Die Türkei ist seit 1952 Mitglied der Nato, des nordatlantischen Militärbündnisses. Es heißt immer wieder, die geographische Lage des Landes mache die enorme Bedeutung Ankaras für die Sicherheit des Westens aus. Die Türkei mit ihren 78,6 Millionen Einwohnern liegt an der Schnittstelle zum Nahen Osten und zur früheren Sowjetunion. Und deshalb glaubt Erdogan, er könne sich alles erlauben, weil der Westen eben das Land am Bosporus dringender braucht als umgekehrt?
Den Militärputsch haben die politischen Führer des Westens unisono verurteilt. Erdogan ist schließlich demokratisch gewählt, was aber nicht bedeuten darf, mit den Putschisten alles machen zu dürfen, was sich der Allmächtige in Ankara so ausdenkt. Allein der Gedanke, die Todesstrafe wieder einführen zu wollen, um die Putschisten zu erledigen, demonstriert, wie maßlos Erdogan und seine Freunde denken. Die Putschisten gehören vor Gericht. Das ist ja gerade die Stärke des Rechtsstaates, wenn er die Rechte auch seinen vermeintlichen Feinden gewährt. Es geht um die Stärke des Rechts und nicht um das Recht des Stärkeren.
Willkür statt Recht ist der Maßstab
Erdogan scheint wild entschlossen zu sein, seine Kritiker mundtot zu machen. Das Recht im oben geschilderten Sinne scheint ihm ziemlich egal zu sein. Hauptsache er regiert und alle anderen tanzen nach seiner Pfeife. Willkür statt Recht, das ist nicht der Maßstab des Westens, das ist die Linie eines autoritären Präsidenten. Es passt ins Bild, dass der Präsident schon vor dem dilettantischen Putsch die Meinungsfreiheit eingeschränkt hat, dass die Justiz sich schweren Angriffen ausgesetzt sieht. Und jetzt hat er die Chance, die ihm der Aufstand einiger Obristen gegeben hat, dazu genutzt, Tausende Juristen aus dem Dienst zu entlassen. Und das alles darf er sich leisten, weil der Westen die Türkei im Nahen Osten dringend benötigt? Oder weil er Millionen Flüchtlinge im Lande hält, indem er die Grenzen dicht gemacht hat?
Es muss die Bündnispartner sorgen, dass der starke Mann in Ankara den Putschversuch „als Geschenk Gottes“ bezeichnet hat. Heißt doch wohl auch, das kam ihm, dem Präsidenten gerade recht, dass ein paar Generäle und andere den Aufstand probten, der glücklicherweise niedergeschlagen wurde. Ein teures Geschenk, wenn man an die viele Toten und die noch mehr Verletzten denkt. Erdogan hat eine „Säuberung“ angekündigt. Da kann einem schlecht werden. Nichts rechtfertigt eine Hexenjagd auf Kritiker der Regierung.
Man spielt mit dem Gedanken offener Grenzen
Es passt ins Bild, wenn Erdogan und seine Freunde in Ankara dem Westen, gemeint in diesem Fall wohl eher Deutschland, ausrichten lassen, dass man jederzeit die Grenzen für die vielen Flüchtlinge, die seit Monaten in der Türkei sind, öffnen könne. Was soll das? Will er uns erpressen, indem er damit droht, den Flüchtlingsstrom wieder laufen zu lassen, damit es unübersichtlich wird in der Europäischen Union, vielleicht instabil? Weil die Politik Angst vor einer noch stärkeren AfD hätte?
Es wird Zeit, dass der Westen seinem Bündnispartner in der Nato ein paar Dinge klarmacht. Was wäre denn die Türkei ohne den Einfluss des Westens, ohne unsere Wirtschaft, die Touristen? Schon jetzt ist der Anteil der deutschen Touristen in Antalya und Co um die Hälfte gesunken. Visumfreiheit wird Erdogan auf diese Art und Weise nicht erreichen. Und die Türkei entfernt sich, entfernt ein autoritärer Erdogan immer weiter von Europa weg. Der Putsch hat ihn noch mächtiger gemacht, als er es ohnehin schon war. Die westlichen Politiker müssen ihm seine Grenzen aufzeigen. Vor allem die Kanzlerin ist hier gefordert, leben doch allein in Deutschland rund drei Millionen Menschen türkischer Herkunft, etwa die Hälfte von ihnen sind deutsche Staatsbürger, die sich Sorgen machen über die Zukunft ihrer alten Heimat, zu der sie enge Kontakte pflegen, zumal einige Familienangehörige in der Türkei leben.
Zur Nato gehören nicht nur Sicherheit und Frieden, sondern auch Freiheit.
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