Im Juni jährt sich zum 25. Mal der Beschluss des Deutschen Bundestages, Bonn und der Region
den Rücken zu kehren. Rechnerisch ging die knappe Mehrheit auf das Konto der Partei, die zwei
Jahre zuvor noch SED geheißen hatte. Am Abstimmungstag dürften die Reden von Wolfgang
Schäuble und Wolfgang Thierse Unentschlossene noch auf die Berlin-Seite gezogen haben. In der
Sache selbst hätte Berlin wohl nicht obsiegt, wenn nicht zugleich Bonn und der Region
umfangreiche Versprechen gemacht worden wären, den Verlust an Prestige, an Arbeitsplätzen und
an Bundesmitteln auszugleichen.
Es begann sich ein republikweites Umzugskarussell zu drehen, bis
Bundesbehörden, Bundesgerichte, Arbeitsplätze und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an
anderer Stelle zum Stehen kamen, als sie losgefahren waren.
Soweit so gut. Der Kampf der Bonn-Freunde – im Bundestag waren Horst Ehmke, Ingrid Matthäus-
Meyer, Norbert Blüm, Rita Süßmuth die Protagonisten der beiden großen Fraktionen – war
verloren. Aber der Kampf um die konkreten Ausgleichsmaßnahmen fing erst eigentlich an. Denn
eine Sache ist es, Beschlüsse zu fassen; eine ganz andere ist es, sie auch geist- und
buchstabengetreu umzusetzen!
1999 zog der Bundestag nach Berlin
Zunächst zahlte die Bonner CDU einen Preis für den Zug der Bundespartei nach Berlin, sie verlor
ihre jahrzehntelange Mehrheit im Stadtrat. Das war zwar schon bei der
folgenden Kommunalwahl aus deren Sicht wieder repariert, aber die frische, hochmotivierte
Oberbürgermeisterin Bärbel Dieckmann blieb dank der Direktwahl durch die Bonnerinnen und
Bonner. Es dauerte noch bis 1999, ehe Bundestag und Bundesregierung tatsächlich gen Osten zogen
und in der Zwischenzeit waren das Internationale Bonn, die Wissenschaftsregion und vor allem die
Bundesstadt Bonn Wirklichkeit geworden. Dem OB und einem intensiven Bündnis mit den
Landräten, den Regierungen von NRW und Rheinland-Pfalz sei Dank!
Der Kern der Aufgaben als Bundesstadt sind die ersten Dienstsitze von sechs Bundesministerien:
Wirtschaftliche Zusammenarbeit, Umwelt, Gesundheit, Bildung und Wissenschaft, Ernährung und
Landwirtschaft sowie Verteidigung. Alle übrigen, derzeit neun Bundesministerien unterhalten
Dienstsitze in Bonn. So ist es im Bonn-Berlin-Gesetz geregelt. Hinzu kommen einige
Bundesbehörden wie beispielsweise der Bundesrechnungshof, das Bundesamt für
Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und das Bundeskartellamt.
Manche machen sich bis heute lustig, „Bundesstadt“ sei ja nur ein Wort auf einem gelben
Verkehrsschild – was für eine Fehleinschätzung! Nicht nur damit, dass eine der schönsten
Landschaften Deutschlands weiterhin ein Schaufenster unserer Republik für alle Welt bleibt, nicht
nur damit, dass sich die Nähe zu den europäischen Institutionen in Straßburg, Brüssel und
Luxemburg bewährt, dienen Bonn und das Rheinland der ganzen Bundesrepublik. Hier ist auch eine
Drehscheibe internationaler zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit entstanden, ein Treffpunkt für
die Fachwelt der Umweltschützer, der Entwicklungszusammenarbeit, medizinischer Forschung, der
so in Deutschland sicher nur dank der Erfindung der Bundesstadt Bonn gewachsen ist. Die
ehemalige Bundeshauptstadt ist also weiterhin von großem Nutzen für ganz Deutschland.
Regierung zieht Stellen aus Bonn ab
Die Frage ist, ob Deutschland das auch zu schätzen weiß. 25 Jahre nach dem Umzugsbeschluss
stellt sie sich ganz besonders, denn einerseits hat sich die amtierende Bundesregierung in ihrem
Koalitionsvertrag zwar klar zur Bundesstadt „bekannt“ – aber das Bekenntnis bleibt folgenlos.
Vielmehr zieht sie dauernd und unreguliert weitere Arbeitsplätze aus Bonn ab und hat nun vor
diesem Hintergrund eine Untersuchung in Gang gesetzt, in deren Konsequenz über die Zukunft der
Bundesstadt neu entschieden werden wird.
Die Ausgangslage für eine solche Entscheidung ist nicht besonders klar; anscheinend haben sich
Argumente verfestigt, deren Wucht vordergründig und deren Wahrheitsgehalt zweifelhaft ist.
Das beginnt bei den Kosten, die zwar wieder einmal gesunken sind und im Vergleich mit
Zusatzbauten in Berlin weiterhin als günstig gelten, was nicht daran hindert, sie trotzdem gegen die
geteilten Dienstsitze ins Feld zu führen. Es endet noch lange nicht mit der Behauptung, die günstige
Entwicklung der Region hätte auch ohne die Anwesenheit der Ministerien stattgefunden.
Für Nichtjuristen überraschend dürfte es sein, dass die gesetzlichen Regelungen nicht einklagbar
sind, ein Umstand, den sich die Bundesregierung beim dauerhaften Verstoß gegen § 4 des Bonn-
Berlin-Gesetzes zu Nutze macht, der vorschreibt, dass mehr als die Hälfte der Arbeitsplätze der
Bundesministerien in Bonn verbleiben müssen.
Abgehängte Bonner Beamte
Von Anfang an hat man Kommunikationsprobleme zwischen den Dienstsitzen, Demotivation der
angeblich „abgehängten“ Bonner Ministerialen und Bonn als Karrierebremse herbeigeredet,
Behauptungen, die ernsthaft in Zweifel zu ziehen sind. Nur Klein-Erna glaubt, man könne allein
dadurch Karriere machen, dass man regelmäßig dem Minister unter die Augen tritt oder der
Ministerin die Tür aufhalten kann. Je größer das Ministerium, umso seltener werden die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Regierungsmitglieder zu sehen bekommen, egal, ob ihre
Schreibtische im selben Haus wie das Ministerbüro stehen oder nicht.
Inzwischen hat sich unbeeinflusst von der Zahl der Dienstsitze längst die telefonische und elektronische
Kommunikation durchgesetzt, das Instrument der Videokonferenz ist längst eingeübt und der
„Flurfunk“ wird auch dort seltener, wo man nahe beieinander sitzt. Außerdem sind seit Jahren
regelmäßige Leistungsbeurteilungen der Beamtinnen und Beamten deutlich relevanter für einen
eventuellen Aufstieg in der Hierarchie als der Standort des Schreibtisches. Und wer sehnt sich wohl
ernsthaft danach, von überforderten Cholerikern im Ministeramt ( da gab und gibt es viele, wie man
hört ) niedergebrüllt oder gar mit Gegenständen beworfen zu werden? Das alles ändert nichts an der
gebetsmühlenartig vorgetragenen These, alle Bonner Ministeriumsbeschäftigte drängten machtvoll
nach Berlin.
Es geht um Schadensbegrenzung
Bei vielen Gesprächspartnern lässt das nicht Zitierbare aufhorchen, je weiter man von der Region
entfernt ist, desto deutlicher wird es: einerseits, dass es Bonn doch gut gehe und andererseits, dass
die Bundesstadt nur etwas zur Ruhigstellung Bonner Kirchturmspolitiker gewesen sei und sich nun
erübrige. Das ist, als solle die ganze Region für ihren Erfolg bestraft werden.
Die Erfolge leugnet niemand, man könnte an Rhein, Sieg und Ahr sogar stolz darauf sein! Neue
Hochschulstandorte, internationale und UN-Stadt Bonn mit Schwerpunkten auf Ökologie,
wirtschaftliche Zusammenarbeit, digitale Technik, moderne Verwaltungen und Behörden mit
hochqualifizierten Arbeitsplätzen, Bevölkerungswachstum und deren hohe Kaufkraft. Tatsächlich
also wäre es angesichts anderer Regionen, die notleidend sind, absurd, würden hier zusätzliche
Hilfen und Gelder verlangt. Nein, es geht allein um Schadensbegrenzung. Würden immer mehr
Arbeitsplätze des Bundes wegfallen, obwohl gesetzlich das Gegenteil geregelt ist, würden die neuen
„Cluster“, Netzwerke, Ideenschmieden zwischen Hochschulen, anderen
Wissenschaftseinrichtungen, Ministerien, Verwaltungen UN-Sekretariaten, Nicht-
Regierungsorganisationen und Unternehmen beschädigt.
Vor diesem Hintergrund muss Bonn keine Bittgänge nach Berlin unternehmen oder Bettelbriefe
dorthin senden, sondern kann mit Fug und Recht fordern, dass die Zusagen an die Bundesstadt
eingehalten werden und Schaden von Bonn und der Region abgewendet wird – erst recht Schaden,
den die Bundesregierung willentlich anrichtet. Die jetzt wiederbelebte Idee eines Staatsvertrages der
Länder NRW und Rheinland-Pfalz mit der Bundesregierung, der vielleicht auch manchen
ministeriellen Zentralisierungswünschen entgegen kommen mag, aber vor allem die der
Bundesstadt gemachten Zusagen auf eine verlässlichere Basis stellt, als das vom Bundestag
einseitig kündbare Gesetz, passt also ganz gut zu der Lage an Rhein, Sieg und Ahr, wie sie 25 Jahre
nach dem Wegzug von Parlament und Regierung entstanden ist.
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