Was sich am Freitag in München abgespielt hat, machte den Fernsehzuschauer zunächst ratlos. Dann war er geschockt, manchen packte die Angst, dass sowas auch in München, dieser schönen Stadt, passieren kann. Und einige in München selber gerieten in Panik, weil sich durch Falschmeldungen im Internet die Stimmung hochschaukelte und die Menschen am „Stachus“ plötzlich glaubten, auch mitten im Zentrum der bayerischen Metropole werde geschossen.
Dass es nur einen Einzeltäter gab, mag den einen oder anderen beruhigen, weil es eben kein terroristischer Anschlag war. Für die Hinterbliebenen machte es das Leid nicht geringer. Sie hatten jemanden verloren, den sie liebten, mitten aus dem Leben gerissen wurden junge Menschen von einem 18jährigen. Ein Deutsch-Iraner, der in München geboren wurde und dort aufwuchs, der in der Schule gnadenlos gemobbt worden war, wie man jetzt nachlesen kann, und der sich auf seine brutale Weise an anderen jungen Menschen, die er gar nicht kannte, rächte. Was für ein Wahnsinn! Mitten in München.
Mit Flüchtlingen hat die Tat nichts zu tun
Dass die Polizei später betonten musste, die Horror-Tat habe nichts mit Flüchtlingen zu tun, machte das Unheil auch nicht besser, zielte aber in die rechte Ecke, die relativ schnell ihr Urteil über das Geschehen parat hatte: Die Willkommenskultur von Angela Merkel sei hiermit beendet. Was hat die Tat des Deutsch-Iraners damit zu tun? Nichts. Die Reaktion aus der AfD-Ecke zeigt nur, wie abstoßend, ja ekelhaft hier versucht wird, sein politisches Süppchen zu kochen- selbst in solchen Stunden. Und zwar ohne Rücksicht auf den wahren Hergang der Tat.
Ein Amoklauf in München mit zehn Toten. David S., der Täter, habe sich auf diese Untat vorbereitet, habe einschlägige Literatur zum Thema Amok gelesen, berichtet die Polizei. Möglich, dass er ein Vorbild hatte in dem rechtsextremen norwegischen Massenmörder Anders Breivik, der just vor fünf Jahren in Oslo und auf der Insel Utoya 77 Menschen umgebracht hat. Breivik tötete ganz bewusst junge Sozialdemokraten.
Ratlosigkeit der Fernseh-Profis
Wer den Horror am Freitagabend im Fernsehen verfolgte, der sah auch die Ratlosigkeit in den Gesichtern so genannter Fernseh-Profis wie Thomas Roth und Claus Klever. Sie wussten auch nichts, waren aber auf Sendung und mussten Fragen stellen an Kollegen, die selber nichts wussten. Das ist kein Vorwurf. Ähnlich der Fernseh-Mann des bayerischen Rundfunks, der immer wieder seine Reporter fragte, die aber auch ahnungslos waren. Es war ja alles abgesperrt, nicht mal die Zahl der Toten war um 19 Uhr bekannt, niemand wusste, ob es einer oder mehrere Täter waren. Es fehlten gesicherte Erkenntnisse. Der Polizeisprecher, Marcus da Gloria Martins, wird gelobt ob der Ruhe und Sachlichkeit, die er ausstrahlte in diesen wirren Stunden. „Das kann ich Ihnen nicht sagen“, lautete eine seiner Antworten, „weil da müsste ich raten. Und das wäre hochgradig unseriös.“
Das komplette Programm über Bord zu werfen, wie das die ARD am Freitagabend tat, war richtig, trotz allem. Ich habe in der Nacht nochmal Thomas Roth gesehen, wie er im Stehen moderierte, auch er und die anderen konnten die Unsicherheit nicht verbergen. Warum auch.
Dass eine Stadt wie München, die gerade an einem Freitagabend lebt, plötzlich stillsteht, dass weder U- noch S-Bahnen verkehren, Straßen gesperrt werden, dass der Hauptbahnhof geräumt wurde, wann hat es das schon mal gegeben. In den Sonntagszeitungen wie dem Berliner „Tagesspiegel“ ist zu lesen, dass das berühmte Hofbräuhaus am Tag nach dem Amoklauf in der Früh noch geschlossen hat und erst um 12 Uhr mittags öffnet. „Weite Teile der Nacht hat die Stadt in einer Art Schockpanik verbracht“, berichtet Patrick Guyton aus München. „Es gab eine Massenpanik, die Leute dachten, dass hier auch bald einer schießt oder eine Bombe wirft“. Mit Bierkrügen hätten die Menschen die Scheiben von drinnen eingeschlagen, um rauzukommen und zu fliehen, irgendwohin. Zahlreiche Fenster der „Schwemme“, so der Reporter weiter, seien am Samstag mit Spanplatten vernagelt gewesen, Teile des Mobiliars seien verwüstet worden. Die Schwemme, das ist der Schankraum. Dutzende von Besuchern, die noch gar nicht in ihren Hotels gewesen seien, hätten ihre Koffer einfach liegengelassen, sie wollten nur raus und weg. Die Koffer seien im Hofbräuhaus gestapelt gewesen.
Luxushotel wird zur Bleibe für Schutzsuchende
Das Luxushotel „Vier Jahreszeiten“ hatte sich wie andere Orte auch an einer Aktion „offene Tür“ beteiligt, will sagen: Jeder konnte in den Stunden der Angst vor einem möglichen Terroranschlag Schutz suchen in dieser Edel-Bleibe. Rund 300 Leute seien im Vier Jahreszeiten gewesen, wird berichtet, sie hätten teils auf dem Boden gelegen, aus Tagungsräumen seien Bettenlager geworden, freie Zimmer habe man zu billigeren Preisen vermietet. Solidarität, der Zusammenhalt der Menschen ist plötzlich da- in Zeiten der Not, die aber eigentlich hier keine ist. Aber niemand weiß das.
Der Mord von München ist die Tat eines Einzelnen. Und doch denkt jeder automatisch an den Anschlag in Würzburg, als vor einer Woche ein IS-Fan mit einer Axt wütete. Und Nizza ist ja nicht lange her. Oder Brüssel. Paris. Und gerade wieder ein Anschlag in Kabul mit 80 Toten. Der Vergleich hinkt. Gewiss. Aber man hat ja in München in der Vergangenheit Terror erlebt. Man denke an das Olympia-Attentat 1972 oder den Anschlag eines Neonazis auf das Oktoberfest 1980. Der Schock sitzt nicht nur vielen Münchnern in den Gliedern.
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