiel: Wenn wegen der islamophoben Debatte, die die „Rechtspopulisten“ losgetreten haben, die linke Kritik an der Vollverschleierung unterbleibt. („Jetzt kann man sich nicht einmal mehr über den Niqab aufregen“).
Hängen politische Entscheidungen, wie die für TTIP und CETA, Rechtspopulismus und Islamophobie irgendwie zusammen? Vermutlich schon: TTIP wird eine längere Reihe politischer Selbstfesselung oder gar Selbstentmachtung – die Kehrseite der „Befreiung“ der Märkte und des Handels – fortsetzen, die am Ende für den Eindruck vieler Menschen verantwortlich sind, dass sie von den gegenwärtigen politischen Eliten nichts mehr zu erwarten hätten. Das „System“ ist zu komplex. Das stört aber nur, weil der allseitige Nutzen dieses Systems für die Menschen nicht mehr erkennbar ist.
1. TTIP & CETA:
Es ist folgerichtig, dass auch entwicklungspolitisch Engagierte gegen diese Abkommen sind, denn es wird in gewisser Weise um ein Abkommen zu Lasten Dritter werden, der früher so genannten Dritten Welt nämlich. Denn wer nicht zu TTIP gehört, dem wird der Handel schwerer und teurer gemacht, als denen, die das Abkommen geschlossen haben werden. Das sind so ziemlich die Reichsten dieser Erde. Aber auch für Demokraten sind die Abkommen – soweit man sie kennt – extrem problematisch. Es geht darum,ob der undemokratische, komplexe Markt, auf dem für den freien Handel alle Hindernisse ausgeräumt werden, unsere Lebensweise beherrschen soll oder die (immerhin noch) demokratisch legitimierte Politik, die außer profitablem Handel auch noch Stabilität, sozialen Zusammenhalt, Gerechtigkeit, kulturelle Vielfalt, Freiheit der Kunst und ähnliche „weiche Faktoren“ bei der Gestaltung des Zusammenlebens im Blick halten kann und soll. Lange habe ich daran geglaubt, dass sich Soziale Marktwirtschaft von der marktradikalen Wirtschaft dadurch unterscheide, dass in ersterem Fall die Wirtschaft für die Menschen da sei, während es bei letzterem genau umgekehrt ist. Zwar sind wir schon weit fortgeschritten in der Entwicklung, dass das, was hierzulande noch Soziale Marktwirtschaft heißt, sich bereits in marktradikale Wirtschaft verwandelt (unsere Kanzlerin nennt das Ergebnis der Verwandlung übrigens „marktkonforme Demokratie“…), aber mit den beiden Freihandelsabkommen wäre diese Entwicklung praktisch unumkehrbar geworden.
2. Die Rechtspopulisten
Am 23. Juni präsentierte Dr. Nikalaus Kowall vom Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung vor einem Gesprächskreis der Friedrich-Ebert-Stiftung eine Untersuchung über die FPÖ, die berüchtigten „Freiheitlichen“ in der benachbarten Alpenrepublik. Das Ergebnis ist für Unkundige überraschend: die sind dort erstaunlich sozial und sehr kritisch gegen Banken und Konzerne, überhaupt gegen „die da oben“, die unter dem Schmähwort „Schickeria“ zusammengefasst werden. Sollten die deutschen Rechtspopulisten eines Tages so schlau werden, den Sozialdemokraten hierzulande die Überzeugungen und Motive August Bebels und Ferdinand Lasalles zu entreißen (falls es die dort nach dem sog. Dritten Weg noch gibt) und mit ihrem nationalistischen und fremdenfeindlichen Kram zusammen zu rühren, könnte ein Herr Hofer hier ähnlich dicht vor dem Kanzleramt stehen, wie jetzt vor der Wiener Hofburg. Es ist nicht genug Zeit, um sie mit der Hoffnung zu verplempern, das werde schon so nicht kommen. Vielmehr muss man dem zuvor kommen – aber nicht den rechten Platz müssen wir denen streitig machen sondern die Mitte und den linken Platz müssen Demokraten endlich wieder so stark besetzen, dass die Rechtspopulisten dsich nicht hineindrängen können.
3. Islamophobie
Die Vollverschleierung von Frauen ist in freien, liberalen, individualistischen Gesellschaften so radikal gegen die Norm, wie nackte Haut auf saudi-arabischen Straßen. Das gilt auch, wenn Rechtspopulisten – aus vielleicht anderen Gründen – dieselbe Auffassung haben. Eine Farce ist hingegen das Getue um den Burkini, einen Ganzkörperbadeanzug, der es muslimischen Frauen ermöglicht, überhaupt am Leben in Schwimmbädern und an Stränden teil zu nehmen. Das zu verbieten kommt islamophoben, ja sogar islamfeindlichen Verhalten sehr nahe. Die Absurdität, eine Frau am Strand polizeilich zu nötigen, sich weiter zu entkleiden, als sie es selbst für zumutbar hält, ist wohl nach Klarstellungen durch die französische Justiz in Zukunft ausgeschlossen, der Grundgedanke, islamischer Religionsausübung irgendwelche Grenzen zu setzen, ist dadurch aber nicht aus der Welt. Das ist lächerlich! Die einzige Möglichkeit zum friedlichen Zusammenleben unterschiedlich Gläubiger ist praktizierte Religionsfreiheit. Gleichwohl ist die Vollverschleierung unakzeptabel. Empfohlen sei zur näheren Begründung die Stellungnahme von „Terre des Femmes“ unter www.frauenrechte.de und der Rubrik Themen und Aktionen.
Es läuft im heutigen politischen Streit alles auf ein Thema hinaus, dass zu oft beschwiegen wird und zudem vom scheidenden Bundespräsidenten leider ziemlich verhunzt worden ist: Die Freiheit.
Was bilden sich Menschen ein, anderen – weit über die gesetzlichen Regeln des Zusammenlebens hinaus – Vorschriften zu machen, was sie lesen, sehen, essen, anziehen dürfen, wann und zu wem sie zu beten haben, und zu bestimmen, welche Herkunft und Hautfarbe und welche Spielarten von Sexualität diskriminiet weden dürften? Solche Allmachtsansprüche der Fundamentalisten – egal ob von Rechten oder von Religiösen – werden inzwischen kommentarlos hingenommen. Statt aufklärerische Einsichten, humanitäre Schlussfolgerungen aus der Geschichte von Kriegen und Verbrechen zu vertreten und für sie einzutreten, können sich jetzt auch rechte Fundamentalisten auf die hohle Phrase von „unseren Werten“ berufen – eben weil sie hohl ist und alles abdecken kann.
Die Gefährdung der Freiheit beginnt aber schon früher und gründlicher, wenn nämlich eine freiheitliche Gesellschaft vor lauter materieller und sozialer Ungleichheit auseinanderfällt. Die demokratische Macht, die Freiheit sichern soll, wird dann zum anonymen „System“ und von „Wutbürgern“ und mitlaufenden Unzufriedenen für obsolet erklärt. Aber es gibt bisher kein anderes „System“, das Freiheit zum Ziel hat. Wenn aber die Demokratie wegen der wachsenden Ungleichheit (und wegen Selbstfesselung durch Verträge wie TTIP ) nicht mehr kann und die Bürgerinnen und Bürger dementsprechend nicht mehr wollen, verschwindet die Freiheit als erstes.
Freiheit ist stets und zuerst die Freiheit von Not und Unterdrückung. Minderheiten und Andersdenkende sind stets die ersten Opfer von Unterdrückung. Die Möglichkeit in einer Gesellschaft ohne Angst verschieden sein und unterschiedlich leben zu können, ist eine erfüllbare Vision. Statt uns ihr weiter anzunähern, setzen wir sie heute aufs Spiel.
Es ist die Freiheit der Religion ebenso wie die Freiheit von Not und Unterdrückung, die Freiheit der Entscheidung, der Meinung und der Medien, die Freiheit der Kunst und die Freiheit, dass NIEMAND wegen seines Geschlechts, seiner Herkunft, Rasse, sexuellen Orientierung diskriminiert werden darf, dass Frauen und Männer gleich sind – und zwar nicht nur, wenn man es als Argument gegen Islamisten oder für Kriegseinsätze braucht.
Diese Freiheit ist auch vom Terrorismus bedroht, viel gefährlicher werden ihr aber die Angst, die schließlich der Sicherheit den Vorrang gibt, die Angst aller Verunsicherten vor fremdartigen Lebensweisen, der Mangel an Selbstbewusstsein, dass Freiheit letztendlich attraktiver ist als alle religiösen oder politischen Dogmen und Fanatismen.
Die Frage nach der Freiheit und dem Schutz von Minderheiten hilft übrigens auch beim Unterscheiden zwischen rechts und links – auch wenn es in tagespolitischen, sozialpolitischen oder handelspolitischen Fragen einmal Übereinstimmungen gibt.