Das wievielte Treffen es war zwischen Horst Seehofer und Angela Merkel im Kanzleramt in Berlin? Es ist auch egal. Und erneut kamen sie inhaltlich nicht zueinander. Das war auch nicht zu erwarten. Auch nicht nach dem für beide Volksparteien schwachen bis teils verheerenden Ausgang der Landtagswahlen in drei Bundesländern. Und es nicht zu erwarten, dass die Bundeskanzlerin am Vorabend eines erneuten (des wievielten eigentlich?) EU-Gipfels zur Flüchtlingskrise dem CSU-Chef und bayerischen Ministerpräsidenten gegenüber nachgegeben hätte. Einen Kurswechsel wird es mit Merkel nicht geben, aber einfach Weiter-So, das kann es auch nicht sein.
Die Wahlanalysten bieten immer schnell Gründe für Siege und Niederlagen an. Dieses Mal war es also eine Anti-Merkel-Wahl, sagen die einen, weil die Rechtspopulisten von der AfD bei drei Wahlen zweistellige Ergebnisse erzielten. Nein, es war keine Anti-Merkel-Wahl, hallt es von der anderen Seite, schließlich hätten die Merkel-Unterstützer, allen voran der Grünen-Ministerpräsident Kretschmann und die SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer den Merkel-Kurs gestützt. Ob wir das wirklich so schaffen, wie Angela Merkel es damals sagte in einem Moment, als ihr nichts anderes übrigblieb, als die Grenze für Tausende und Abertausende von Flüchtlingen zu öffnen, ist sehr die Frage. Das war ein zutiefst humanitärer Akt, eine menschliche Geste, die auch von ihrem Bündnispartner in der Großen Koalition in Berlin, der SPD, geteilt wurde und geteilt wird. So weit so gut und richtig. Was aber nicht bedeuten darf, über Veränderungen nachzudenken. Die Welt dreht sich schließlich weiter. Und gerade die Vorsitzenden der einst großen Parteien dürfen nicht so tun, als wäre nichts passiert, als könnte man einfach zur Tagesordnung übergehen.
Es gibt Sorgen und Ängste in der deutschen Bevölkerung, die die Politiker ernstnehmen müssen. Nein, es geht nicht um irgendwelche Obergrenzen, Herr Seehofer. Das Asylrecht kennt keine Obergrenze. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht. Punkt. Das muss so bleiben. Wie sollen wir denn eine Obergrenze einhalten, wenn Hunderttausende von Menschen aus aller Welt aus ihrer Heimat fliehen, weil sie verfolgt werden, weil Krieg herrscht, weil sie Angst um das Leben ihrer Familien haben? Lassen wir sie draußen, weil die Zahl, die wir amtlich festgelegt haben, am Tag zuvor überschritten wurde? Den Streit darüber versteht man nicht. Grenzen dichtmachen, wie Wien das will, Europa mauert sich ein? Das kann es nicht sein.
Zahl der Flüchtlinge muss sinken
Niemand fordert, dass Deutschland jedes Jahr eine Million oder noch mehr Flüchtlinge aufnehmen muss. Das würde jedes Land überfordern. Dass die Zahl der Flüchtlinge zurückgehen muss, ist auch kein Streitpunkt. Die Frage ist, wie das angestellt werden kann. Der eine Weg führt über die Türkei, ist mehr als umstritten und sehr teuer und den hat auch Merkel im Visier genauso wie die europäische Lösung, bei der es vor allem um die Verteilung der Flüchtlinge geht. Es macht wenig Sinn, wenn sich die Protagonisten der Regierungsparteien, vor allem Seehofer und Kritiker aus der CDU gegen Merkel wenden, wir brauchen gemeinsame Anstrengungen zur Bewältigung dieser Jahrhundertaufgabe. Vom Streit profitieren immer nur die anderen.
Altkanzler Gerhard Schröder liegt mit seinen Forderungen nach einem Integrations- wie auch endlich einem Ein- oder Zuwanderungsgesetz richtig. Wir brauchen beides, die Einbindung der Flüchtlinge in diese Gesellschaft, ihre sprachliche Förderung, die schulische Bildung ihrer Kinder, berufliche Weiterbildung, wir brauchen dringend, und das schon seit Jahren, bezahlbaren Wohnraum, der selbstverständlich auch für Deutsche zur Verfügung steht. Kein Kind zurücklassen, diese wunderbare Überschrift der Politik von Hannelore Kraft, ist als Prävention gedacht, für alle, damit aus allen Kindern durch Förderung und Forderung das Potential herausgeholt wird, das in ihnen steckt und von dem auch die Gesellschaft profitieren wird. Alle meint alle, deutsche wie ausländische Kinder. Und dafür brauchen wir mehr Lehrer, die aber erst ausgebildet werden müssen, was Zeit braucht. Aber wir müssen klar machen, dass das auch umgesetzt und nicht nur diskutiert wird. Handeln statt Reden.
Mikätzchen gegen Lehrermangel
Vielleicht erinnert sich noch jemand aus der älteren Generation an die so genannten“ Mikätzchen“, benannt nach dem früheren NRW-Kultusminister Prof. Paul Mikat. Damals, in den 60er Jahren, wurde der Lehrermangel auch teils dadurch behoben, dass man zum Beispiel Ingenieuren und anderen im Beruf stehenden Frauen und Männern anbot, sie in Schnellkursen zu Lehrern auszubilden. Heißt, wir brauchen pragmatische Lösungen und nicht nur hier. Wir dürfen uns nicht an irgendwelchen Vorschriften festhalten.
Wir müssen mehr für die innere Sicherheit tun, was bedeutet, wir brauchen mehr Polizisten, die auch nicht auf der Straße herumstehen. Auch sie müssen erst ausgebildet werden. Und plötzlich entdecken wir, dass die Bundeswehr längst an ihre Grenzen gestoßen ist, weil sie immer öfter in der Welt angefordert wird, wenn es brennt und brenzlig wird. Auch dies wird kosten, wenn wir ein paar Tausend Soldaten mehr berufen.
All dies bedeutet auch, dass wir einen starken Staat brauchen und sich die Politik des schlanken Staates als Fehlentwicklung erwiesen hat. Diese Kritik geht an die Adresse der FDP, die stets den schlanken Staat gefordert hat. Warum äußert sich der flinke FDP-Chef Lindner nicht dazu?
Bund muss mehr Geld bezahlen
Das Geld muss der Bund bereitstellen, er darf die Kommunen nicht allein lassen mit den riesigen Aufgaben. Ob es wirklich Sinn macht, in einer Situation wie dieser die schwarze Null wie eine Monstranz vor sich herzutragen, wie das Finanzminister Wolfgang Schäuble vormacht? Das Geld wird jetzt und den nächsten Jahren gebraucht, die Hilfen müssen möglichst bald greifen, Lehrer und Polizisten und Erzieher müssen schnell ausgebildet werden, Wohnraum muss jetzt bereitgestellt werden. Gleichwohl wird alles dauern, es geht nicht von heute auf morgen.
Diese Politik richtet sich an alle, an Deutsche wie Ausländer. Von dieser Politik werden auch alle profitieren. Die Bemerkungen des SPD-Chefs Sigmar Gabriel, sind nicht von der Hand zu weisen: Es darf nicht der Eindruck entstehen, als würde jemand vorgezogen, als würde nur noch Flüchtlingen geholfen. Sonst wird der eine gegen den anderen ausgespielt. Der Zusammenhalt der Menschen ist wichtig, dafür zu werben und zu kämpfen, auch das hat Gabriel betont, auch mit Blick auf die AfD, die diese Gesellschaft spalten will.
Dies zu erklären, dafür einzustehen kann nicht nur durch Anzeigen oder Video-Botschaften geschehen, das muss den Menschen draußen gesagt werden, in den Fußgängerzonen, vor den Betriebstoren und in den Betrieben, überall. Wir dürfen das Thema mit all seinen Schwierigkeiten eben nicht der AfD überlassen, CDU, CSU, SPD, Grüne, Linke, die FDP, sie alle müssen mithelfen, diese Themen zu besetzen. Das ist ein langer und schwieriger Weg, aber er muss beschritten werden.
Die Wahlen vom Sonntag waren ein Warnschuss. Wenn die Stimmen für die AfD in erster Linie Proteststimmen waren, müssen die Politiker der anderen, vor allem der Volksparteien sich um die Gründe dieser Proteste kümmern. Nicht jeder Wähler, der sich Sorgen macht oder Ängste hat, ist deswegen schon ein Fremdenfeind. Um ihn zu werben, ihn zurückzuholen, ist jede Mühe wert. Im Fernsehen gibt sich die AfD moderat und bürgerlich, bei Pegida und vergleichbaren Demonstrationen und in den sozialen Netzwerken verbreiten ihre Leute Hass und dumpfe Parolen und stellen unsere Demokratie infrage. Auch ihre Attacken auf die sogenannten etablierten Parteien zielen auf deren Verächtlichmachung. Bei aller berechtigten Kritik an einzelnen Politikern von CDU, CSU, oder der SPD: Die Volksparteien haben wesentlich diesen Staat politisch gestaltet, auf den Trümmern des Weltkrieges entstand eine starke und verlässliche Bundesrepublik.
Diese Republik steht für Freiheit, Toleranz, für Menschlichkeit, für soziale Gerechtigkeit, auch wenn hier nachgebessert werden muss. Unser Grundgesetz beginnt mit dem alles umfassenden Artikel: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes haben damals, nach dem von den Nazis angezettelten Krieg, absichtlich festgelegt: Die Würde des Menschen und nicht nur die Würde der Deutschen ist unantastbar.
Wir sind das Volk und nicht die, die den Bundespräsidenten bei seinem Besuch in Bautzen anpöbeln.
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