Man kann nicht sagen, dass die Essener SPD besonders gut dasteht, man kann nicht sagen, dass die Essener SPD geschlossen ist, für ein und dieselbe Sache kämpft. Nein, das kann man wirklich nicht behaupten. Eher trifft das Gegenteil zu. Die Genossen mitten im Revier, in Essen, was früher mal die Einkaufsstadt im Westen war, haben mal wieder mit einer Affäre zu kämpfen. Das Fehlverhalten ihrer Bundestagsabgeordneten Petra Hinz, die seit 2005 im Berliner Bundestag sitzt, wirft ein grelles Licht auf die SPD in der Ruhrgebiets-Metropole. Denn es ist nicht nur die Unwahrheit der Frau Hinz zu beklagen, die ihren Lebenslauf geschönt hat, um es moderat auszudrücken. Nein es ist auch zu fragen: Wie konnte es passieren, dass Frau Hinz vorgab, ein Abitur abgelegt zu haben, was sie nachweislich nicht hatte, wie konnte es passieren, dass sie angab, beide juristische Staatsexamina abgelegt zu haben, was ebenfalls erfunden war. Und keiner will das gewusst haben? Inzwischen weiß man: Viele haben es geahnt, der Schwindel war ein „offenes Geheimnis“ in der SPD in Essen.
Die Frau hat gelogen, die eigene Partei angelogen und sich doch damit wohl den Weg in den Bundestag zumindest erleichtert. Oder? Otto Reschke, langjähriger SPD-Bundestagsabgeordneter, gilt als Förderer der Frau in der Politik. Er hat nichts gewusst von den falschen Lebenslauf-Daten von Frau Hinz? Und wenn es mehrere gewusst haben, was inzwischen hinter der Hand zugegeben wird, warum haben sie geschwiegen? Sowas kommt doch raus und dann ist derjenige, der gemogelt hat, geliefert, ist seine berufliche Existenz nicht nur gefährdet, sie ist buchstäblich im Eimer, wie man im Revier zu sagen pflegt.
Blick in Kürschners Handbuch
Ein Blick in Kürschners Volkshandbuch Deutscher Bundestag-ich habe nur die 114. Auflage vorliegen, also die Daten der Parlamentarier der 17. Wahlperiode, 2009 bis 2013, Stand 1. Januar 2010. Grundlage aller Daten ist die persönliche Abfrage bei den Abgeordneten. Da heißt es neben dem Foto von besagter Politikerin: „Petra Hinz; Juristin; 45149 Essen…1984 Abitur…1985/95 Studium Rechts- und Staatswissenschaften, Abschl. 1. Und 2. Staatsexamen…1995/99 freiberufliche Juristin, 1999/03 Juristin im Management eines Konzerns im Bereich Immobilien…2003/05 als Juristin freiberufl. im Krisen- und Projektmanagement. ..1989/05 Mitgl. im Rat der Stadt Essen…MdB seit 2005.“
Es bleibt doch nichts verborgen
Wo hat sie das Abitur abgelegt, wo hat sie studiert? Haben ihre Nachbarn in Essen nicht gemerkt, dass das alles erfunden war? Es bleibt doch nicht verborgen, wenn eine Frau Hinz plötzlich als Juristin auftaucht und Karriere in der Essener SPD macht. Der Ortsverein der SPD ist, auch wenn er über viele Mitglieder verfügt, durchaus überschaubar. Der Vorsitzende der SPD Essen, NRW-Justizminister Thomas Kutschaty, will erst am 19. Juli davon erfahren haben, dass seine Stellvertreterin im Essener Parteiamt, die Öffentlichkeit seit 30 Jahren belogen hat. Wörtlich zitiert ihn Jürgen Zurheide, ein journalistischer Kenner der politischen Dinge im Revier, abgedruckt im Berliner „Tagesspiegel“: „Als ich das las, traute ich meinen Augen nicht.“
Kutschaty ist erst seit wenigen Monaten SPD-Chef von Essen, Hinz, seine Stellvertreterin, vertritt den Wahlkreis im Essener Süden, einer feineren Gegend, in Berlin. Sie hat den Wahlkreis direkt gewonnen und wollte wohl 2017 wieder kandidieren. Und in dieser Phase tauchten dann, so schreibt Zurheide weiter, „Berichte über ihren schlechten Umgang mit ihrem Büroteam in Berlin auf.“ Und am Ende habe sie zugeben müssen, dass sie ihr Abitur wie auch die Examina schlicht und einfach erfunden hat.
Mitarbeiter schlecht behandelt
Das mit dem Umgang ihrer Mitarbeiter wird längst von anderen Seiten bestätigt. Ziemlich rüde sei sie gewesen, herrisch, berichtet jemand, der selber lange im Umfeld der SPD-Bundestagsfraktion tätig war. Dass sie ihre Mitarbeiter drangsaliert habe, wird ihr vorgeworfen, sie haben einen richtigen Mitarbeiterverschleiß gehabt, und dann wird die Frage gestellt: Hat Fraktionschef Thomas Oppermann nichts davon gewusst?
„Ratlos in Essen“, titelt die „Süddeutsche Zeitung“ ihre Geschichte über den Fall Hinz. Und zitiert den früheren SPD-Ortsvereinsvorsitzenden von Essen, Dieter ten Eikelder, der in der „WAZ“ darauf hingewiesen habe, schon in den 80er Jahren habe es Gerüchte in der Partei gegeben, Hinz gebe sich als Studentin aus, obwohl sie gar nicht studiere. Warum hat da niemand mal recherchiert? Und dann kommt eine der umstrittensten Gestalten der SPD in Essen, Willy Nowack, zu Wort. Nowack war einst Fraktionschef der SPD im Rat der Stadt, er saß im Landtag und hatte glänzende Kontakte in die Führungsspitze der SPD im Bund und im Land. Nowack war bei einigen Genossen gefürchtet, weil er der Macher und Lenker der SPD in Essen war und im Grunde über alles, was wichtig war in den Jahren, mindestens mitentschied. Und dieser Nowack sagt in der SZ: „Es gab immer Zweifel und Gerüchte über die berufliche Qualifikation von Petra Hinz.“ Nowack wurde einst wegen Insolvenzverschleppung verurteilt, er saß im Knast.
Die Kämpfe in der Essener SPD
Die Essener SPD, das ist eine Geschichte für sich. Die Mehrheit in Essen hat die SPD bei der letzten Kommunalwahl wieder mal verloren, durch eigenes Verschulden. OB Reinhard Paß, der bei seiner Wahl 2009 immerhin 46,1 vh der Stimmen erzielt hatte, wurde öffentlich von seiner „Parteifreundin“, der Landtagsabgeordneten aus Essen, Britta Altenkampf, bescheinigt, er sei „die falsche Person für dieses Amt.“ Dass man so keine Wahlen gewinnen kann, wundert niemanden. Im Chefsessel der Stadt sitzt ein CDU-Politiker.
Petra Hinz hat angekündigt, ihr Mandat zurückzugeben. Das muss sie schon freiwillig tun, weil freigewählte Abgeordnete des Bundestages nicht zum Mandatsverzicht gezwungen werden können, sie müssten dann schon eine schwere Straftat begehen, ein Verbrechen wie Drogenhandel oder Raub, das mit einer Mindeststrafe von einem Jahr auf Bewährung belegt ist. Der Abgeordnete müsste also rechtskräftig verurteilt worden sein, sonst geht nichts. So steht es im Bundeswahlgesetz. Und bisher ist in der Geschichte der Bundesrepublik keinem Abgeordneter auf diesem Wege sein Mandat entzogen worden. Und Petra Hinz hat zwar ihren Lebenslauf gefälscht, aber strafrechtlich hat sie sich nichts zu Schulden kommen lassen. Und da sie auch nie den Titel „Rechtassessorin“ geführt hat, ist sie auch nicht wegen Titelmissbrauchs zu belangen. Und dass sie ihre Partei und die Wähler getäuscht hat, ist eine andere Sache. Das kann man ihr vorwerfen, anständig ist das nicht gewesen.
Viele Bürger sind empört
Der Fall Hinz und das offensichtliche Hinauszögern ihres Mandatsverzichts empören viele Bürger. Diesen Ärger bekommt zunächst die Essener SPD zu spüren. Wie es heißt, hat eine ganze Reihe von Mitgliedern die SPD verlassen. Frau Hinz hat sich krank gemeldet und wird bis auf weiteres ihre Diäten in Höhe von rund 9327,21 Euro und die Unkostenpauschale von 4300 Euro im Monat kassieren. Und selbst wenn sie freiwillig ausscheidet, bekommt sie, so ist die Rechtslage, Übergangsgeld für einige Zeit. Petra Hinz will sich zu einem späteren Zeitpunkt äußern.
Ihre Ämter in der SPD hat sie niedergelegt, aber das Mandat des Bundestages behalten. Der Essener SPD-Parteiführung sind die Hände gebunden. Man verstehe den Ärger an der Basis, könne aber außer Bitten und Drängen nichts machen, die Abgeordnete müsse schon freiwillig ihr Mandat zurückgeben. Der Ball liege jetzt nicht mehr in unserem Spielfeld, hat Kutschaty gesagt. Im September werde sich die Bundestagsfraktion mit der Causa Hinz befassen.
Justizminister unter Druck
Kutschaty steht unter Druck. Die Angelegenheit ist längst zu einer Affäre ausgewachsen, die die SPD betrifft und der ganzen Partei schadet. Er steht auch unter Druck, weil Äußerungen von Nowack seine Aussage“ Ich habe ein reines Gewissen“ zumindest in Zweifel ziehen. Nowak zufolge, so schrieb die „Zeit“, habe die Führung der Essener SPD die gefälschte Vita von Petra Hinz gekannt. Auch Äußerungen von Britta Altenkamp lassen darauf schließen, dass der getürkte Lebenslauf von Frau Hinz in der Essener SPD ein offenes Geheimnis war. „Viele aus meiner Juso-Generation haben nie ihr Studium beendet“, so Altenkamp in der „Zeit“. Und Nowack assistierte: „Natürlich wurden bei uns auch Karrieren gemacht, indem Lebensläufe arg geschönt wurden.“
Die Rechtsanwältin Birgit Rust, die jahrelang in der SPD aktiv war, verweist zudem auf die Art und Weise der politischen Arbeit von Hinz. Wörtlich sagte sie in der „Zeit“: „Es muss jedem klar gewesen sein, dass es zeitlich gar nicht möglich war, so Kommunalpolitik zu betreiben, wie Petra es getan hat, und gleichzeitig zwei Staatsexamina zu machen.“ Auch sie selbst habe früh Zweifel an der Glaubwürdigkeit ihrer Parteikollegin gehabt. Am Ende habe sie die Sache auf sich beruhen lassen.
Man kann über diese Affäre nur den Kopf schütteln. So geht Glaubwürdigkeit, das höchste Gut für einen Politiker, verloren. Dass die Basis der SPD wütend ist nicht nur über Hinz, sondern längst über die ganze Partei, darf nicht verwundern. Im Mai nächsten Jahres wird ein neuer Landtag in NRW gewählt.
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