Im vergangenen Jahr haben Firmen aus Deutschland Waren im Wert von über 89 Mrd. € in das Vereinigte Königreich exportiert. Im Gegenzug beliefen sich die Importe von dort nach Deutschland gerade mal auf etwas mehr als 38 Mrd. €. Dieser Trend hat sich in den ersten Monaten dieses Jahres fortgesetzt: Im 1. Quartal 2016 wurden deutsche Güter für rund 23 Mrd. € nach Großbritannien geliefert und Waren für nicht einmal 9 Mrd. € aus dem Vereinigten Königreich importiert. Die deutschen Handelsbilanzüberschüsse gegenüber Great Britain fielen in den letzten Jahren entsprechend hoch aus: Sie stiegen von fast 32 Mrd. € in 2013 auf über 40 Mrd. € in 2014 und auf mehr als 51 Mrd. € in 2015.
Wenig ökonomische Folgen für die EU
Nach Frankreich und den Niederlanden ist Großbritannien zwar der drittgrößte Handelspartner Deutschlands in der EU. Allerdings machen die Ausfuhren nach GB an den gesamten deutschen Exporten in die EU gerade einmal rund 12 % aus; bei den deutschen Einfuhren aus allen EU-Ländern liegt der entsprechende GB-Anteil gerade einmal bei 7 %.
Nach dem ersten Schock über den Ausgang des Brexit-Referendums am 23. Juni hat sich die ökonomische Szenerie hierzulande zunächst einmal wieder weitgehend beruhigt. Einige Experten -auch in der Europäischen Zentralbank- schätzen etwa den negativen Einfluss auf das Wirtschaftswachstum in der Euro-Zone in den nächsten 3 Jahren auf 0,3 bis 0,5 %-Punkte. Doch liegen solche Prognosen wahrlich mehr oder weniger im britischen Nebel. Es sind vor allem die Unternehmen im Vereinigten Königreich, die sich um die weitere wirtschaftliche Entwicklung sorgen. Noch weiß nämlich niemand, wie sich Großbritanniens Ausstieg aus der EU gestalten und welche Auswirkungen der Brexit auf Wachstum, Investitionen und Arbeitsplätze haben wird.
Politisches Wirrwarr in London
Jedenfalls fürchten nicht wenige Briten Ungemach. Nicht einmal bei den stärksten Einpeitschern für den Brexit stellte sich ein Freudentaumel ein, obwohl viele doch mit falschen Daten und Zahlen, ja vereinzelt sogar mit glatten Lügen vor dem Referendum für den Austritt getrommelt hatten. Sowohl bei den Tories, die innerparteiliche Probleme mit dieser Abstimmung zu lösen versuchten, als auch bei Labour herrscht inzwischen Katerstimmung. Denn sie spüren die konkrete Gefahr, dass aus Großbritannien bald schon Kleinbritannien werden könnte. Schottland lässt grüßen und prüfen, wie man den geeigneten Weg zur Separation finden kann, um weiterhin die Vorteile der EU-Partnerschaft sichern zu können.
Out ist out ohne Privilegien
Die Staats- und Regierungschefs der anderen 27 EU-Länder haben inzwischen deutliche Signale nach London ausgesandt: Bei den anstehenden Austrittsverhandlungen kann Großbritannien nicht eine Rosinenpickerei betreiben. Es wird keine Privilegien und einen deutlichen Unterschied geben, ob ein Land in oder out der EU ist. Die 4 Grundfreiheiten der EU sind unteilbar – die Freizügigkeit beim Handel, bei den Dienstleistungen, im Kapitalverkehr und bei der freien Mobilität von Arbeitnehmern gehören zusammen. Egoistische Interessen eines einzelnen Landes dürfen nicht die Prinzipien der europäischen Gemeinschaft infrage stellen.
Attentismus der Investoren
Schon überprüfen viele Unternehmen ihre Strategie mit Blick auf den zukünftigen Status Großbritanniens. Dieser Standort wird gewiss für alle Firmen, die auf den freien Handel mit den anderen 27 EU-Staaten setzen, die ohne Zölle und nicht-tarifäre Restriktionen ex- wie importieren wollen, nicht optimal sein. Bis zum Abschluss der Austrittsverhandlungen muss das Brexit-Land mit einem beachtlichen Attentismus von Investoren rechnen und gar eine Verlagerung von manchen Unternehmen von der britischen Insel auf das kontinentale europäische Festland rechnen, denn die EU minus GB ist mit rund 450 Millionen Einwohnern nach wie vor einer der stärksten und kaufkräftigsten Binnenmärkte der Welt. Im Übrigen legen die anderen 27 EU-Staaten die Bedingungen für das weitere Miteinander fest. Großbritannien sollte sich da nichts vormachen, dass es dabei auf besonderes Entgegenkommen und Wohlwollen stoßen wird.
Steuerparadies Großbritannien?
Wie groß die Not in London offenbar bereits ist, das spiegelt sich nicht nur in dem Wirrwarr der Regierung und der Opposition wider. Der britische Finanzminister George Osborne kündigte nun sogar eine Senkung der Unternehmensteuern an, um so Firmen nach dem Brexit-Votum zu einem Verbleib im Vereinigten Königreich zu bewegen. Die Körperschaftsteuer, also die fiskalische Belastung der Unternehmensgewinne, will er von derzeit 20 auf 15 % senken. Damit würde Großbritannien als „neues Steuerparadies“ die inzwischen eingeleitete EU-Politik konterkarieren; entsprechende Gegenmaßnahmen der anderen EU-Staaten sollten wohl bald folgen. Ohnehin werden solche Steuertricks kaum verfangen, denn die allein auf der britischen Insel zu erzielenden Gewinne werden wohl wesentlich geringer ausfallen als bisher im großen gemeinsamen Binnenmarkt. Schließlich sollen in Zukunft die Erträge von Unternehmen in den Ländern versteuert werden, in denen sie anfallen und die Wertschöpfung stattfindet. Großbritannien wird also nicht viel Erfolg haben, wenn es zum zweiten Panama werden will. Der Wert des britischen Pfundes ist bereits deutlich gesunken, das Vertrauen in die Politik tief erschüttert und nun könnte der Finanzminister Osborne sein Land auf das Niveau einer Bananenrepublik bringen. Der Ukip-Führer Nigel Farage ist endlich im Orkus verschwunden; er hinterlässt nur Trümmer und Scherben. Doch bleibt die Hoffnung: God save the queen!
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