Als vor 25 Jahren im Bonner Bundestag, dem Wasserwerk, die Mehrheit der Abgeordneten für eine Verlagerung des Bundestages und Teilen der Regierung nach Berlin stimmte, machte sich auf den Parlamentsfluren bei den Fraktionsmitarbeitern Panikstimmung und Entsetzen breit: Gebrüll, Tränen und Türen knallen. Für mich, den Liveberichterstatter für das Radio, waren das ungewohnte „O-Töne“ aus dem Parlament.
Mehrheit für Berlin und Ausgleich für Bonn
Das Ergebnis nach einem emotionalen Debattentag war eindeutig: mit 338 zu 320 Stimmen, also 18 Stimmen eine knappe, aber eine Mehrheit für Berlin.
In der Rückschau wird immer wieder die Rede des damaligen Bundesinnenministers Wolfgang Schäuble als ausschlaggebend für die Mehrheit zum Berlin-Antrag bezeichnet. Emotional mag das richtig sein; tatsächlich aber war die Mehrheit für Berlin an einen Kompromiss geknüpft, ohne den es für Berlin nicht gereicht hätte: eine „faire Arbeitsteilung“ wurde zwischen Berlin und Bonn festgeschrieben. Bonn sollte „Verwaltungszentrum“ bleiben. So wurden weitgehende finanzielle Zugeständnisse und Sicherheiten für Bonn und die Region formuliert.
Heute, 25 Jahre später, hat sich vieles von dem, was im Berlin-Bonn-Gesetz als faire Arbeitsteilung festgeschrieben ist, in Luft aufgelöst. Alle Bundesregierungen verlagern weiter Stellen von Bonn nach Berlin – Bundesinnenminister de Maiziere, Verteidigungsministerin von der Leyen und Gesundheitsminister Gröhe vorne weg. Im Berlin-Bonn-Gesetz heißt es dazu allerdings: die Verlagerung von Funktionen nach Berlin „soll“ so gestaltet werden, dass insgesamt der größte Teil der Arbeitsplätze der Bundesministerien in der Bundesstadt Bonn erhalten bleibt.
Bis heute ist aus dem „ größten Teil“ nur noch ein gutes Drittel der Regierungsarbeitsplätze geworden. Rund 6500 Beschäftigte der Bundesregierung arbeiten in Bonn.
Boomtown Bonn
Der befürchtete „Untergang von Bonn und der Region“, der vor 25 Jahren die Tränen fließen und die Türen knallen ließ, ist allerdings nicht eingetreten. Im Gegenteil. Bonn ist Boomtown, die den Strukturwandel bestens bewältigt hat: aus dem 1996 bundesweit mitleidig belächelten „Fledermaussekretariat der Vereinten Nationen“ ist mittlerweile die einzige deutsche UN-Stadt Bonn, als Sitz von 18 UN-Organisationen geworden.
Über 170 Nicht-Regierungsorganisationen (NGO) haben sich nahe dem UN-Campus am Rhein niedergelassen. Bonn hat mit dem UN-Klimasekretariat einen zentralen Aufgabenschwerpunkt innerhalb der UN-Organisationen übernommen. Mit 130 Entwicklungsorganisationen, der Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) und der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist Bonn Zentrum der deutschen Entwicklungspolitik. Der World-Conference-Center-Bonn (WCCB) zählt zu den modernsten Kongresszentren in Europa. Und auch im Wirtschafts- und Dienstleistungssektor ist der Strukturwandel mit einer Positivbilanz ausgezeichnet umgesetzt: mit dem Sitz von Telekom und Deutsche Post/DHL ist Bonn im Städte-Ranking der DAX-Städte auf Platz zwei. Mit der Universität Bonn, der Hochschule Bonn/Rhein-Sieg, fünf Fraunhofer Instituten, drei Max-Planck-Instituten, dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), dem Forschungszentrum caesar, der Alanus Hochschule und vielen weiteren Einrichtungen ist die Bonner Region zu einem führenden Standorte für Forschung und Wissenschaft und Forschung entwickelt. Bonn gehört zu den attraktiven Wachstumsstädten von Nordrhein-Westfalen, die, im Gegensatz zu einer ganzen Reihe von Städten z.B. im Ruhrgebiet, die Zukunftsentwicklung sehr positiv sehen können.
Das es der Stadt am Rhein gut geht, wissen auch die 200 repräsentativ ausgewählte Bonner*innen, die gerade bei einem vom Bundesbildungsministerium initiierten „Bürgerforum Zukunftsstadt“
eine Vision für ihre Stadt entwickelten. Sie schrieben ihren Politiker*innen ins Stammbuch:„Schluss mit der Bundestadtromantik!“ – was nach Umfragen 80% der deutschen für vernünftig halten.
Boomtown Berlin
Das die Bundeshauptstadt Berlin durch den Sitz von Parlament, Bundesrat und Teilen der Regierung unbestreitbares politisches Zentrum der Republik ist, steht außer Frage. Berlin ist aber weit mehr – eine Metropole, die mit Offenheit, Toleranz und Liberalität das Gesicht Deutschlands in der Welt mit verändert hat. So ist Berlin längst weltweit Sehnsuchtsstadt für viele junge Menschen geworden. Künstler und Kreative, Start ups, und Dienstleister machen sich auf, um im innovativen Klima der Stadt ihre Ideen umzusetzen. Und die Politik? In Bonn wurde die „Käseglocke rund um das Bundeshaus“ beklagt. In Berlin hat sich da nicht viel verändert. Im Regierungsviertel zwischen Reichstag und Café Einstein ist die Käseglocke nur etwas größer geworden. Selbst der einstige Bonn-Aktivist („Initiative Ja zu Bonn!“) und Gastronom Friedel Drautzburg hat ganz schnell seinen Frieden mit der Bundeshauptstadt gemacht. Sein Lokal „Ständige Vertretung“ ist Umsatzmagnet mitten im Zentrum der Stadt. Die vor 25 Jahren geäußerten Befürchtungen, das sich die Politik aus der „Zentrale Berlin“, wie schon einmal in unserer Geschichte in eine falsche Richtung entwickeln kann, haben sich nicht bestätigt. Das wiedervereinigte Deutschland ist mit seiner Hauptstadt im Reinen.
Kommunalpolitische Klischees und Schützengräben an Spree und Rhein
Die hochemotionale Debatte des Jahres 1991 ist längst Geschichte. Die Entwicklung beider Städte ist – trotz unterschiedlicher Probleme – mehr als gelungen. Doch wie sieht die Zukunft für die politischen Funktionen beider Städte aus? Die aktuellen Debattenbeiträge vom Rhein und der Spree lassen da wenig Hoffnung aufkommen. Statt sich nach 25 Jahren konstruktiv auf den Weg zu machen, Neues zu entwickeln und gemeinsam zu tragen, ziehen sich die Kommunalpolitiker beider Städte in die Schützengräben zurück. Die faire Arbeitsteilung zwischen Bundeshauptstadt Berlin und Bundestadt Bonn bröckelt immer weiter vor sich hin. Doch aus Bonn tönt es: am Berlin-Bonn Gesetz darf nicht gerüttelt werden. Dabei ist der Gesetzesbruch der Bundesregierungen von CSU, CDU, SPD, Grünen und FDP einvernehmlich und stillschweigend getragen. Die politischen Realitäten haben auch das Berlin-Bonn-Gesetz überholt. Von der Spree hört man: die Deutsche Einheit haben wir erst dann, wenn der Komplettumzug vollzogen ist.
Beide Haltungen verschließen die Augen vor der realen Entwicklung. Berlin könnte innovativ darüber diskutieren, was eine Regierung tatsächlich für politische Entscheidungen braucht. Das Justizministerium hat es – still und leise – vorgemacht. Der politische Kopf sitzt in Berlin. In Bonn, mit vielen nicht-ministeriellen Aufgaben, das Bundesamt der Justiz. Eine heimliche Erfolgsgeschichte von moderner Regierungsorganisation. Bonn könnte eine offene Diskussion darüber anzetteln, wohin sich das UN-/Umwelt-/Entwicklungspolitische – Zentrum der Bundesrepublik entwickeln will. Und vor allem, mit welcher Unterstützung? Was ist aus Berlin nötig, um diese Schwerpunkte am Rhein, wirklich weiter nachhaltig auszubauen? Zwar beteuern beide Seiten, wie gerade wieder in Berlin, dass es um eine konstruktive Zukunftsdiskussion gehe – es bleibt aber auch im 25 Jahr beim kommunalpolitischen Lippenbekenntnis.
Fazit
Die Umzugsbeauftragte, Bundesministerin Barbara Hendricks, will den Schwebezustand der „Rutschbahn“ zwischen Berlin und Bonn mit Auftrag des Bundeskabinetts beenden. Sie wird nach diesem Sommer eine Analyse zur Arbeitsteilung der Ministerien präsentieren. Kanzleramtsminister Peter Altmaier hat jetzt in Berlin skizziert, wohin die Reise geht. Bei den Ministeriumsstandorten will er auf Effizienz achten. Das heißt möglicherweise, dass die Ressorts mit unmittelbarer Anbindung an die UN/Klima/Entwicklungspolitik in Bonn auch dort weiter Bestand haben. Alle anderen werden am Standort Berlin zusammengeführt. Nicht heute, auch nicht morgen, sondern in einem langen Prozess, der auf gemeinsamen Vereinbarungen besteht. Darüber werden die Städte Berlin und Bonn dann sicher nicht mitbefinden. Ihr Kurs, lautes Wehren und leise Verhandlungsversuche, führen diesmal nicht zum Erfolg. Die Konsequenz: eine vertane Chance der beiden Stadtpolitiker zur Zukunftsgestaltung. Über die Arbeitsteilung Berlin-Bonn wird dann zwischen der Bundesregierung und den Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz entschieden. Die betroffenen Städte bleiben außen vor.