In allernächster Zeit, vielleicht schon am 23. Mai, dem Verfassungstag der Deutschen, will der Bundespräsident seine Entscheidung verkünden, ob er sich zur Wiederwahl in der Bundesversammlung stellen wird oder nicht. An Empfehlungen und Wünschen in Richtung Joachim Gauck fehlt es nicht. Manche entspringen indessen reinem Kalkül vieler Politiker, die mit Weitblick auf die nächste Bundestagswahl im Herbst 2017 problematische Konstellationen bei der Bundespräsidentenwahl im nächsten Frühjahr befürchten oder jedenfalls vermeiden wollen. Denn die Signalwirkung wäre recht stark, wenn eine Kandidatin oder ein Kandidat aus der Union oder der SPD die Gauck-Nachfolge antreten würde.
Zweite Amtszeit von Joachim Gauck?
Bliebe der jetzige Bundespräsident im Amte, wäre das politische Rennen der Parteien weitestgehend neutralisiert. Dass Joachim Gauck am Ende seiner zweiten Amtszeit das Alter von 82 Jahren erreichen würde, darauf nehmen die Protagonisten keine Rücksicht, obwohl das Beispiel des früheren Bundespräsidenten Heinrich Lübke doch alle kundigen Thebaner schrecken müsste. Die Aufgabenfülle und Repräsentationspflichten des Ersten Bürgers in unserem Staate sind enorm und vielfältig. Sie fordern geistige Frische und körperliche Kraft, eine hohe Konzentration und große Beweglichkeit.
Starkes Profil des amtierenden Bundespräsidenten
Joachim Gauck mag nach intensiver Prüfung selbst entscheiden, ob er sich das alles weitere fünf Jahre noch zutraut und mit zunehmendem Alter noch antun will. Nach Horst Köhler und Christian Wulff war er jedenfalls ein großartiger Bundespräsident, der unsere Republik bestens nach außen repräsentierte und nach innen zusammenhielt. Seine Rhetorik und die Inhalte seiner Reden zeichnen ihn ganz besonders aus, zumal sie die wichtigsten Mittel der Macht eines Bundespräsidenten sind. Als Mann des demokratischen Aufbruchs der untergegangenen DDR konnte er den Deutschen in Ost und West stets das Gefühl des Miteinanders in unserem Staat geben. Sein alles beherrschendes Thema ist die Freiheit – nicht im Sinne anarchischer Liberalität, sondern als Chance des gemeinsamen Handelns und der gegenseitigen Verantwortung. Auch bei seinen Besuchen im Ausland sprach Gauck stets Klartext, wenn er es gegenüber manchen Potentaten für richtig hielt. Dabei schielte er nie auf den allfälligen Beifall des Augenblicks, sondern nahm durchaus manche -vorhersehbare- Kritik in Kauf.
Steinmeier als SPD-Kandidat?
Hinter den Kulissen der Berliner Politbühne laufen seit längerem die Spekulationen über würdige Nachfolger hoch, wenn sich denn der jetzige Bundespräsident nicht erneut zur Wahl bereiterklären sollte. In der SPD gilt Frank-Walter Steinmeier als Favorit, der als Außenminister die stärkste Persönlichkeit im sozialdemokratischen Team der Großen Koalition ist. Mit seinen Erfahrungen und seiner Persönlichkeit wäre er in der Tat ein exzellenter Kandidat. Doch ist es wohl unwahrscheinlich, dass Steinmeier eine Mehrheit in der Bundesversammlung erreichen könnte.
… oder Norbert Lammert für die Union?
Angela Merkel hat sich öffentlich zwar für eine zweite Amtszeit von Joachim Gauck ausgesprochen, doch muss sie mit der Union auch auf eine Absage vorbereitet sein. Als möglicher Nachfolger für das Amt des Bundespräsidenten kann in den Reihen von CDU und CSU wohl kaum ein Besserer gefunden werden als der jetzige Bundestagspräsident Norbert Lammert, der im Falle seiner Wahl dann 68 Jahre alt wäre. Der Politiker aus dem Ruhrgebiet, aus Bochum, verheiratet, vier Kinder ist ein Mann ohne Fehl und Tadel, außerordentlich wortgewaltig, intellektuell und zugleich volksnah.
Kein bequemer Politiker
Allerdings ist Norbert Lammert, seit 2005 Parlamentspräsident, kein bequemer Kandidat. Immer wieder hat er sich mit Mahnungen und Warnungen hervorgewagt – nicht zuletzt auch gegenüber der Bundesregierung, die bisweilen am Parlament vorbei zu operieren versuchte. Jüngst unternahm Lammert zudem den Versuch, das derzeit geltende Wahlrecht für den Bundestag infrage zu stellen. Denn aus den 598 Abgeordneten-Mandaten sind nach der Wahl im Jahre 2013 mit 3 Überhangmandaten und 30 Ausgleichsmandaten insgesamt 631 geworden. Bei Beibehaltung des bestehenden Wahlrechts könnten es bei der nächsten Bundestagswahl im Herbst 2017 gar 670, 680 oder noch mehr Abgeordnete werden. Der Bundestagspräsident hält diesen Status quo für geradezu indiskutabel.
Zum einen stünde eine derart hohe Zahl kaum in einer angemessenen Proportion im Verhältnis zu anderen Ländern. Zum anderen würden bei einer weiteren Aufstockung der Mandate die Raumkapazitäten des Bundestages heillos überfüllt; allein bis zu 150 Büros müssten möglicherweise neu geschaffen werden. Ob alle Beteiligten dem mutigen Plan Lammerts folgen und einer Begrenzung der Mandatszahl zustimmen, ist mehr als unsicher, zumal die Regeln des Wahlrechts im Grundgesetz festgelegt wurden. Sicher ist indessen, dass der jetzige Bundestagspräsident seine Idee von einer Wahlrechtsreform auch nicht aufgeben würde, wenn CDU und CSU ihn als ihren Favoriten für das Bundespräsidentenamt küren sollten. Wie die Union jedoch am Ende eine Mehrheit für Lammert in der Bundesversammlung organisieren könnte, das ist noch völlig offen, obwohl aus den Reihen der Grünen und der Liberalen durchaus Sympathien zu vernehmen sind – natürlich auch mit Blick auf mögliche Koalitionen nach der Bundestagswahl.
Bildquelle. Wikipedia, Sir James – Eigenes Werk, Villa Hammerschmidt, CC BY-SA 3.0