Am Ende seiner frei vorgetragenen Vorlesung über Nachhaltigkeit vor Studenten der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin bei Bonn wird Prof. Klaus Töpfer von einem Studenten nach der Zukunft des E-Autos gefragt. Zunächst beklagt er, dass der wirtschaftliche Druck fehle, dann weist er daraufhin, dass es leider zu wenige Unternehmen gebe, die Batterien bauten, dass die Autoindustrie mit ihren Verbrennungsmotoren glänzende Geschäfte mache und dass man bei einem Wechsel zum E-Auto die Zulieferer im Auge haben müsse, weil E-Autos keine Zündkerzen und Schaltungen brauchten. Also kein E-Auto? Da kennt man Töpfer aber schlecht, denn er betonte dann, quasi um alle Zweifel auszuräumen: „Der Nachfolger des Diesel bei VW wird das E-Auto. Davon bin ich voll überzeugt.“
Die Agenda 2030 ist sein Thema, der Mensch, die Technik und Umwelttechnik und der Punkt, dass eine Zukunft ohne Technik nicht vorstellbar ist, aber dass Handeln nachhaltig werden müsse. Die Chance, die Technik vermittelt, auch auf ein würdiges Leben, nicht nur für uns, sondern auch und gerade für die Entwicklungsländer. Ein komplexes Thema. Klaus Töpfer wird kurz vorgestellt von Frau Professor Katharina Seuser vom Fachbereich Elektrotechnik, Maschinenbau und Technikjournalismus. Nachhaltigkeit geht alle an, jeden Menschen, sagt sie. Heißt auch, jeder kann etwas tun, damit es besser wird, anders, sauberer, damit wir nicht rücksichtslos wirtschaften, Dinge einfach wegwerfen. Es ist unsere Welt.
Ökonomisch, sozial, ökologisch
Es hat seinen besonderen Grund, dass Klaus Töpfer gern in Sankt Augustin zu Gast ist. Als er Bundesbauminister war im Kabinett von Helmut Kohl und der Beschluss des Bundestages über den Wechsel von Parlament und Regierung nach Berlin gefallen war, galt es, die dazu gehörenden anderen Beschlüsse umzusetzen. Einer der Punkte war die Errichtung der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg als Ausgleich.
Klaus Töpfer ist ein Diplom-Volkswirt, aber er hat nie das Ökonomische allein gesehen, er hat sehr früh das Soziale als weitere Komponente miteinbezogen und das Ökologische, weil er über die Folgen der Ökonomie nachdachte, über eine Produktion, deren Folgelasten spätere Generationen oder andere Länder zu leisten hatten, also auf sie abgewälzt würden. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Podiums-Diskussion über die Kernenergie auf einem Katholikentag in Aachen, Jahrzehnte her. Einer der Podiums-Teilnehmer war Klaus Töpfer, der auf dem Podium als Atom-Gegner vorgesehene Diskutant fehlte. Also übernahm Töpfer auch die Argumente gegen die Kernenergie und trug sie vor. Es war ihm schon in den 80er Jahren bewusst, dass die Frage der Entsorgung des atomaren Mülls nicht gelöst war, ein Problem, das die Welt auch bis heute nicht gelöst hat. Damals machte der Vergleich die Runde, bei der Atomenergie sei es wie mit einem Flugzeug, das starte, ohne einen Landeplatz zu haben.
Nicht auf Kosten anderer leben
Nachhaltigkeit, das ist seit Jahren das Thema von Klaus Töpfer. An die Zukunft zu denken, wenn man heute etwas produziert, dessen Folgen nicht die nächsten Generationen ausbaden dürfen. Also die Kosten nicht abzuwälzen auf die armen Länder, global zu denken, optimistisch zu sein, dass es machbar ist, dass es immer eine Alternative gibt, auch wenn es mühsam ist, sie zu finden. Er bedient sich dabei eines Zitats des früheren Bundespräsidenten Prof. Horst Köhler: „Wir müssen uns bewusst sein, dass wir nicht mehr auf Kosten anderer leben wollen.“
Er erinnert an einen Satz des SPD-Politikers Willy Brandt Mitte der 60er Jahre, der Himmel über der Ruhr müsse wieder blau werden. Wie hat man Brandt damals belächelt, weil das Ruhrgebiet russverschmutzt war von den Kohlezechen und den Kohle-Heizungen in den Häusern. Die Luft war so verschmutzt, dass die gerade gewaschene Wäsche, die auf der Leine im Garten hing, beim Trocknen wieder angeschwärzt war. Ruß lag auf den Fensterbänken, so war das in den Städten und Dörfern an der Ruhr. Die Dinge haben sich radikal verändert. Töpfer weist daraufhin.
Vor Ihnen steht der gelbe Sack
Es war Klaus Töpfer, der schon zu Zeiten die Senkung der Kohlendioxidemissionen gefordert hat, als andere das Problem noch gar nicht kannten. Töpfer hat dem Begriff Recycling den Fremdwortcharakter genommen, indem er den grünen Punkt einführte und die Verpackungsverordnung. Jahre später referierte er über diese Zeit und stellte sich selbst mit den Worten vor: „Vor Ihnen steht der gelbe Sack.“ Heute gilt Recycling in Zeiten knapper Rohstoffe als clevere Politik. Man darf daran erinnern, dass er für Mülltrennung eintrat, als das Thema eher den Charakter von Folklore hatte- gerade in weiten Teilen seiner Partei, der CDU und hier vor allem beim mächtigen Wirtschaftsflügel. Heute wird er darüber lächeln, dass seine CDU, der er seit den 70er Jahren angehört, ergrünt ist.
Denn das ist wahr: Durch Töpfer wurde die Union ein wenig grüner, er machte ihnen klar, dass Umweltschutz kein Luxus ist im Sinne einer überflüssigen Belastung, sondern ein lebenswichtiger Bestandteil unseres Lebens und Wirtschaftens. „Wir sind in einer Welt, in der jeder Verantwortung übernehmen muss“, sagt er. Er hat das immer wieder vorgemacht, so als er Umweltminister nach Walter Wallmann wurde, dem ersten Bundesumweltminister überhaupt, kurz nach Tschernobyl, dem atomaren Gau. Beliebt war das Thema damals nicht. Heute kann Töpfer mit Recht darauf hinweisen, dass er schon vor vielen Jahren für eine Zukunft ohne Atomenergie eingetreten ist und dass erneuerbare Energien Strom und Heizung liefern müssen. Dass dies möglich ist, daran besteht heute kein Zweifel mehr.
Schlechtes Gewissen auf der Toilette
Freiheit ist wie Verantwortung und Nachhaltigkeit niemals nur abstrakt möglich- sie braucht das Konkrete und die Praxis. Töpfer kann das sagen, er bezieht sich dabei auf Hanna Arendt. Töpfer beklagt, dass sich die Politik selbst dem Diktat der Kurzfristigkeit unterordnet und findet es besorgniserregend, dass dieses Diktat der Kurzfristigkeit die Wahl von Alternativen unmöglich mache, weil sich Politik allzu oft mit Sachzwängen abgeben müsste. Dabei gebe es immer Alternativen, nach denen man suchen müsse. Töpfer hat Jahre in Kenia gelebt und für die UNO dort gearbeitet und die Probleme der Menschen dort kennengelernt, die Armut der Menschen, die eine andere ist als die hierzulande, oder den Umgang mit Wasser. Wenn man dort lebe, schildert er, habe man schon ein schlechtes Gewissen, wenn man auf die Toilette gehe, weil die Wasserspülung viel Wasser verbrauche. Es gehe anders, in Flugzeugen zum Beispiel.
Überhaupt Afrika. Töpfer argumentiert, man brauche dort in vielen Regionen eine wirtschaftliche Entwicklung. Sonst? Nun ja, das kann sich jeder ausmalen, der die Flüchtlingsproblematik verfolgt. Experten der Situation in Teilen Afrikas sind schon heute der Meinung, dass da Millionen auf Koffern sitzen, um ins gelobte Europa zu gelangen. Unser Wohlstand, so meint Töpfer nicht zu Unrecht, könnte andere in Afrika auf die Idee bringen, dass sie das auch haben möchten und sich dann auf den Weg machen. Denen darf man natürlich nicht mit Diskussionen über begrenztes Wachstum kommen. Den Menschen dort geht es oft genug ums Überleben, dafür brauchen sie Wasser, etwas zu essen, irgendeine Arbeit. Dinge, die es manchen Regionen so nicht gibt.
Nachhaltigkeit geht jeden an
Früher hieß er „Mister Umwelt“, heute „Mister Nachhaltigkeit“, der Professor Klaus Töpfer, der komplexe Probleme so sprachgewandt und verständlich erklären und auf den Punkt bringen kann. „Massiv werden Kosten aller Art unseres heutigen Wohlstands auf die Zukunft verschoben“. Da hat er sicher Recht und das muss beendet werden.
Jahrgang 1938 ist er, der Mann, der als Kind Schlesien verlies und in den Westen kam, der Politik machte und Wissenschaft lehrte an Hochschulen, was er heute noch tut, unter anderem in Schanghai, der ständig unterwegs ist, aber nicht gehetzt wirkt, der in der Welt zu Hause ist, gestern einen Termin in New York hatte, danach in Sankt Augustin referierte, um ein paar Tage später nach China zu fliegen, aber dieser Mann ist bodenständig geblieben, er kann den Menschen erklären, dass Nachhaltigkeit mit ihnen zu tun hat und sie angeht. Jeden von ihnen. Die Studenten sind angetan von diesem älteren Professor, der aber geistig frisch wirkt und fit. „Ein Genuss“ sei der Vortrag gewesen, sagt jemand. Wie man ihn kennt, wird er danach ein Pils getrunken haben.
Bildquelle: Wikipedia, Heinrich Böll Stiftung from Berlin, Deutschland – Conference: Countdown to Copenhagen Klaus Töpfer, Klaus Töpfer Foto: Stephan Röhl, CC BY-SA 2.0