Istanbul und Wien sind erneut in einer Verbindung, die durchaus historische Reminiszenzen aufkommen lassen. Anders als vor einem halben Jahrtausend allerdings, bei der ersten und dann der zweiten Belagerung der Osmanen vor Wien, hat die Türkei heute keine kriegerischen Ambitionen in Europa. Allerdings kann das zwischen Berlin und Istanbul ausbaldowerte Abkommen zur Flüchtlingsfrage Einfluss auf die Zukunft nicht nur der Türkei haben, und ob und wie schnell das laizistische Land von Kemal Atatürk in osmanische Traditionen zurück fällt.
Nicht nur der neu gebaute Palast des gegenwärtigen Staatspräsidenten erinnert daran, dass die Türkei und sein islamistisch gewandelter Präsident die Wandlung in ein Sultanat vorhaben könnten. Jedenfalls steht die Abschaffung einer rechtsstaatlich organisierten demokratischen Türkei auf der Tagesordnung von Recep Tayyip Erdogan. Das wäre das Ende, sich mit Aussicht auf Erfolg zum Beitritt in die EU zu bemühen. Mit dem Hinauswurf der kurdischen Abgeordneten aus dem türkischen Parlament ist die Grundlage geschaffen, den Allmachtsanspruch Erdogans und seine gewünschte Präsidialverfassung durchzusetzen.
Pressefreiheit in Ankara nur auf dem Papier
Pressefreiheit steht in der Türkei nur noch auf dem Papier, die Antiterror-Gesetze, die abzumildern Erdogan ablehnt, machen Rechtsstaatlichkeit zunichte. Jede Kritik daran wird unmittelbar mit Verhaftung und Gefängnis bedroht, selbst Kinder werden verurteilt. Angst lähmt die türkische Zivilgesellschaft, despotische Strukturen sind sichtbar. Was dürfte daher der Deal Wert sein, den Kanzlerin Merkel mit Erdogan ausgehandelt hat, um die zweieinhalb Millionen Flüchtlinge in der Türkei aus Syrien vor der Todesroute zu den griechischen Inseln zu bewahren? Sechs Milliarden Euro wurden ausgehandelt, um die Lage der geflüchteten Syrer in der Türkei zu verbessern, von denen geschätzt nur zehn Prozent in festen Unterkünften oder Zeltstädten leben. Zwei Millionen und mehr bevölkern Straßen und Plätze, ohne Gesundheitsfürsorge oder Hoffnung auf eine leidliche Lebensperspektive. Viel Zeit bleibt Europa also nicht, um sicher zu stellen, dass Flüchtlinge auf Dauer in der Türkei bleiben werden.
Die Zusage Erdogans, die Flüchtlinge im Land zu behalten, und kontingentweise diejenigen nach EU ausreisen zu lassen, die Asyl erhalten werden, war gekoppelt an die Erwartung von Visa-Erleichterungen in die Europäische Union für türkische Staatsbürger. Mehr als siebzig Forderungen Brüssels waren damit verbunden. Unter anderem Sicherung der Pressefreiheit und die Abschaffung der Antiterrorgesetze, die derzeit den kurdisch-türkischen Bürgerkrieg anheizen. Das Treffen Erdogans mit Frau Merkels am Rande der Konferenz des UN- Hilfsprogramms für Flüchtlinge in der Welt war offenbar eine Standortbestimmung, mehr nicht. Ob es hält, wenn Erdogan den EU-Forderungen bei den Visa-Erleichterungen nicht nachkommt, ist nicht vorher zu sehen.
Wien ist noch mal davon gekommen
Immerhin hat die durch die Türkei derzeit faktisch zum Erliegen gebrachte Flüchtlingswelle in Österreich ihre Wirkung nicht verfehlt. Zumindest hat die noch geltende Verabredung zur Flüchtlingsfrage wohl dazu beigetragen, den Rechtspopulisten den zum Greifen nahen Sieg bei der Wahl des österreichischen Präsidenten zunichte zu machen. Weder Türken noch Syrer stehen derzeit vor Wien, was den Rechtspopulisten der FPÖ im tief gespaltenen Österreich die Hetze in der Flüchtlingsfrage und gegen Europa erschwerte. Ein gutes halbes Prozent mehr für das neue Staatsoberhaupt Alexander van der Bellen, der von den Grünen ins Rennen geschickt worden war, konnte dazu beitragen, die Spaltung in der Gesellschaft der Alpenrepublik zu überwinden. Jetzt hat es der neue Bundeskanzler in der Hand, die rechtspopulistischen Bewegung zu stoppen und sozialdemokratisches Profil wieder sichtbar zu machen. Österreich könnte noch einmal davon gekommen sein.
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