Europa steckt in seiner bislang schlimmsten Krise. Nie zuvor war das kurzzeitig grenzenlose Europa in einer ähnlichen, die eigene Existenz berührenden Verfassung wie heute. Um zu fragen, was gegebenenfalls Künstler, hier vor allem Schriftsteller, beitragen können, diese Schussfahrt in den nationalistischen Zerfall der Europäischen Idee zu bremsen, hatte das Auswärtige Amt zur zweiten europäischen Schriftstellerkonferenz nach Berlin eingeladen. Auf den Podien zwei Tage lang vor allem Autoren aus ost- und südosteuropäischen Ländern.
Aus Polen, Litauen, Tschechin, Ungarn und Kroatien waren sie angereist. Ihnen standen ein russischer Autor, eine finnische Autorin, eine Schwedin, ein Kurde, eine Bengali-Britin und ein Belgier zur Seite. Allen war anzumerken, wie sehr die Fluchtbewegung aus dem Nahen Osten eine Krise in den Köpfen der rechtskonservativer Parteien ihrer Länder, wie wohl demokratisch legitimiert, von Mehrheiten ins Amt gehoben, angerichtet hat. Gleichzeitig überall wachsender Druck auf die Linke, die in jedem der Länder in einer Vertrauenskrise steckt.
Rückfall in nationalistische Egoismen
Entsprechend war es deprimierend, ihren Heimatreporten zuzuhören. Ebenso deprimierend, dass auch die Zuhörer, die dem Kongress folgten, wohl als politisch interessierte Minderheit eingeschätzt werden kann, geradezu atemlos die eigene Ahnungslosigkeit empfanden, weil die Medien, im Netz, elektronisch oder gedruckt, den konstatierten Rückfall in nationalistische Egoismen fast echolos hingenommen haben.
Wie tief der Riss ist, der Europa in die nächste Kleinstaaterei treiben kann, wurde immer wieder deutlich. Ebenso, dass erneut das kurzzeitige „Wir in Europa“ dabei ist, in das alte nationalistische „Wir gegen die Anderen“ ausgetauscht zu werden. Die Kroatin Ivana Sajko berichtet vom Protest von 4900 Künstlern in ihrem Land. Sie wehren sich gegen eine Äußerung des neuen Kulturministers in Kroation, der in einem Interview schlicht mitteilte: „Antifaschismus ist nicht Grundlage des Landes“.
Sprache gegen Gewalt setzen
Der politische Diskurs, ob in Polen, Tschechin, Slowenien oder in Russland wird zunehmend in der Sprache der Gewalt und Feindseligkeit geführt, war gemeinsame Erkenntnis. Gleiches berichtete die finnische Autorin Rosa Liksom über die „Wahren Finnen“, eine wachsende rechtsextremistische Partei, die wie die „Wahren Schweden“ Hass ausleben, gegen Flüchtlinge, Frauen, Gleichberechtigung. Dazu ist gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit allgegenwärtig Kern dieser Bewegungen.
Das Konferenzthema hatte den doppeldeutigen Titel „Grenzen Nieder Schreiben“. Auch wenn die versammelten Schriftsteller ihren Einfluss auf die Gesellschaft und ihre Leser als eher gering, aber nicht als völlig wirkungslos einschätzten, hatten sie doch den Beifall der Zuhörer für den Satz, dass es Aufgabe von Literatur sei, Sprache gegen Gewalt zu setzen, und so Sprache ihre Bedeutung zurückzugeben. Dazu gehört dann auch das Gefühl, dem der Litauer Eugenius Alisânka Ausdruck gab, manchmal zwar auf zwei Beinen zu stehen, auch wenn das eine ins Leere und das andere daneben trete.
Rechten Populismus keinen Raum geben
Dem rechten Populismus keinen Raum geben. Fast beschwörend war dies einhellige Hoffnung des Kongresses vor allem in Richtung der deutschen Gastgeber. Der Außenminister hatte den Kongress mit einer sehr nachdenklichen, in diese Richtung weisenden Rede eröffnet. Aber weder das, was er sagte, noch die einhellige Hoffnung der Konferenz konnte weitere Politiker erreichen, weil keiner unter den Zuhörern war.
Bildquelle: Wikipedia, J. C. Andrä: “Griechische Heldensagen für die Jugend bearbeitet”. Berlin: Verlag von Neufeld & Henius, 1902