Seit der Gründung der CDU haben die Vorsitzenden von Konrad Adenauer bis hin zu Helmut Kohl die Präsenz in den Kommunen als das wichtigste Fundament für ihre Partei gesehen. Viele Jahrzehnte lang dominierte die Union in den Städten und Gemeinden. Sie stellte profilierte Oberbürgermeister, Bürgermeister und Landräte, die regional und lokal wie politische Leuchttürme wirkten. Ihre Bürgernähe, die ausgeprägten Bindungen zu Kirchen, Vereinen und Institutionen vor Ort waren Garantie für gute Wahlergebnisse.
Doch seit einiger Zeit befindet sich die CDU in einem Erosionsprozess, dessen Auswirkungen bei den jüngsten Landtags- und Kommunalwahlen überdeutlich wurden. Vor allem in den Großstädten bekamen die Unionskandidaten für das Amt des Oberbürgermeisters fast “keine Schnitte“ mehr. In allen 10 größten deutschen Städten gibt es inzwischen keinen CDU-OB mehr. Und das, obwohl unter der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel immer wieder neue Anstrengungen und zum Teil auch gewagte Verrenkungen gemacht wurden, mit denen die CDU als Großstadtpartei punkten sollte. Je stadtorientierter sich die Union schmückte, umso weniger erreichte sie in den Kommunen; manches Moderne geriet so zum Ladenhüter.
Gewiss, bei der Bundestagswahl 2013 schnitt die Union mit über 40 % überraschend gut ab. Angela Merkel dominierte die Wahl. Ihr beachtlicher persönlicher Erfolg geriet dennoch nicht zu einem Triumph. Denn die FDP, ihr bevorzugter Koalitionspartner, blieb auf der Strecke. Mit den Grünen gab es nach der Wahl zwar ein kurzes Rendezvous, doch personell und vor allem auch in der Sachpolitik war die Distanz einfach zu groß. Merkel musste in den sauren Apfel der Großen Koalition beißen und mit der schmalbrüstigen SPD ein Bündnis eingehen.
Der Wahlerfolg der Bundeskanzlerin resultierte vor allem aus der Schwäche der Sozialdemokraten, die zudem mit Peer Steinbrück einen Mann als Spitzenkandidaten ins Rennen geschickt hatte, der einfach nicht zum SPD-Programm passte und mit persönlichen Eskapaden mehr Wähler verschreckte denn erreichte. Mit Sigmar Gabriel musste Merkel einen Partner akzeptieren, der trotz des mageren Wahl-Ergebnisses der SPD dennoch im Koalitionsvertrag sachpolitische Punkte festschrieb, die zuvor von der Union bekämpft worden waren – von der Rente mit 63 bis hin zum Mindestlohn. Zudem ist Sigmar Gabriel im Vergleich zu den früheren liberalen Kopiloten Westerwelle, Brüderle und Rösler ein Schwergewicht; er hat die SPD geschickt hinter sich gebracht und mit den Gewerkschaften ausgesöhnt.
Die SPD-Ministerpräsidenten sind in ihren Bundesländern akzeptiert und nehmen über den Bundesrat Einfluss auf die Berliner Politik. Das Gewicht pro SPD könnte nach den bald anstehenden Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen eher noch zunehmen. Dagegen tut sich die CDU mehr als schwer, in Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und insbesondere in Nordrhein-Westfalen wieder Fuß zu fassen: Ihre Kandidaten sind dort bislang eher politisch blasse Figuren und tun sich schwer in der Rolle der Opposition gegen die SPD, die eben im Bund Merkels Partner ist.
Die CDU verfügt zur Zeit auf der Landesebene nur über wenige Persönlichkeiten, die mit Charisma, Fachkenntnissen, politischen Ideen und großer programmatischer Attraktivität Menschen faszinieren könnten. Dasselbe ist in den Kommunen der Fall, wo bürgernahe Persönlichkeiten fehlen. Mit Regionalkonferenzen, die wie zwei Andachtsstunden mit der Kanzlerin abgehalten werden, oder mit zwei, drei Veranstaltungen, die von Spitzenpolitikern aus Berlin als Hochamt vor allem für Parteimitglieder gefeiert werden, sind Bürgerinnen und Bürger nicht mehr zu begeistern. Wie schwach die Mobilisierung inzwischen geworden ist, zeigen zum Beispiel die jüngsten Kommunalwahlen in NRW: Von rund 14 Millionen Wahlberechtigten gingen gerade 50 % an die Wahlurne. Gut 2,6 Millionen votierten für die CDU, also nicht einmal 20 % der Wahlberechtigten. Mobilisierung sieht wohl anders aus.
Mit nassen Streichhölzern ist kein Feuer zu entzünden. In den meisten großen Städten befindet sich die Union auf einer schon längeren Talfahrt. Manche Kulturrevolution, die von der CDU-Bundesspitze ausgerufen wurde, hat das Wahlvolk nicht erreicht, wurde nicht verstanden oder war lange zuvor bereits von anderen Konkurrenten inszeniert worden. Viele treue Unionswähler wissen immer weniger, was ihre Partei wirklich will, welchen Kurs sie steuert und worin sie sich noch deutlich von der SPD oder den Grünen unterscheidet. Wenn auch der CDU-Wirtschaftsflügel mit den Mittelstandsführern Carsten Linnemann und Michael Fuchs die Fahne der Sozialen Marktwirtschaft munter aufziehen und punktuell eine fast außerparlamentarische Opposition betreiben, ihren starken verbalen Aufritten folgen indessen kaum gesetzgeberische Taten, weil sie in den Reihen der Union keine Mehrheit haben und sie von Merkel wie Kauder zur Fraktions- und Koalitionsdisziplin ermahnt werden.
Die Altvorderen der Union haben immer wieder betont, dass rechts von der CDU und CSU keine andere politische Kraft entstehen darf. Mit der AfD ist dies jetzt eine Realität, die nicht durch Weggucken und Wegducken verschwinden wird. Bei der Wahl zum Europa-Parlament erhielt die AfD, die erstmals kandidierte, über 2 Millionen Wählerstimmen und damit 7 %. Viele hunderttausend Wähler, die früher für die Union votierten, wechselten zur AfD.. Und das, obwohl diese Partei über kein schlüssiges Programm verfügt, die Repräsentanten sich wie Poujadisten gerieren und die innerparteilichen Querelen für mehr Schlagzeilen sorgen als konkrete politische Aussagen.
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt – noch ist die Führung der Union anderer Ansicht. Mit Fakten und Daten sowie guten Argumenten könnten die meisten potenziellen Wähler der AfD zumindest nachdenklich und vielfach zurückgewonnen werden, denn Lucke, Starbatty, Henkel & Co. sind eher politische Blindgänger und Wolpertinger, die jedoch Protestwähler, Enttäuschte, Sektierer, Rechtskonservative, Altliberale usw. anlocken.
Gegen das Ausfransen, gegen manchen Verdruss in der Mitte der Gesellschaft und in der Wirtschaft muss die Union möglichst rasch mit klaren Konzepten und klugen Köpfen zu Felde rücken. Früher an später denken und Vorbeugen ist besser als Heilen – Frau Doktor Merkel sollte mit der Therapie für die CDU bald beginnen und die CDU aus der babylonischen Gefangenschaft der Großen Koalition befreien. Eine Partei ohne scharfes Profil wird auf Dauer nur noch flach spielen, aber wie schon in den Ländern und Kommunen mehr oder weniger hoch verlieren.
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